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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Angepaßte oder erworbene Vererbung.
hat. Am deutlichsten zeigt sich diese Erscheinung natürlich dann, wenn
die neu erworbene Eigenthümlichkeit die ererbte Form bedeutend ab-
ändert. Das war in den Beispielen der Fall, welche ich Jhnen in
dem vorigen Vortrage von der Vererbung überhaupt angeführt habe,
bei den Menschen mit sechs Fingern und Zehen, den Stachelschwein-
menschen, den Blutbuchen, Trauerweiden u. s. w. Auch die Verer-
bung erworbener Krankheiten, z. B. der Schwindsucht, des Wahn-
sinns, beweist dies Gesetz sehr auffällig, ebenso die Vererbung des
Albinismus. Albinos oder Kakerlaken nennt man solche Jndividuen,
welche sich durch Mangel der Farbstoffe oder Pigmente in der Haut
auszeichnen. Solche kommen bei Menschen, Thieren und Pflanzen sehr
verbreitet vor. Bei Thieren, welche eine bestimmte dunkle Farbe
haben, werden nicht selten einzelne Jndividuen geboren, welche der
Farbe gänzlich entbehren, und bei den mit Augen versehenen Thieren
ist dieser Pigmentmangel auch auf die Augen ausgedehnt, so daß die
gewöhnlich lebhaft oder dunkel gefärbte Regenbogenhaut oder Jris
des Auges farblos ist, aber wegen der durchschimmernden Blutgefäße
roth erscheint. Bei manchen Thieren, z. B. den Kaninchen, Mäusen,
sind solche Albinos mit weißem Fell und rothen Augen so beliebt, daß
man sie in großer Menge als besondere Rasse hält und fortpflanzt.
Dies wäre nicht möglich ohne das Gesetz der angepaßten Verer-
bung.

Welche von einem Organismus erworbene Abänderungen sich
auf seine Nachkommen übertragen werden, welche nicht, ist von vorn-
herein nicht zu bestimmen, und wir kennen leider die bestimmten Be-
dingungen nicht, unter denen die Vererbung erfolgt. Wir wissen nur
im Allgemeinen, daß gewisse erworbene Eigenschaften sich viel leichter
vererben als andere, z. B. als die durch Verwundung entstehenden
Verstümmelungen. Diese letzteren werden in der Regel nicht erblich
übertragen; sonst müßten die Descendenten von Menschen, die ihre
Arme oder Beine verloren haben, auch mit dem Mangel des entspre-
chenden Armes oder Beines geboren werden. Ausnahmen sind aber
auch hier vorhanden, und man hat z. B. eine schwanzlose Hunderasse

Angepaßte oder erworbene Vererbung.
hat. Am deutlichſten zeigt ſich dieſe Erſcheinung natuͤrlich dann, wenn
die neu erworbene Eigenthuͤmlichkeit die ererbte Form bedeutend ab-
aͤndert. Das war in den Beiſpielen der Fall, welche ich Jhnen in
dem vorigen Vortrage von der Vererbung uͤberhaupt angefuͤhrt habe,
bei den Menſchen mit ſechs Fingern und Zehen, den Stachelſchwein-
menſchen, den Blutbuchen, Trauerweiden u. ſ. w. Auch die Verer-
bung erworbener Krankheiten, z. B. der Schwindſucht, des Wahn-
ſinns, beweiſt dies Geſetz ſehr auffaͤllig, ebenſo die Vererbung des
Albinismus. Albinos oder Kakerlaken nennt man ſolche Jndividuen,
welche ſich durch Mangel der Farbſtoffe oder Pigmente in der Haut
auszeichnen. Solche kommen bei Menſchen, Thieren und Pflanzen ſehr
verbreitet vor. Bei Thieren, welche eine beſtimmte dunkle Farbe
haben, werden nicht ſelten einzelne Jndividuen geboren, welche der
Farbe gaͤnzlich entbehren, und bei den mit Augen verſehenen Thieren
iſt dieſer Pigmentmangel auch auf die Augen ausgedehnt, ſo daß die
gewoͤhnlich lebhaft oder dunkel gefaͤrbte Regenbogenhaut oder Jris
des Auges farblos iſt, aber wegen der durchſchimmernden Blutgefaͤße
roth erſcheint. Bei manchen Thieren, z. B. den Kaninchen, Maͤuſen,
ſind ſolche Albinos mit weißem Fell und rothen Augen ſo beliebt, daß
man ſie in großer Menge als beſondere Raſſe haͤlt und fortpflanzt.
Dies waͤre nicht moͤglich ohne das Geſetz der angepaßten Verer-
bung.

Welche von einem Organismus erworbene Abaͤnderungen ſich
auf ſeine Nachkommen uͤbertragen werden, welche nicht, iſt von vorn-
herein nicht zu beſtimmen, und wir kennen leider die beſtimmten Be-
dingungen nicht, unter denen die Vererbung erfolgt. Wir wiſſen nur
im Allgemeinen, daß gewiſſe erworbene Eigenſchaften ſich viel leichter
vererben als andere, z. B. als die durch Verwundung entſtehenden
Verſtuͤmmelungen. Dieſe letzteren werden in der Regel nicht erblich
uͤbertragen; ſonſt muͤßten die Descendenten von Menſchen, die ihre
Arme oder Beine verloren haben, auch mit dem Mangel des entſpre-
chenden Armes oder Beines geboren werden. Ausnahmen ſind aber
auch hier vorhanden, und man hat z. B. eine ſchwanzloſe Hunderaſſe

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[168/0189] Angepaßte oder erworbene Vererbung. hat. Am deutlichſten zeigt ſich dieſe Erſcheinung natuͤrlich dann, wenn die neu erworbene Eigenthuͤmlichkeit die ererbte Form bedeutend ab- aͤndert. Das war in den Beiſpielen der Fall, welche ich Jhnen in dem vorigen Vortrage von der Vererbung uͤberhaupt angefuͤhrt habe, bei den Menſchen mit ſechs Fingern und Zehen, den Stachelſchwein- menſchen, den Blutbuchen, Trauerweiden u. ſ. w. Auch die Verer- bung erworbener Krankheiten, z. B. der Schwindſucht, des Wahn- ſinns, beweiſt dies Geſetz ſehr auffaͤllig, ebenſo die Vererbung des Albinismus. Albinos oder Kakerlaken nennt man ſolche Jndividuen, welche ſich durch Mangel der Farbſtoffe oder Pigmente in der Haut auszeichnen. Solche kommen bei Menſchen, Thieren und Pflanzen ſehr verbreitet vor. Bei Thieren, welche eine beſtimmte dunkle Farbe haben, werden nicht ſelten einzelne Jndividuen geboren, welche der Farbe gaͤnzlich entbehren, und bei den mit Augen verſehenen Thieren iſt dieſer Pigmentmangel auch auf die Augen ausgedehnt, ſo daß die gewoͤhnlich lebhaft oder dunkel gefaͤrbte Regenbogenhaut oder Jris des Auges farblos iſt, aber wegen der durchſchimmernden Blutgefaͤße roth erſcheint. Bei manchen Thieren, z. B. den Kaninchen, Maͤuſen, ſind ſolche Albinos mit weißem Fell und rothen Augen ſo beliebt, daß man ſie in großer Menge als beſondere Raſſe haͤlt und fortpflanzt. Dies waͤre nicht moͤglich ohne das Geſetz der angepaßten Verer- bung. Welche von einem Organismus erworbene Abaͤnderungen ſich auf ſeine Nachkommen uͤbertragen werden, welche nicht, iſt von vorn- herein nicht zu beſtimmen, und wir kennen leider die beſtimmten Be- dingungen nicht, unter denen die Vererbung erfolgt. Wir wiſſen nur im Allgemeinen, daß gewiſſe erworbene Eigenſchaften ſich viel leichter vererben als andere, z. B. als die durch Verwundung entſtehenden Verſtuͤmmelungen. Dieſe letzteren werden in der Regel nicht erblich uͤbertragen; ſonſt muͤßten die Descendenten von Menſchen, die ihre Arme oder Beine verloren haben, auch mit dem Mangel des entſpre- chenden Armes oder Beines geboren werden. Ausnahmen ſind aber auch hier vorhanden, und man hat z. B. eine ſchwanzloſe Hunderaſſe

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/189>, abgerufen am 04.12.2024.