Umbildung durch Gewohnheit, Uebung und Gebrauch der Organe.
fach eine Folge des verminderten Gebrauchs der Ohrmuskeln. Jm wilden Zustande müssen diese Thiere ihre Ohren gehörig anstrengen, um einen nahenden Feind zu bemerken, und es hat sich dadurch ein starker Muskelapparat entwickelt, welcher die äußeren Ohren in auf- rechter Stellung erhält, und nach allen Richtungen dreht. Jm Cul- turzustande haben dieselben Thiere nicht mehr nöthig so aufmerksam zu lauschen; sie spitzen und drehen die Ohren nur wenig; die Ohr- muskeln kommen außer Gebrauch, verkümmern allmählich, und die Ohren sinken nun schlaff herab, oder sie werden selbst ganz rudi- mentär (Vergl. oben S. 10).
Wie in diesen Fällen die Function und dadurch auch die Form des Organs durch Nichtgebrauch rückgebildet wird, so wird dieselbe andrerseits durch stärkeren Gebrauch mehr entwickelt. Dies tritt uns besonders deutlich entgegen, wenn wir das Gehirn und die dadurch bewirkten Seelenthätigkeiten bei den wilden Thieren und den Haus- thieren, welche von ihnen abstammen, vergleichen. Jnsbesondere der Hund und das Pferd, welche in so erstaunlichem Maße durch die Cultur veredelt sind, zeigen im Vergleiche mit ihren wilden Stamm- verwandten einen außerordentlichen Grad von Ausbildung der Geistes- thätigkeit, und offenbar ist die damit zusammenhängende Umbildung des Gehirns größtentheils durch die andauernde Uebung bedingt. All- bekannt ist es ferner, wie schnell und mächtig die Muskeln durch anhal- tende Uebung wachsen und ihre Form verändern. Vergleichen Sie z. B. Arme und Beine eines geübten Turners mit denjenigen eines unbeweglichen Stubensitzers.
Wie mächtig äußere Einflüsse die Gewohnheiten der Thiere, ihre Lebensweise beeinflussen und dadurch weiterhin auch ihre Form um- bilden, zeigen sehr auffallend manche Beispiele von Amphibien und Reptilien. Unsere häufigste einheimische Schlange, die Ringelnatter, legt Eier, welche zu ihrer Entwickelung noch drei Wochen brauchen. Wenn man sie aber in Gefangenschaft hält und in den Käfig keinen Sand streut, so legt sie die Eier nicht ab, sondern behält sie bei sich, so lange bis die Jungen entwickelt sind. Der Unterschied zwischen lebendig
Umbildung durch Gewohnheit, Uebung und Gebrauch der Organe.
fach eine Folge des verminderten Gebrauchs der Ohrmuskeln. Jm wilden Zuſtande muͤſſen dieſe Thiere ihre Ohren gehoͤrig anſtrengen, um einen nahenden Feind zu bemerken, und es hat ſich dadurch ein ſtarker Muskelapparat entwickelt, welcher die aͤußeren Ohren in auf- rechter Stellung erhaͤlt, und nach allen Richtungen dreht. Jm Cul- turzuſtande haben dieſelben Thiere nicht mehr noͤthig ſo aufmerkſam zu lauſchen; ſie ſpitzen und drehen die Ohren nur wenig; die Ohr- muskeln kommen außer Gebrauch, verkuͤmmern allmaͤhlich, und die Ohren ſinken nun ſchlaff herab, oder ſie werden ſelbſt ganz rudi- mentaͤr (Vergl. oben S. 10).
Wie in dieſen Faͤllen die Function und dadurch auch die Form des Organs durch Nichtgebrauch ruͤckgebildet wird, ſo wird dieſelbe andrerſeits durch ſtaͤrkeren Gebrauch mehr entwickelt. Dies tritt uns beſonders deutlich entgegen, wenn wir das Gehirn und die dadurch bewirkten Seelenthaͤtigkeiten bei den wilden Thieren und den Haus- thieren, welche von ihnen abſtammen, vergleichen. Jnsbeſondere der Hund und das Pferd, welche in ſo erſtaunlichem Maße durch die Cultur veredelt ſind, zeigen im Vergleiche mit ihren wilden Stamm- verwandten einen außerordentlichen Grad von Ausbildung der Geiſtes- thaͤtigkeit, und offenbar iſt die damit zuſammenhaͤngende Umbildung des Gehirns groͤßtentheils durch die andauernde Uebung bedingt. All- bekannt iſt es ferner, wie ſchnell und maͤchtig die Muskeln durch anhal- tende Uebung wachſen und ihre Form veraͤndern. Vergleichen Sie z. B. Arme und Beine eines geuͤbten Turners mit denjenigen eines unbeweglichen Stubenſitzers.
Wie maͤchtig aͤußere Einfluͤſſe die Gewohnheiten der Thiere, ihre Lebensweiſe beeinfluſſen und dadurch weiterhin auch ihre Form um- bilden, zeigen ſehr auffallend manche Beiſpiele von Amphibien und Reptilien. Unſere haͤufigſte einheimiſche Schlange, die Ringelnatter, legt Eier, welche zu ihrer Entwickelung noch drei Wochen brauchen. Wenn man ſie aber in Gefangenſchaft haͤlt und in den Kaͤfig keinen Sand ſtreut, ſo legt ſie die Eier nicht ab, ſondern behaͤlt ſie bei ſich, ſo lange bis die Jungen entwickelt ſind. Der Unterſchied zwiſchen lebendig
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Umbildung durch Gewohnheit, Uebung und Gebrauch der Organe.
fach eine Folge des verminderten Gebrauchs der Ohrmuskeln. Jm
wilden Zuſtande muͤſſen dieſe Thiere ihre Ohren gehoͤrig anſtrengen,
um einen nahenden Feind zu bemerken, und es hat ſich dadurch ein
ſtarker Muskelapparat entwickelt, welcher die aͤußeren Ohren in auf-
rechter Stellung erhaͤlt, und nach allen Richtungen dreht. Jm Cul-
turzuſtande haben dieſelben Thiere nicht mehr noͤthig ſo aufmerkſam
zu lauſchen; ſie ſpitzen und drehen die Ohren nur wenig; die Ohr-
muskeln kommen außer Gebrauch, verkuͤmmern allmaͤhlich, und die
Ohren ſinken nun ſchlaff herab, oder ſie werden ſelbſt ganz rudi-
mentaͤr (Vergl. oben S. 10).
Wie in dieſen Faͤllen die Function und dadurch auch die Form
des Organs durch Nichtgebrauch ruͤckgebildet wird, ſo wird dieſelbe
andrerſeits durch ſtaͤrkeren Gebrauch mehr entwickelt. Dies tritt uns
beſonders deutlich entgegen, wenn wir das Gehirn und die dadurch
bewirkten Seelenthaͤtigkeiten bei den wilden Thieren und den Haus-
thieren, welche von ihnen abſtammen, vergleichen. Jnsbeſondere
der Hund und das Pferd, welche in ſo erſtaunlichem Maße durch die
Cultur veredelt ſind, zeigen im Vergleiche mit ihren wilden Stamm-
verwandten einen außerordentlichen Grad von Ausbildung der Geiſtes-
thaͤtigkeit, und offenbar iſt die damit zuſammenhaͤngende Umbildung
des Gehirns groͤßtentheils durch die andauernde Uebung bedingt. All-
bekannt iſt es ferner, wie ſchnell und maͤchtig die Muskeln durch anhal-
tende Uebung wachſen und ihre Form veraͤndern. Vergleichen Sie
z. B. Arme und Beine eines geuͤbten Turners mit denjenigen eines
unbeweglichen Stubenſitzers.
Wie maͤchtig aͤußere Einfluͤſſe die Gewohnheiten der Thiere, ihre
Lebensweiſe beeinfluſſen und dadurch weiterhin auch ihre Form um-
bilden, zeigen ſehr auffallend manche Beiſpiele von Amphibien und
Reptilien. Unſere haͤufigſte einheimiſche Schlange, die Ringelnatter,
legt Eier, welche zu ihrer Entwickelung noch drei Wochen brauchen.
Wenn man ſie aber in Gefangenſchaft haͤlt und in den Kaͤfig keinen
Sand ſtreut, ſo legt ſie die Eier nicht ab, ſondern behaͤlt ſie bei ſich, ſo
lange bis die Jungen entwickelt ſind. Der Unterſchied zwiſchen lebendig
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 191. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/212>, abgerufen am 28.11.2024.
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