schließen mit den beiden ungemein wichtigen Gesetzen der gleichört- lichen und der gleichzeitlichen Vererbung. Wir verstehen darunter die Thatsache, daß Veränderungen, welche von einem Organismus wäh- rend seines Lebens erworben und erblich auf seine Nachkommen über- tragen wurden, bei diesen an derselben Stelle des Körpers hervor- treten, an welcher der elterliche Organismus zuerst von ihnen betrof- fen wurde, und daß sie bei den Nachkommen auch im gleichen Lebens- alter erscheinen, wie bei dem ersteren.
Das Gesetz der gleichzeitlichen oder homochronen Vererbung, welches Darwin das Gesetz der "Vererbung in correspondirendem Lebensalter" nennt, läßt sich wiederum sehr deut- lich an der Vererbung von Krankheiten nachweisen, zumal von sol- chen, die wegen ihrer Erblichkeit sehr verderblich werden. Diese treten im kindlichen Organismus in der Regel zu einer Zeit auf, welche der- jenigen entspricht, in welcher der elterliche Organismus die Krankheit erwarb. Erbliche Erkrankungen der Lunge, der Leber, der Zähne, des Gehirns, der Haut u. s. w. erscheinen bei den Nachkommen ge- wöhnlich in der gleichen Zeit oder nur wenig früher, als sie beim elterlichen Organismus eintraten, oder von diesem überhaupt erwor- ben wurden. Das Kalb bekommt seine Hörner in demselben Lebens- alter wie seine Eltern. Ebenso erhält das junge Hirschkalb sein Ge- weih in derselben Lebenszeit, in welcher es bei seinem Vater und Groß- vater hervorgesproßt war. Bei jeder der verschiedenen Weinsorten reifen die Trauben zur selben Zeit, wie bei ihren Voreltern. Bekannt- lich ist diese Reifezeit bei den verschiedenen Sorten sehr verschieden; da aber alle von einer einzigen Art abstammen, ist diese Verschiedenheit von den Stammeltern der einzelnen Sorten erst erworben worden und hat sich dann erblich fortgepflanzt.
Das Gesetz der gleichörtlichen oder homotopen Vererbung endlich, welches mit dem letzterwähnten Gesetze im engsten Zusammenhange steht, und welches man auch "das Gesetz der Vererbung an correspondirender Körperstelle" nennen könnte, läßt sich wiederum in pathologischen Erblichkeitsfällen sehr deutlich erkennen. Große Mut-
Gleichzeitliche oder homochrone Vererbung.
ſchließen mit den beiden ungemein wichtigen Geſetzen der gleichoͤrt- lichen und der gleichzeitlichen Vererbung. Wir verſtehen darunter die Thatſache, daß Veraͤnderungen, welche von einem Organismus waͤh- rend ſeines Lebens erworben und erblich auf ſeine Nachkommen uͤber- tragen wurden, bei dieſen an derſelben Stelle des Koͤrpers hervor- treten, an welcher der elterliche Organismus zuerſt von ihnen betrof- fen wurde, und daß ſie bei den Nachkommen auch im gleichen Lebens- alter erſcheinen, wie bei dem erſteren.
Das Geſetz der gleichzeitlichen oder homochronen Vererbung, welches Darwin das Geſetz der „Vererbung in correſpondirendem Lebensalter“ nennt, laͤßt ſich wiederum ſehr deut- lich an der Vererbung von Krankheiten nachweiſen, zumal von ſol- chen, die wegen ihrer Erblichkeit ſehr verderblich werden. Dieſe treten im kindlichen Organismus in der Regel zu einer Zeit auf, welche der- jenigen entſpricht, in welcher der elterliche Organismus die Krankheit erwarb. Erbliche Erkrankungen der Lunge, der Leber, der Zaͤhne, des Gehirns, der Haut u. ſ. w. erſcheinen bei den Nachkommen ge- woͤhnlich in der gleichen Zeit oder nur wenig fruͤher, als ſie beim elterlichen Organismus eintraten, oder von dieſem uͤberhaupt erwor- ben wurden. Das Kalb bekommt ſeine Hoͤrner in demſelben Lebens- alter wie ſeine Eltern. Ebenſo erhaͤlt das junge Hirſchkalb ſein Ge- weih in derſelben Lebenszeit, in welcher es bei ſeinem Vater und Groß- vater hervorgeſproßt war. Bei jeder der verſchiedenen Weinſorten reifen die Trauben zur ſelben Zeit, wie bei ihren Voreltern. Bekannt- lich iſt dieſe Reifezeit bei den verſchiedenen Sorten ſehr verſchieden; da aber alle von einer einzigen Art abſtammen, iſt dieſe Verſchiedenheit von den Stammeltern der einzelnen Sorten erſt erworben worden und hat ſich dann erblich fortgepflanzt.
Das Geſetz der gleichoͤrtlichen oder homotopen Vererbung endlich, welches mit dem letzterwaͤhnten Geſetze im engſten Zuſammenhange ſteht, und welches man auch „das Geſetz der Vererbung an correſpondirender Koͤrperſtelle“ nennen koͤnnte, laͤßt ſich wiederum in pathologiſchen Erblichkeitsfaͤllen ſehr deutlich erkennen. Große Mut-
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Gleichzeitliche oder homochrone Vererbung.
ſchließen mit den beiden ungemein wichtigen Geſetzen der gleichoͤrt-
lichen und der gleichzeitlichen Vererbung. Wir verſtehen darunter die
Thatſache, daß Veraͤnderungen, welche von einem Organismus waͤh-
rend ſeines Lebens erworben und erblich auf ſeine Nachkommen uͤber-
tragen wurden, bei dieſen an derſelben Stelle des Koͤrpers hervor-
treten, an welcher der elterliche Organismus zuerſt von ihnen betrof-
fen wurde, und daß ſie bei den Nachkommen auch im gleichen Lebens-
alter erſcheinen, wie bei dem erſteren.
Das Geſetz der gleichzeitlichen oder homochronen
Vererbung, welches Darwin das Geſetz der „Vererbung in
correſpondirendem Lebensalter“ nennt, laͤßt ſich wiederum ſehr deut-
lich an der Vererbung von Krankheiten nachweiſen, zumal von ſol-
chen, die wegen ihrer Erblichkeit ſehr verderblich werden. Dieſe treten
im kindlichen Organismus in der Regel zu einer Zeit auf, welche der-
jenigen entſpricht, in welcher der elterliche Organismus die Krankheit
erwarb. Erbliche Erkrankungen der Lunge, der Leber, der Zaͤhne,
des Gehirns, der Haut u. ſ. w. erſcheinen bei den Nachkommen ge-
woͤhnlich in der gleichen Zeit oder nur wenig fruͤher, als ſie beim
elterlichen Organismus eintraten, oder von dieſem uͤberhaupt erwor-
ben wurden. Das Kalb bekommt ſeine Hoͤrner in demſelben Lebens-
alter wie ſeine Eltern. Ebenſo erhaͤlt das junge Hirſchkalb ſein Ge-
weih in derſelben Lebenszeit, in welcher es bei ſeinem Vater und Groß-
vater hervorgeſproßt war. Bei jeder der verſchiedenen Weinſorten
reifen die Trauben zur ſelben Zeit, wie bei ihren Voreltern. Bekannt-
lich iſt dieſe Reifezeit bei den verſchiedenen Sorten ſehr verſchieden; da
aber alle von einer einzigen Art abſtammen, iſt dieſe Verſchiedenheit
von den Stammeltern der einzelnen Sorten erſt erworben worden und
hat ſich dann erblich fortgepflanzt.
Das Geſetz der gleichoͤrtlichen oder homotopen
Vererbung endlich, welches mit dem letzterwaͤhnten Geſetze im engſten
Zuſammenhange ſteht, und welches man auch „das Geſetz der Vererbung
an correſpondirender Koͤrperſtelle“ nennen koͤnnte, laͤßt ſich wiederum
in pathologiſchen Erblichkeitsfaͤllen ſehr deutlich erkennen. Große Mut-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 171. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/192>, abgerufen am 30.11.2024.
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