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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Ununterbrochene oder continuirliche Vererbung.
bung solcher Eigenschaften, welcher der betreffende Organismus selbst
von seinen Eltern oder Vorfahren schon erhalten hat (Gen. Morph.
II, 180).

Unter den Erscheinungen der conservativen Vererbung tritt uns
zunächst als das allgemeinste Gesetz dasjenige entgegen, welches wir
das Gesetz der ununterbrochenen oder continuirlichen
Vererbung
nennen können. Dasselbe hat unter den höheren Thie-
ren und Pflanzen so allgemeine Gültigkeit, daß der Laie zunächst
seine Wirksamkeit überschätzen und es für das einzige, allein maßge-
bende Vererbungsgesetz halten dürfte. Es besteht dieses Gesetz einfach
darin, daß innerhalb der meisten Thier- oder Pflanzenarten jede Ge-
neration im Ganzen der andern gleich ist, daß die Eltern ebenso den
Großeltern, wie den Kindern ähnlich sind. "Gleiches erzeugt Glei-
ches", sagt man gewöhnlich, richtiger aber: "Aehnliches erzeugt Aehn-
liches". Denn in der That sind die Nachkommen oder Descendenten
eines jeden Organismus demselben niemals in allen Stücken absolut
gleich, sondern immer nur in einem mehr oder weniger hohen Grade
ähnlich. Dieses Gesetz ist so allgemein bekannt, daß ich keine Bei-
spiele dafür anzuführen brauche.

Jn einem gewissen Gegensatze zu demselben steht das Gesetz
der unterbrochenen oder latenten Vererbung,
welche
man auch als abwechselnde oder alternirende Vererbung bezeichnen
könnte. Dieses wichtige Gesetz erscheint hauptsächlich in Wirksamkeit
bei vielen niederen Thieren und Pflanzen, und äußert sich hier, im
Gegensatz zu dem ersteren, darin, daß die Kinder den Eltern nicht
gleich, sondern sehr unähnlich sind, und daß erst die dritte oder eine
spätere Generation der ersten wieder ähnlich wird. Die Enkel sind
den Großeltern gleich, den Eltern aber ganz unähnlich. Es ist das
eine merkwürdige Erscheinung, welche bekanntermaßen in geringerem
Grade auch in den menschlichen Familien sehr häufig auftritt. Zwei-
felsohne wird Jeder von Jhnen einzelne Familienglieder kennen, welche
in dieser oder jener Eigenthümlichkeit viel mehr dem Großvater oder
der Großmutter, als dem Vater oder der Mutter gleichen. Bald sind

Ununterbrochene oder continuirliche Vererbung.
bung ſolcher Eigenſchaften, welcher der betreffende Organismus ſelbſt
von ſeinen Eltern oder Vorfahren ſchon erhalten hat (Gen. Morph.
II, 180).

Unter den Erſcheinungen der conſervativen Vererbung tritt uns
zunaͤchſt als das allgemeinſte Geſetz dasjenige entgegen, welches wir
das Geſetz der ununterbrochenen oder continuirlichen
Vererbung
nennen koͤnnen. Daſſelbe hat unter den hoͤheren Thie-
ren und Pflanzen ſo allgemeine Guͤltigkeit, daß der Laie zunaͤchſt
ſeine Wirkſamkeit uͤberſchaͤtzen und es fuͤr das einzige, allein maßge-
bende Vererbungsgeſetz halten duͤrfte. Es beſteht dieſes Geſetz einfach
darin, daß innerhalb der meiſten Thier- oder Pflanzenarten jede Ge-
neration im Ganzen der andern gleich iſt, daß die Eltern ebenſo den
Großeltern, wie den Kindern aͤhnlich ſind. „Gleiches erzeugt Glei-
ches“, ſagt man gewoͤhnlich, richtiger aber: „Aehnliches erzeugt Aehn-
liches“. Denn in der That ſind die Nachkommen oder Deſcendenten
eines jeden Organismus demſelben niemals in allen Stuͤcken abſolut
gleich, ſondern immer nur in einem mehr oder weniger hohen Grade
aͤhnlich. Dieſes Geſetz iſt ſo allgemein bekannt, daß ich keine Bei-
ſpiele dafuͤr anzufuͤhren brauche.

Jn einem gewiſſen Gegenſatze zu demſelben ſteht das Geſetz
der unterbrochenen oder latenten Vererbung,
welche
man auch als abwechſelnde oder alternirende Vererbung bezeichnen
koͤnnte. Dieſes wichtige Geſetz erſcheint hauptſaͤchlich in Wirkſamkeit
bei vielen niederen Thieren und Pflanzen, und aͤußert ſich hier, im
Gegenſatz zu dem erſteren, darin, daß die Kinder den Eltern nicht
gleich, ſondern ſehr unaͤhnlich ſind, und daß erſt die dritte oder eine
ſpaͤtere Generation der erſten wieder aͤhnlich wird. Die Enkel ſind
den Großeltern gleich, den Eltern aber ganz unaͤhnlich. Es iſt das
eine merkwuͤrdige Erſcheinung, welche bekanntermaßen in geringerem
Grade auch in den menſchlichen Familien ſehr haͤufig auftritt. Zwei-
felsohne wird Jeder von Jhnen einzelne Familienglieder kennen, welche
in dieſer oder jener Eigenthuͤmlichkeit viel mehr dem Großvater oder
der Großmutter, als dem Vater oder der Mutter gleichen. Bald ſind

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[160/0181] Ununterbrochene oder continuirliche Vererbung. bung ſolcher Eigenſchaften, welcher der betreffende Organismus ſelbſt von ſeinen Eltern oder Vorfahren ſchon erhalten hat (Gen. Morph. II, 180). Unter den Erſcheinungen der conſervativen Vererbung tritt uns zunaͤchſt als das allgemeinſte Geſetz dasjenige entgegen, welches wir das Geſetz der ununterbrochenen oder continuirlichen Vererbung nennen koͤnnen. Daſſelbe hat unter den hoͤheren Thie- ren und Pflanzen ſo allgemeine Guͤltigkeit, daß der Laie zunaͤchſt ſeine Wirkſamkeit uͤberſchaͤtzen und es fuͤr das einzige, allein maßge- bende Vererbungsgeſetz halten duͤrfte. Es beſteht dieſes Geſetz einfach darin, daß innerhalb der meiſten Thier- oder Pflanzenarten jede Ge- neration im Ganzen der andern gleich iſt, daß die Eltern ebenſo den Großeltern, wie den Kindern aͤhnlich ſind. „Gleiches erzeugt Glei- ches“, ſagt man gewoͤhnlich, richtiger aber: „Aehnliches erzeugt Aehn- liches“. Denn in der That ſind die Nachkommen oder Deſcendenten eines jeden Organismus demſelben niemals in allen Stuͤcken abſolut gleich, ſondern immer nur in einem mehr oder weniger hohen Grade aͤhnlich. Dieſes Geſetz iſt ſo allgemein bekannt, daß ich keine Bei- ſpiele dafuͤr anzufuͤhren brauche. Jn einem gewiſſen Gegenſatze zu demſelben ſteht das Geſetz der unterbrochenen oder latenten Vererbung, welche man auch als abwechſelnde oder alternirende Vererbung bezeichnen koͤnnte. Dieſes wichtige Geſetz erſcheint hauptſaͤchlich in Wirkſamkeit bei vielen niederen Thieren und Pflanzen, und aͤußert ſich hier, im Gegenſatz zu dem erſteren, darin, daß die Kinder den Eltern nicht gleich, ſondern ſehr unaͤhnlich ſind, und daß erſt die dritte oder eine ſpaͤtere Generation der erſten wieder aͤhnlich wird. Die Enkel ſind den Großeltern gleich, den Eltern aber ganz unaͤhnlich. Es iſt das eine merkwuͤrdige Erſcheinung, welche bekanntermaßen in geringerem Grade auch in den menſchlichen Familien ſehr haͤufig auftritt. Zwei- felsohne wird Jeder von Jhnen einzelne Familienglieder kennen, welche in dieſer oder jener Eigenthuͤmlichkeit viel mehr dem Großvater oder der Großmutter, als dem Vater oder der Mutter gleichen. Bald ſind

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 160. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/181>, abgerufen am 26.11.2024.