Unterschied der geschlechtlichen und ungeschlechtlichen Vererbung.
sondern nur durch ungeschlechtliche Fortpflanzung vererben. Die von einem solchen Trauerbaum abgeschnittenen Zweige, als Stecklinge ge- pflanzt, bilden späterhin Bäume, welche ebenfalls hängende Aeste haben, wie z. B. die Trauerweiden, Trauerbuchen. Samenpflanzen dagegen, welche man aus den Samen eines solchen Trauerbaumes zieht, erhalten in der Regel wieder die ursprüngliche, steife und auf- rechte Zweigform der Voreltern. Jn sehr auffallender Weise kann man dasselbe auch an den sogenannten "Blutbäumen" wahrnehmen, d. h. Spielarten von Bäumen, welche sich durch rothe oder rothbraune Farbe der Blätter auszeichnen. Abkömmlinge von solchen Blutbäu- men (z. B. Blutbuchen), welche man durch ungeschlechtliche Fortpflan- zung, durch Stecklinge von Knospen und Zweigen erzeugt, zeigen die eigenthümliche Farbe und Beschaffenheit der Blätter, welche das elter- liche Jndividuum auszeichnet, während andere, aus den Samen der Blutbäume gezogene Jndividuen in die grüne Blattfarbe zurückschlagen.
Dieser Unterschied in der Vererbung wird Jhnen sehr natürlich vorkommen, sobald Sie erwägen, daß der materielle Zusammenhang zwischen zeugenden und erzeugten Jndividuen bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung viel inniger ist und viel länger dauert, als bei der ge- schlechtlichen. Auch geht bei der letzteren ein viel kleineres Stück der elterlichen Materie auf den kindlichen Organismus über, als bei der ersteren. Die individuelle Richtung der Lebensbewegung kann sich daher bei der ungeschlechtlichen Fortpflanzung viel länger und gründ- licher in dem kindlichen Organismus befestigen, und viel strenger ver- erben. Alle diese Erscheinungen im Zusammenhang betrachtet bezeugen klar, daß die Vererbung der körperlichen und geistigen Eigenschaften ein rein materieller, mechanischer Vorgang ist, und daß die Uebertra- gung eines größern oder geringern Stofftheilchens vom elterlichen Or- ganismus auf den kindlichen die einzige Ursache der Aehnlichkeit zwi- schen Beiden ist. Sie erklären uns hinlänglich, warum auch die feine- ren Eigenthümlichkeiten, die an der Materie des elterlichen Organis- mus haften, früher oder später an der Materie des kindlichen Or- ganismus wieder erscheinen.
Unterſchied der geſchlechtlichen und ungeſchlechtlichen Vererbung.
ſondern nur durch ungeſchlechtliche Fortpflanzung vererben. Die von einem ſolchen Trauerbaum abgeſchnittenen Zweige, als Stecklinge ge- pflanzt, bilden ſpaͤterhin Baͤume, welche ebenfalls haͤngende Aeſte haben, wie z. B. die Trauerweiden, Trauerbuchen. Samenpflanzen dagegen, welche man aus den Samen eines ſolchen Trauerbaumes zieht, erhalten in der Regel wieder die urſpruͤngliche, ſteife und auf- rechte Zweigform der Voreltern. Jn ſehr auffallender Weiſe kann man daſſelbe auch an den ſogenannten „Blutbaͤumen“ wahrnehmen, d. h. Spielarten von Baͤumen, welche ſich durch rothe oder rothbraune Farbe der Blaͤtter auszeichnen. Abkoͤmmlinge von ſolchen Blutbaͤu- men (z. B. Blutbuchen), welche man durch ungeſchlechtliche Fortpflan- zung, durch Stecklinge von Knospen und Zweigen erzeugt, zeigen die eigenthuͤmliche Farbe und Beſchaffenheit der Blaͤtter, welche das elter- liche Jndividuum auszeichnet, waͤhrend andere, aus den Samen der Blutbaͤume gezogene Jndividuen in die gruͤne Blattfarbe zuruͤckſchlagen.
Dieſer Unterſchied in der Vererbung wird Jhnen ſehr natuͤrlich vorkommen, ſobald Sie erwaͤgen, daß der materielle Zuſammenhang zwiſchen zeugenden und erzeugten Jndividuen bei der ungeſchlechtlichen Fortpflanzung viel inniger iſt und viel laͤnger dauert, als bei der ge- ſchlechtlichen. Auch geht bei der letzteren ein viel kleineres Stuͤck der elterlichen Materie auf den kindlichen Organismus uͤber, als bei der erſteren. Die individuelle Richtung der Lebensbewegung kann ſich daher bei der ungeſchlechtlichen Fortpflanzung viel laͤnger und gruͤnd- licher in dem kindlichen Organismus befeſtigen, und viel ſtrenger ver- erben. Alle dieſe Erſcheinungen im Zuſammenhang betrachtet bezeugen klar, daß die Vererbung der koͤrperlichen und geiſtigen Eigenſchaften ein rein materieller, mechaniſcher Vorgang iſt, und daß die Uebertra- gung eines groͤßern oder geringern Stofftheilchens vom elterlichen Or- ganismus auf den kindlichen die einzige Urſache der Aehnlichkeit zwi- ſchen Beiden iſt. Sie erklaͤren uns hinlaͤnglich, warum auch die feine- ren Eigenthuͤmlichkeiten, die an der Materie des elterlichen Organis- mus haften, fruͤher oder ſpaͤter an der Materie des kindlichen Or- ganismus wieder erſcheinen.
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Unterſchied der geſchlechtlichen und ungeſchlechtlichen Vererbung.
ſondern nur durch ungeſchlechtliche Fortpflanzung vererben. Die von
einem ſolchen Trauerbaum abgeſchnittenen Zweige, als Stecklinge ge-
pflanzt, bilden ſpaͤterhin Baͤume, welche ebenfalls haͤngende Aeſte
haben, wie z. B. die Trauerweiden, Trauerbuchen. Samenpflanzen
dagegen, welche man aus den Samen eines ſolchen Trauerbaumes
zieht, erhalten in der Regel wieder die urſpruͤngliche, ſteife und auf-
rechte Zweigform der Voreltern. Jn ſehr auffallender Weiſe kann
man daſſelbe auch an den ſogenannten „Blutbaͤumen“ wahrnehmen,
d. h. Spielarten von Baͤumen, welche ſich durch rothe oder rothbraune
Farbe der Blaͤtter auszeichnen. Abkoͤmmlinge von ſolchen Blutbaͤu-
men (z. B. Blutbuchen), welche man durch ungeſchlechtliche Fortpflan-
zung, durch Stecklinge von Knospen und Zweigen erzeugt, zeigen die
eigenthuͤmliche Farbe und Beſchaffenheit der Blaͤtter, welche das elter-
liche Jndividuum auszeichnet, waͤhrend andere, aus den Samen der
Blutbaͤume gezogene Jndividuen in die gruͤne Blattfarbe zuruͤckſchlagen.
Dieſer Unterſchied in der Vererbung wird Jhnen ſehr natuͤrlich
vorkommen, ſobald Sie erwaͤgen, daß der materielle Zuſammenhang
zwiſchen zeugenden und erzeugten Jndividuen bei der ungeſchlechtlichen
Fortpflanzung viel inniger iſt und viel laͤnger dauert, als bei der ge-
ſchlechtlichen. Auch geht bei der letzteren ein viel kleineres Stuͤck der
elterlichen Materie auf den kindlichen Organismus uͤber, als bei der
erſteren. Die individuelle Richtung der Lebensbewegung kann ſich
daher bei der ungeſchlechtlichen Fortpflanzung viel laͤnger und gruͤnd-
licher in dem kindlichen Organismus befeſtigen, und viel ſtrenger ver-
erben. Alle dieſe Erſcheinungen im Zuſammenhang betrachtet bezeugen
klar, daß die Vererbung der koͤrperlichen und geiſtigen Eigenſchaften
ein rein materieller, mechaniſcher Vorgang iſt, und daß die Uebertra-
gung eines groͤßern oder geringern Stofftheilchens vom elterlichen Or-
ganismus auf den kindlichen die einzige Urſache der Aehnlichkeit zwi-
ſchen Beiden iſt. Sie erklaͤren uns hinlaͤnglich, warum auch die feine-
ren Eigenthuͤmlichkeiten, die an der Materie des elterlichen Organis-
mus haften, fruͤher oder ſpaͤter an der Materie des kindlichen Or-
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/178>, abgerufen am 24.07.2024.
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