Weniger wichtig und allgemein, als dieses Gesetz der indivi- duellen Abänderung, ist ein zweites Gesetz der indirecten Anpassung, welches wir das Gesetz der monströsen oder sprungweisen Anpassung nennen wollen. Hier sind die Abweichungen des kind- lichen Organismus von der elterlichen Form so auffallend, daß wir sie in der Regel als Mißgeburten oder Monstrositäten bezeichnen kön- nen. Diese werden in vielen Fällen, wie es durch Experimente nach- gewiesen ist, dadurch erzeugt, daß man den elterlichen Organismus einer bestimmten Behandlung unterwirft, in eigenthümliche Ernäh- rungsverhältnisse versetzt, z. B. Luft und Licht ihm entzieht oder andere auf seine Ernährung mächtig einwirkende Einflüsse in bestimmter Weise abändert. Die neue Existenzbedingung bewirkt eine starke und auffal- lende Abänderung der Gestalt, aber nicht an dem unmittelbar davon betroffenen Organismus, sondern erst an dessen Nachkommenschaft. Die Art und Weise dieser Einwirkung im Einzelnen zu erkennen, ist uns auch hier nicht möglich, und wir können nur ganz im Allgemei- nen den ursächlichen Zusammenhang zwischen der monströsen Bil- dung des Kindes und einer gewissen Veränderung in den Existenzbe- dingungen seiner Eltern, sowie deren Einfluß auf die Fortpflanzungs- organe der letzteren, feststellen. Jn diese Reihe der monströsen oder sprungweisen Abänderungen gehören wahrscheinlich die früher erwähn- ten Erscheinungen des Albinismus, sowie die einzelnen Fälle von Menschen mit sechs Fingern und Zehen, von ungehörnten Rindern, so- wie von Schafen und Ziegen mit vier oder sechs Hörnern. Wahr- scheinlich verdankt in allen diesen Fällen die monströse Abänderung ihre erste Entstehung einer Ursache, welche zunächst nur das Repro- ductionssystem des elterlichen Organismus afficirte.
Als eine dritte eigenthümliche Aeußerung der indirecten Anpassung können wir das Gesetz der geschlechtlichen oder sexuellen Anpassung bezeichnen. So nennen wir die merkwürdige Thatsache, daß bestimmte Einflüsse, welche auf die männlichen Fortpflanzungs- organe einwirken, nur in der Formbildung der männlichen Nachkom- men, und ebenso andere Einflüsse, welche die weiblichen Geschlechts-
Monſtroͤſe oder ſprungweiſe Anpaſſung.
Weniger wichtig und allgemein, als dieſes Geſetz der indivi- duellen Abaͤnderung, iſt ein zweites Geſetz der indirecten Anpaſſung, welches wir das Geſetz der monſtroͤſen oder ſprungweiſen Anpaſſung nennen wollen. Hier ſind die Abweichungen des kind- lichen Organismus von der elterlichen Form ſo auffallend, daß wir ſie in der Regel als Mißgeburten oder Monſtroſitaͤten bezeichnen koͤn- nen. Dieſe werden in vielen Faͤllen, wie es durch Experimente nach- gewieſen iſt, dadurch erzeugt, daß man den elterlichen Organismus einer beſtimmten Behandlung unterwirft, in eigenthuͤmliche Ernaͤh- rungsverhaͤltniſſe verſetzt, z. B. Luft und Licht ihm entzieht oder andere auf ſeine Ernaͤhrung maͤchtig einwirkende Einfluͤſſe in beſtimmter Weiſe abaͤndert. Die neue Exiſtenzbedingung bewirkt eine ſtarke und auffal- lende Abaͤnderung der Geſtalt, aber nicht an dem unmittelbar davon betroffenen Organismus, ſondern erſt an deſſen Nachkommenſchaft. Die Art und Weiſe dieſer Einwirkung im Einzelnen zu erkennen, iſt uns auch hier nicht moͤglich, und wir koͤnnen nur ganz im Allgemei- nen den urſaͤchlichen Zuſammenhang zwiſchen der monſtroͤſen Bil- dung des Kindes und einer gewiſſen Veraͤnderung in den Exiſtenzbe- dingungen ſeiner Eltern, ſowie deren Einfluß auf die Fortpflanzungs- organe der letzteren, feſtſtellen. Jn dieſe Reihe der monſtroͤſen oder ſprungweiſen Abaͤnderungen gehoͤren wahrſcheinlich die fruͤher erwaͤhn- ten Erſcheinungen des Albinismus, ſowie die einzelnen Faͤlle von Menſchen mit ſechs Fingern und Zehen, von ungehoͤrnten Rindern, ſo- wie von Schafen und Ziegen mit vier oder ſechs Hoͤrnern. Wahr- ſcheinlich verdankt in allen dieſen Faͤllen die monſtroͤſe Abaͤnderung ihre erſte Entſtehung einer Urſache, welche zunaͤchſt nur das Repro- ductionsſyſtem des elterlichen Organismus afficirte.
Als eine dritte eigenthuͤmliche Aeußerung der indirecten Anpaſſung koͤnnen wir das Geſetz der geſchlechtlichen oder ſexuellen Anpaſſung bezeichnen. So nennen wir die merkwuͤrdige Thatſache, daß beſtimmte Einfluͤſſe, welche auf die maͤnnlichen Fortpflanzungs- organe einwirken, nur in der Formbildung der maͤnnlichen Nachkom- men, und ebenſo andere Einfluͤſſe, welche die weiblichen Geſchlechts-
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Monſtroͤſe oder ſprungweiſe Anpaſſung.
Weniger wichtig und allgemein, als dieſes Geſetz der indivi-
duellen Abaͤnderung, iſt ein zweites Geſetz der indirecten Anpaſſung,
welches wir das Geſetz der monſtroͤſen oder ſprungweiſen
Anpaſſung nennen wollen. Hier ſind die Abweichungen des kind-
lichen Organismus von der elterlichen Form ſo auffallend, daß wir
ſie in der Regel als Mißgeburten oder Monſtroſitaͤten bezeichnen koͤn-
nen. Dieſe werden in vielen Faͤllen, wie es durch Experimente nach-
gewieſen iſt, dadurch erzeugt, daß man den elterlichen Organismus
einer beſtimmten Behandlung unterwirft, in eigenthuͤmliche Ernaͤh-
rungsverhaͤltniſſe verſetzt, z. B. Luft und Licht ihm entzieht oder andere
auf ſeine Ernaͤhrung maͤchtig einwirkende Einfluͤſſe in beſtimmter Weiſe
abaͤndert. Die neue Exiſtenzbedingung bewirkt eine ſtarke und auffal-
lende Abaͤnderung der Geſtalt, aber nicht an dem unmittelbar davon
betroffenen Organismus, ſondern erſt an deſſen Nachkommenſchaft.
Die Art und Weiſe dieſer Einwirkung im Einzelnen zu erkennen, iſt
uns auch hier nicht moͤglich, und wir koͤnnen nur ganz im Allgemei-
nen den urſaͤchlichen Zuſammenhang zwiſchen der monſtroͤſen Bil-
dung des Kindes und einer gewiſſen Veraͤnderung in den Exiſtenzbe-
dingungen ſeiner Eltern, ſowie deren Einfluß auf die Fortpflanzungs-
organe der letzteren, feſtſtellen. Jn dieſe Reihe der monſtroͤſen oder
ſprungweiſen Abaͤnderungen gehoͤren wahrſcheinlich die fruͤher erwaͤhn-
ten Erſcheinungen des Albinismus, ſowie die einzelnen Faͤlle von
Menſchen mit ſechs Fingern und Zehen, von ungehoͤrnten Rindern, ſo-
wie von Schafen und Ziegen mit vier oder ſechs Hoͤrnern. Wahr-
ſcheinlich verdankt in allen dieſen Faͤllen die monſtroͤſe Abaͤnderung
ihre erſte Entſtehung einer Urſache, welche zunaͤchſt nur das Repro-
ductionsſyſtem des elterlichen Organismus afficirte.
Als eine dritte eigenthuͤmliche Aeußerung der indirecten Anpaſſung
koͤnnen wir das Geſetz der geſchlechtlichen oder ſexuellen
Anpaſſung bezeichnen. So nennen wir die merkwuͤrdige Thatſache,
daß beſtimmte Einfluͤſſe, welche auf die maͤnnlichen Fortpflanzungs-
organe einwirken, nur in der Formbildung der maͤnnlichen Nachkom-
men, und ebenſo andere Einfluͤſſe, welche die weiblichen Geſchlechts-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/203>, abgerufen am 29.11.2024.
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