Geschlechtliche Zuchtwahl als Ursache der secundären Sexualcharaktere.
ihrer Beute am leichtesten unbemerkt nähern, und wurden selbst von ihren Feinden am wenigsten bemerkt. So konnten sie sich leichter er- halten und fortpflanzen, als ihre mehr gefärbten und undurchsichtigen Verwandten, und schließlich erreichte durch gehäufte Anpassung und Vererbung, durch natürliche Auslese im Laufe vieler Generationen der Körper denjenigen Grad von glasartiger Durchsichtigkeit und Farb- losigkeit, den wir gegenwärtig an den pelagischen Glasthieren be- wundern (Gen. Morph. II, 242).
Nicht minder interessant und lehrreich, als die gleichfarbige Zucht- wahl, ist diejenige Art der natürlichen Züchtung, welche Darwin die sexuelle oder geschechtliche Zuchtwahl nennt, und welche beson- ders die Entstehung der sogenannten "secundären Sexualcharaktere" erklärt. Wir haben diese untergeordneten Geschlechtscharaktere, die in so vieler Beziehung lehrreich sind, schon früher erwähnt, und verstanden darunter solche Eigenthümlichkeiten der Thiere und Pflanzen, welche bloß einem der beiden Geschlechter zukommen, und welche nicht in unmittel- barer Beziehung zu der Fortpflanzungsthätigkeit selbst stehen. (Vergl. oben S. 164). Solche secundäre Geschlechtscharaktere kommen in großer Mannichfaltigkeit bei den Thieren vor. Sie wissen Alle, wie auffallend sich bei vielen Vögeln und Schmetterlingen die beiden Ge- schlechter durch Größe und Färbung unterscheiden. Meist ist hier das Männchen das größere und schönere Geschlecht. Oft besitzt dasselbe besondere Zierrathe oder Waffen, wie z. B. das Geweih der männlichen Hirsche und Rehe, der Sporn und Federkragen des Hahns u. s. w. Alle diese Eigenthümlichkeiten der beiden Geschlechter ha- ben mit der Fortpflanzung selbst, welche durch die "primären Sexual- charaktere," die eigentlichen Geschlechtsorgane, vermittelt wird, unmit- telbar Nichts zu thun.
Die Entstehung dieser merkwürdigen "secundären Sexualcha- raktere" erklärt nun Darwin einfach durch eine Auslese oder Se- lection, welche bei der Fortpflanzung der Thiere geschieht. Bei den meisten Thieren ist die Zahl der Jndividuen beiderlei Geschlechts mehr oder weniger ungleich; entweder ist die Zahl der weiblichen oder die
Geſchlechtliche Zuchtwahl als Urſache der ſecundaͤren Sexualcharaktere.
ihrer Beute am leichteſten unbemerkt naͤhern, und wurden ſelbſt von ihren Feinden am wenigſten bemerkt. So konnten ſie ſich leichter er- halten und fortpflanzen, als ihre mehr gefaͤrbten und undurchſichtigen Verwandten, und ſchließlich erreichte durch gehaͤufte Anpaſſung und Vererbung, durch natuͤrliche Ausleſe im Laufe vieler Generationen der Koͤrper denjenigen Grad von glasartiger Durchſichtigkeit und Farb- loſigkeit, den wir gegenwaͤrtig an den pelagiſchen Glasthieren be- wundern (Gen. Morph. II, 242).
Nicht minder intereſſant und lehrreich, als die gleichfarbige Zucht- wahl, iſt diejenige Art der natuͤrlichen Zuͤchtung, welche Darwin die ſexuelle oder geſchechtliche Zuchtwahl nennt, und welche beſon- ders die Entſtehung der ſogenannten „ſecundaͤren Sexualcharaktere“ erklaͤrt. Wir haben dieſe untergeordneten Geſchlechtscharaktere, die in ſo vieler Beziehung lehrreich ſind, ſchon fruͤher erwaͤhnt, und verſtanden darunter ſolche Eigenthuͤmlichkeiten der Thiere und Pflanzen, welche bloß einem der beiden Geſchlechter zukommen, und welche nicht in unmittel- barer Beziehung zu der Fortpflanzungsthaͤtigkeit ſelbſt ſtehen. (Vergl. oben S. 164). Solche ſecundaͤre Geſchlechtscharaktere kommen in großer Mannichfaltigkeit bei den Thieren vor. Sie wiſſen Alle, wie auffallend ſich bei vielen Voͤgeln und Schmetterlingen die beiden Ge- ſchlechter durch Groͤße und Faͤrbung unterſcheiden. Meiſt iſt hier das Maͤnnchen das groͤßere und ſchoͤnere Geſchlecht. Oft beſitzt daſſelbe beſondere Zierrathe oder Waffen, wie z. B. das Geweih der maͤnnlichen Hirſche und Rehe, der Sporn und Federkragen des Hahns u. ſ. w. Alle dieſe Eigenthuͤmlichkeiten der beiden Geſchlechter ha- ben mit der Fortpflanzung ſelbſt, welche durch die „primaͤren Sexual- charaktere,“ die eigentlichen Geſchlechtsorgane, vermittelt wird, unmit- telbar Nichts zu thun.
Die Entſtehung dieſer merkwuͤrdigen „ſecundaͤren Sexualcha- raktere“ erklaͤrt nun Darwin einfach durch eine Ausleſe oder Se- lection, welche bei der Fortpflanzung der Thiere geſchieht. Bei den meiſten Thieren iſt die Zahl der Jndividuen beiderlei Geſchlechts mehr oder weniger ungleich; entweder iſt die Zahl der weiblichen oder die
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Geſchlechtliche Zuchtwahl als Urſache der ſecundaͤren Sexualcharaktere.
ihrer Beute am leichteſten unbemerkt naͤhern, und wurden ſelbſt von
ihren Feinden am wenigſten bemerkt. So konnten ſie ſich leichter er-
halten und fortpflanzen, als ihre mehr gefaͤrbten und undurchſichtigen
Verwandten, und ſchließlich erreichte durch gehaͤufte Anpaſſung und
Vererbung, durch natuͤrliche Ausleſe im Laufe vieler Generationen der
Koͤrper denjenigen Grad von glasartiger Durchſichtigkeit und Farb-
loſigkeit, den wir gegenwaͤrtig an den pelagiſchen Glasthieren be-
wundern (Gen. Morph. II, 242).
Nicht minder intereſſant und lehrreich, als die gleichfarbige Zucht-
wahl, iſt diejenige Art der natuͤrlichen Zuͤchtung, welche Darwin die
ſexuelle oder geſchechtliche Zuchtwahl nennt, und welche beſon-
ders die Entſtehung der ſogenannten „ſecundaͤren Sexualcharaktere“
erklaͤrt. Wir haben dieſe untergeordneten Geſchlechtscharaktere, die in ſo
vieler Beziehung lehrreich ſind, ſchon fruͤher erwaͤhnt, und verſtanden
darunter ſolche Eigenthuͤmlichkeiten der Thiere und Pflanzen, welche bloß
einem der beiden Geſchlechter zukommen, und welche nicht in unmittel-
barer Beziehung zu der Fortpflanzungsthaͤtigkeit ſelbſt ſtehen. (Vergl.
oben S. 164). Solche ſecundaͤre Geſchlechtscharaktere kommen in
großer Mannichfaltigkeit bei den Thieren vor. Sie wiſſen Alle, wie
auffallend ſich bei vielen Voͤgeln und Schmetterlingen die beiden Ge-
ſchlechter durch Groͤße und Faͤrbung unterſcheiden. Meiſt iſt hier
das Maͤnnchen das groͤßere und ſchoͤnere Geſchlecht. Oft beſitzt
daſſelbe beſondere Zierrathe oder Waffen, wie z. B. das Geweih der
maͤnnlichen Hirſche und Rehe, der Sporn und Federkragen des Hahns
u. ſ. w. Alle dieſe Eigenthuͤmlichkeiten der beiden Geſchlechter ha-
ben mit der Fortpflanzung ſelbſt, welche durch die „primaͤren Sexual-
charaktere,“ die eigentlichen Geſchlechtsorgane, vermittelt wird, unmit-
telbar Nichts zu thun.
Die Entſtehung dieſer merkwuͤrdigen „ſecundaͤren Sexualcha-
raktere“ erklaͤrt nun Darwin einfach durch eine Ausleſe oder Se-
lection, welche bei der Fortpflanzung der Thiere geſchieht. Bei den
meiſten Thieren iſt die Zahl der Jndividuen beiderlei Geſchlechts mehr
oder weniger ungleich; entweder iſt die Zahl der weiblichen oder die
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 213. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/234>, abgerufen am 26.11.2024.
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