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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Einwirkung der Umgebung und Gegenwirkung des Organismus.
äußeren Existenzbedingungen auf diese letzteren allein bezieht, so legt
man einseitig das Hauptgewicht auf die äußere Einwirkung, und man
vernachlässigt die nothwendig eintretende innere Gegenwirkung des
Organismus. Wenn man umgekehrt die gehäufte Anpassung ein-
seitig in der zweiten Richtung verfolgt, indem man die umbildende
Selbstthätigkeit des Organismus, seine Gegenwirkung gegen den
äußeren Einfluß, seine Veränderung durch Uebung, Gewohnheit, Ge-
brauch oder Nichtgebrauch der Organe hervorhebt, so vergißt man, daß
diese Gegenwirkung oder Reaction erst durch die Einwirkung der äuße-
ren Existenzbedingung hervorgerufen wird. Es ist also nur ein Unter-
schied der Betrachtungsweise, auf welchem die Unterscheidung jener
beiden verschiedenen Gruppen beruht, und ich glaube, daß man sie
mit vollem Rechte zusammenfassen kann. Das Wesentlichste bei diesen
gehäuften Anpassungserscheinungen ist immer, daß die Veränderung
des Organismus, welche zunächst in seiner Function und weiterhin
in seiner Formbildung sich äußert, entweder durch lange andauernde
oder durch wiederholte Einwirkungen einer äußeren Ursache veranlaßt
wird. Die neue äußere Existenzbedingung, welche umbildend wirkt,
muß entweder lange Zeit hindurch oder oft wiederholt auf den Orga-
nismus einwirken. Die kleinste Ursache kann durch Häufung oder
Cumulation ihrer Wirkung die größten Erfolge erzielen.

Die Beispiele für diese Art der directen Anpassung sind unendlich
zahlreich. Wo Sie nur hineingreifen in das Leben der Thiere und
Pflanzen, finden Sie überall einleuchtende und überzeugende Verän-
derungen dieser Art vor Augen. Wir wollen hier zunächst einige durch
die Nahrung selbst unmittelbar bedingte Anpassungserscheinungen her-
vorheben. Jeder von Jhnen weiß, daß man die Hausthiere, die
man für gewisse Zwecke züchtet, verschieden umbilden kann durch die
verschiedene Quantität und Qualität der Nahrung, welche man ihnen
darreicht. Wenn der Landwirth bei der Schafzucht feine Wolle er-
zeugen will, so giebt er den Schafen anderes Futter, als wenn er
gutes Fleisch oder reichliches Fett erzielen will. Die auserlesenen Renn-
pferde und Luxuspferde erhalten besseres Futter als die schweren Last-

Einwirkung der Umgebung und Gegenwirkung des Organismus.
aͤußeren Exiſtenzbedingungen auf dieſe letzteren allein bezieht, ſo legt
man einſeitig das Hauptgewicht auf die aͤußere Einwirkung, und man
vernachlaͤſſigt die nothwendig eintretende innere Gegenwirkung des
Organismus. Wenn man umgekehrt die gehaͤufte Anpaſſung ein-
ſeitig in der zweiten Richtung verfolgt, indem man die umbildende
Selbſtthaͤtigkeit des Organismus, ſeine Gegenwirkung gegen den
aͤußeren Einfluß, ſeine Veraͤnderung durch Uebung, Gewohnheit, Ge-
brauch oder Nichtgebrauch der Organe hervorhebt, ſo vergißt man, daß
dieſe Gegenwirkung oder Reaction erſt durch die Einwirkung der aͤuße-
ren Exiſtenzbedingung hervorgerufen wird. Es iſt alſo nur ein Unter-
ſchied der Betrachtungsweiſe, auf welchem die Unterſcheidung jener
beiden verſchiedenen Gruppen beruht, und ich glaube, daß man ſie
mit vollem Rechte zuſammenfaſſen kann. Das Weſentlichſte bei dieſen
gehaͤuften Anpaſſungserſcheinungen iſt immer, daß die Veraͤnderung
des Organismus, welche zunaͤchſt in ſeiner Function und weiterhin
in ſeiner Formbildung ſich aͤußert, entweder durch lange andauernde
oder durch wiederholte Einwirkungen einer aͤußeren Urſache veranlaßt
wird. Die neue aͤußere Exiſtenzbedingung, welche umbildend wirkt,
muß entweder lange Zeit hindurch oder oft wiederholt auf den Orga-
nismus einwirken. Die kleinſte Urſache kann durch Haͤufung oder
Cumulation ihrer Wirkung die groͤßten Erfolge erzielen.

Die Beiſpiele fuͤr dieſe Art der directen Anpaſſung ſind unendlich
zahlreich. Wo Sie nur hineingreifen in das Leben der Thiere und
Pflanzen, finden Sie uͤberall einleuchtende und uͤberzeugende Veraͤn-
derungen dieſer Art vor Augen. Wir wollen hier zunaͤchſt einige durch
die Nahrung ſelbſt unmittelbar bedingte Anpaſſungserſcheinungen her-
vorheben. Jeder von Jhnen weiß, daß man die Hausthiere, die
man fuͤr gewiſſe Zwecke zuͤchtet, verſchieden umbilden kann durch die
verſchiedene Quantitaͤt und Qualitaͤt der Nahrung, welche man ihnen
darreicht. Wenn der Landwirth bei der Schafzucht feine Wolle er-
zeugen will, ſo giebt er den Schafen anderes Futter, als wenn er
gutes Fleiſch oder reichliches Fett erzielen will. Die auserleſenen Renn-
pferde und Luxuspferde erhalten beſſeres Futter als die ſchweren Laſt-

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[187/0208] Einwirkung der Umgebung und Gegenwirkung des Organismus. aͤußeren Exiſtenzbedingungen auf dieſe letzteren allein bezieht, ſo legt man einſeitig das Hauptgewicht auf die aͤußere Einwirkung, und man vernachlaͤſſigt die nothwendig eintretende innere Gegenwirkung des Organismus. Wenn man umgekehrt die gehaͤufte Anpaſſung ein- ſeitig in der zweiten Richtung verfolgt, indem man die umbildende Selbſtthaͤtigkeit des Organismus, ſeine Gegenwirkung gegen den aͤußeren Einfluß, ſeine Veraͤnderung durch Uebung, Gewohnheit, Ge- brauch oder Nichtgebrauch der Organe hervorhebt, ſo vergißt man, daß dieſe Gegenwirkung oder Reaction erſt durch die Einwirkung der aͤuße- ren Exiſtenzbedingung hervorgerufen wird. Es iſt alſo nur ein Unter- ſchied der Betrachtungsweiſe, auf welchem die Unterſcheidung jener beiden verſchiedenen Gruppen beruht, und ich glaube, daß man ſie mit vollem Rechte zuſammenfaſſen kann. Das Weſentlichſte bei dieſen gehaͤuften Anpaſſungserſcheinungen iſt immer, daß die Veraͤnderung des Organismus, welche zunaͤchſt in ſeiner Function und weiterhin in ſeiner Formbildung ſich aͤußert, entweder durch lange andauernde oder durch wiederholte Einwirkungen einer aͤußeren Urſache veranlaßt wird. Die neue aͤußere Exiſtenzbedingung, welche umbildend wirkt, muß entweder lange Zeit hindurch oder oft wiederholt auf den Orga- nismus einwirken. Die kleinſte Urſache kann durch Haͤufung oder Cumulation ihrer Wirkung die groͤßten Erfolge erzielen. Die Beiſpiele fuͤr dieſe Art der directen Anpaſſung ſind unendlich zahlreich. Wo Sie nur hineingreifen in das Leben der Thiere und Pflanzen, finden Sie uͤberall einleuchtende und uͤberzeugende Veraͤn- derungen dieſer Art vor Augen. Wir wollen hier zunaͤchſt einige durch die Nahrung ſelbſt unmittelbar bedingte Anpaſſungserſcheinungen her- vorheben. Jeder von Jhnen weiß, daß man die Hausthiere, die man fuͤr gewiſſe Zwecke zuͤchtet, verſchieden umbilden kann durch die verſchiedene Quantitaͤt und Qualitaͤt der Nahrung, welche man ihnen darreicht. Wenn der Landwirth bei der Schafzucht feine Wolle er- zeugen will, ſo giebt er den Schafen anderes Futter, als wenn er gutes Fleiſch oder reichliches Fett erzielen will. Die auserleſenen Renn- pferde und Luxuspferde erhalten beſſeres Futter als die ſchweren Laſt-

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/208>, abgerufen am 28.11.2024.