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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Gehäufte oder cumulative Anpassung.
gebärenden Thieren und solchen, die Eier legen, wird hier einfach durch
die Veränderung des Bodens, auf welchem das Thier lebt, verwischt.

Außerordentlich interessant sind in dieser Beziehung auch die Was-
sermolche oder Tritonen, welche man gezwungen hat, ihre ursprüng-
lichen Kiemen beizubehalten. Die Tritonen, Amphibien, welche den
Fröschen nahe verwandt sind, besitzen gleich diesen in ihrer Jugend
äußere Athmungsorgane, Kiemen, mit welchen sie, im Wasser le-
bend, Wasser athmen. Später tritt bei den Tritonen eine Metamor-
phose ein, wie bei den Fröschen. Sie gehen auf das Land, verlieren
die Kiemen und gewöhnen sich an das Lungenathmen. Wenn man
sie nun daran verhindert, indem man sie in einem geschlossenen Was-
serbecken hält, so verlieren sie die Kiemen nicht. Diese bleiben vielmehr
bestehen, und der Wassermolch verharrt zeitlebens auf jener niederen
Ausbildungsstufe, welche bei seinen tiefer stehenden Verwandten, den
Kiemenmolchen oder Sozobranchien normal ist. Der Wassermolch
erreicht seine volle Größe, wird geschlechtsreif und pflanzt sich fort,
ohne die Kiemen zu verlieren.

Großes Aufsehen erregte unter den Zoologen vor Kurzem der
Axolotel (Siredon pisciformis), ein dem Triton nahe verwandter
Kiemenmolch aus Mexico, welchen man schon seit langer Zeit kennt,
und in den letzten Jahren im Pariser Pflanzengarten im Großen ge-
züchtet hat. Dieses Thier hat auch äußere Kiemen, wie der Wasser-
molch, behält aber dieselben gleich allen anderen Sozobranchien
zeitlebens bei. Für gewöhnlich bleibt dieser Kiemenmolch mit seinen
Wasserathmungsorganen im Wasser und pflanzt sich hier auch fort.
Nun krochen aber plötzlich im Pflanzengarten unter Hunderten dieser
Thiere eine geringe Anzahl aus dem Wasser auf das Land, verloren
ihre Kiemen, und verwandelten sich in eine kiemenlose Molchform,
welche von einer nordamerikanischen Tritonengattung (Ambystoma)
nicht mehr zu unterscheiden ist, und nur noch durch Lungen athmet.
Jn diesem letzten, höchst merkwürdigen Falle können wir unmittelbar
den großen Sprung von einem wasserathmenden zu einem luftath-
menden Thiere verfolgen, ein Sprung, der allerdings bei der indivi-

Gehaͤufte oder cumulative Anpaſſung.
gebaͤrenden Thieren und ſolchen, die Eier legen, wird hier einfach durch
die Veraͤnderung des Bodens, auf welchem das Thier lebt, verwiſcht.

Außerordentlich intereſſant ſind in dieſer Beziehung auch die Waſ-
ſermolche oder Tritonen, welche man gezwungen hat, ihre urſpruͤng-
lichen Kiemen beizubehalten. Die Tritonen, Amphibien, welche den
Froͤſchen nahe verwandt ſind, beſitzen gleich dieſen in ihrer Jugend
aͤußere Athmungsorgane, Kiemen, mit welchen ſie, im Waſſer le-
bend, Waſſer athmen. Spaͤter tritt bei den Tritonen eine Metamor-
phoſe ein, wie bei den Froͤſchen. Sie gehen auf das Land, verlieren
die Kiemen und gewoͤhnen ſich an das Lungenathmen. Wenn man
ſie nun daran verhindert, indem man ſie in einem geſchloſſenen Waſ-
ſerbecken haͤlt, ſo verlieren ſie die Kiemen nicht. Dieſe bleiben vielmehr
beſtehen, und der Waſſermolch verharrt zeitlebens auf jener niederen
Ausbildungsſtufe, welche bei ſeinen tiefer ſtehenden Verwandten, den
Kiemenmolchen oder Sozobranchien normal iſt. Der Waſſermolch
erreicht ſeine volle Groͤße, wird geſchlechtsreif und pflanzt ſich fort,
ohne die Kiemen zu verlieren.

Großes Aufſehen erregte unter den Zoologen vor Kurzem der
Axolotel (Siredon pisciformis), ein dem Triton nahe verwandter
Kiemenmolch aus Mexico, welchen man ſchon ſeit langer Zeit kennt,
und in den letzten Jahren im Pariſer Pflanzengarten im Großen ge-
zuͤchtet hat. Dieſes Thier hat auch aͤußere Kiemen, wie der Waſſer-
molch, behaͤlt aber dieſelben gleich allen anderen Sozobranchien
zeitlebens bei. Fuͤr gewoͤhnlich bleibt dieſer Kiemenmolch mit ſeinen
Waſſerathmungsorganen im Waſſer und pflanzt ſich hier auch fort.
Nun krochen aber ploͤtzlich im Pflanzengarten unter Hunderten dieſer
Thiere eine geringe Anzahl aus dem Waſſer auf das Land, verloren
ihre Kiemen, und verwandelten ſich in eine kiemenloſe Molchform,
welche von einer nordamerikaniſchen Tritonengattung (Ambystoma)
nicht mehr zu unterſcheiden iſt, und nur noch durch Lungen athmet.
Jn dieſem letzten, hoͤchſt merkwuͤrdigen Falle koͤnnen wir unmittelbar
den großen Sprung von einem waſſerathmenden zu einem luftath-
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[192/0213] Gehaͤufte oder cumulative Anpaſſung. gebaͤrenden Thieren und ſolchen, die Eier legen, wird hier einfach durch die Veraͤnderung des Bodens, auf welchem das Thier lebt, verwiſcht. Außerordentlich intereſſant ſind in dieſer Beziehung auch die Waſ- ſermolche oder Tritonen, welche man gezwungen hat, ihre urſpruͤng- lichen Kiemen beizubehalten. Die Tritonen, Amphibien, welche den Froͤſchen nahe verwandt ſind, beſitzen gleich dieſen in ihrer Jugend aͤußere Athmungsorgane, Kiemen, mit welchen ſie, im Waſſer le- bend, Waſſer athmen. Spaͤter tritt bei den Tritonen eine Metamor- phoſe ein, wie bei den Froͤſchen. Sie gehen auf das Land, verlieren die Kiemen und gewoͤhnen ſich an das Lungenathmen. Wenn man ſie nun daran verhindert, indem man ſie in einem geſchloſſenen Waſ- ſerbecken haͤlt, ſo verlieren ſie die Kiemen nicht. Dieſe bleiben vielmehr beſtehen, und der Waſſermolch verharrt zeitlebens auf jener niederen Ausbildungsſtufe, welche bei ſeinen tiefer ſtehenden Verwandten, den Kiemenmolchen oder Sozobranchien normal iſt. Der Waſſermolch erreicht ſeine volle Groͤße, wird geſchlechtsreif und pflanzt ſich fort, ohne die Kiemen zu verlieren. Großes Aufſehen erregte unter den Zoologen vor Kurzem der Axolotel (Siredon pisciformis), ein dem Triton nahe verwandter Kiemenmolch aus Mexico, welchen man ſchon ſeit langer Zeit kennt, und in den letzten Jahren im Pariſer Pflanzengarten im Großen ge- zuͤchtet hat. Dieſes Thier hat auch aͤußere Kiemen, wie der Waſſer- molch, behaͤlt aber dieſelben gleich allen anderen Sozobranchien zeitlebens bei. Fuͤr gewoͤhnlich bleibt dieſer Kiemenmolch mit ſeinen Waſſerathmungsorganen im Waſſer und pflanzt ſich hier auch fort. Nun krochen aber ploͤtzlich im Pflanzengarten unter Hunderten dieſer Thiere eine geringe Anzahl aus dem Waſſer auf das Land, verloren ihre Kiemen, und verwandelten ſich in eine kiemenloſe Molchform, welche von einer nordamerikaniſchen Tritonengattung (Ambystoma) nicht mehr zu unterſcheiden iſt, und nur noch durch Lungen athmet. Jn dieſem letzten, hoͤchſt merkwuͤrdigen Falle koͤnnen wir unmittelbar den großen Sprung von einem waſſerathmenden zu einem luftath- menden Thiere verfolgen, ein Sprung, der allerdings bei der indivi-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/213>, abgerufen am 28.11.2024.