der ihn zusammensetzenden Zellen, auf der einfachen Fortpflanzung durch Theilung beruht, so wird es Jhnen klar, daß alle diese merk- würdigen Vorgänge in eine Reihe gehören, und daß überall die Uebertragung eines Theiles der elterlichen Materie auf den kindlichen Organismus einzig und allein die Ursache der Vererbung, die mecha- nische Ursache der Uebertragung auch der Formen und Lebenser- scheinungen vom zeugenden auf den erzeugten Organismus ist.
Das Leben jedes organischen Jndividuums ist Nichts weiter, als eine zusammenhängende Kette von sehr verwickelten materiellen Bewe- gungserscheinungen. Die specifisch bestimmte Richtung dieser gleich- artigen, anhaltenden, immanenten Lebensbewegung wird in jedem Or- ganismus durch die materielle Beschaffenheit, durch die chemische Mischung des eiweißartigen Zeugungsstoffes bedingt, welcher ihm den Ursprung gab. Bei dem Menschen, wie bei den höheren Thieren, welche geschlechtlich sich fortpflanzen, beginnt die individuelle Lebens- bewegung in dem Momente, in welchem die Eizelle von den Sa- menfäden des Sperma befruchtet wird, in welchem beide Zeugungs- stoffe sich thatsächlich vermischen, und hier wird nun die Richtung der Lebensbewegung durch die specifische, oder richtiger individuelle Be- schaffenheit sowohl des Samens als des Eies bestimmt. Ueber die rein mechanische, materielle Natur dieses Vorgangs kann kein Zwei- fel sein. Aber staunend und bewundernd müssen wir hier vor der unendlichen, für uns unfaßbaren Feinheit der eiweißartigen Materie still stehen. Staunen müssen wir über die unleugbare Thatsache, daß die einfache Eizelle der Mutter, der einzige Samenfaden des Vaters die individuelle Lebensbewegung dieser beiden Jndividuen so genau auf das Kind überträgt, daß nachher die feinsten körperlichen und geistigen Eigenthümlichkeiten der beiden Eltern an diesem wieder zum Vorschein kommen.
Hier stehen wir vor einer mechanischen Naturerscheinung, von welcher Virchow, der geistvolle Begründer der "Cellularpathologie", mit vollem Rechte sagt: "Wenn der Naturforscher dem Gebrauche der Geschichtschreiber und Kanzelredner zu folgen liebte, ungeheure und
Vererbung durch geſchlechtliche Fortpflanzung.
der ihn zuſammenſetzenden Zellen, auf der einfachen Fortpflanzung durch Theilung beruht, ſo wird es Jhnen klar, daß alle dieſe merk- wuͤrdigen Vorgaͤnge in eine Reihe gehoͤren, und daß uͤberall die Uebertragung eines Theiles der elterlichen Materie auf den kindlichen Organismus einzig und allein die Urſache der Vererbung, die mecha- niſche Urſache der Uebertragung auch der Formen und Lebenser- ſcheinungen vom zeugenden auf den erzeugten Organismus iſt.
Das Leben jedes organiſchen Jndividuums iſt Nichts weiter, als eine zuſammenhaͤngende Kette von ſehr verwickelten materiellen Bewe- gungserſcheinungen. Die ſpecifiſch beſtimmte Richtung dieſer gleich- artigen, anhaltenden, immanenten Lebensbewegung wird in jedem Or- ganismus durch die materielle Beſchaffenheit, durch die chemiſche Miſchung des eiweißartigen Zeugungsſtoffes bedingt, welcher ihm den Urſprung gab. Bei dem Menſchen, wie bei den hoͤheren Thieren, welche geſchlechtlich ſich fortpflanzen, beginnt die individuelle Lebens- bewegung in dem Momente, in welchem die Eizelle von den Sa- menfaͤden des Sperma befruchtet wird, in welchem beide Zeugungs- ſtoffe ſich thatſaͤchlich vermiſchen, und hier wird nun die Richtung der Lebensbewegung durch die ſpecifiſche, oder richtiger individuelle Be- ſchaffenheit ſowohl des Samens als des Eies beſtimmt. Ueber die rein mechaniſche, materielle Natur dieſes Vorgangs kann kein Zwei- fel ſein. Aber ſtaunend und bewundernd muͤſſen wir hier vor der unendlichen, fuͤr uns unfaßbaren Feinheit der eiweißartigen Materie ſtill ſtehen. Staunen muͤſſen wir uͤber die unleugbare Thatſache, daß die einfache Eizelle der Mutter, der einzige Samenfaden des Vaters die individuelle Lebensbewegung dieſer beiden Jndividuen ſo genau auf das Kind uͤbertraͤgt, daß nachher die feinſten koͤrperlichen und geiſtigen Eigenthuͤmlichkeiten der beiden Eltern an dieſem wieder zum Vorſchein kommen.
Hier ſtehen wir vor einer mechaniſchen Naturerſcheinung, von welcher Virchow, der geiſtvolle Begruͤnder der „Cellularpathologie“, mit vollem Rechte ſagt: „Wenn der Naturforſcher dem Gebrauche der Geſchichtſchreiber und Kanzelredner zu folgen liebte, ungeheure und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0176"n="155"/><fwplace="top"type="header">Vererbung durch geſchlechtliche Fortpflanzung.</fw><lb/>
der ihn zuſammenſetzenden Zellen, auf der einfachen Fortpflanzung<lb/>
durch Theilung beruht, ſo wird es Jhnen klar, daß alle dieſe merk-<lb/>
wuͤrdigen Vorgaͤnge in eine Reihe gehoͤren, und daß uͤberall die<lb/>
Uebertragung eines Theiles der elterlichen Materie auf den kindlichen<lb/>
Organismus einzig und allein die Urſache der Vererbung, die mecha-<lb/>
niſche Urſache der Uebertragung auch der Formen und Lebenser-<lb/>ſcheinungen vom zeugenden auf den erzeugten Organismus iſt.</p><lb/><p>Das Leben jedes organiſchen Jndividuums iſt Nichts weiter, als<lb/>
eine zuſammenhaͤngende Kette von ſehr verwickelten materiellen Bewe-<lb/>
gungserſcheinungen. Die ſpecifiſch beſtimmte Richtung dieſer gleich-<lb/>
artigen, anhaltenden, immanenten Lebensbewegung wird in jedem Or-<lb/>
ganismus durch die materielle Beſchaffenheit, durch die chemiſche<lb/>
Miſchung des eiweißartigen Zeugungsſtoffes bedingt, welcher ihm<lb/>
den Urſprung gab. Bei dem Menſchen, wie bei den hoͤheren Thieren,<lb/>
welche geſchlechtlich ſich fortpflanzen, beginnt die individuelle Lebens-<lb/>
bewegung in dem Momente, in welchem die Eizelle von den Sa-<lb/>
menfaͤden des Sperma befruchtet wird, in welchem beide Zeugungs-<lb/>ſtoffe ſich thatſaͤchlich vermiſchen, und hier wird nun die Richtung der<lb/>
Lebensbewegung durch die ſpecifiſche, oder richtiger individuelle Be-<lb/>ſchaffenheit ſowohl des Samens als des Eies beſtimmt. Ueber die<lb/>
rein mechaniſche, materielle Natur dieſes Vorgangs kann kein Zwei-<lb/>
fel ſein. Aber ſtaunend und bewundernd muͤſſen wir hier vor der<lb/>
unendlichen, fuͤr uns unfaßbaren Feinheit der eiweißartigen Materie<lb/>ſtill ſtehen. Staunen muͤſſen wir uͤber die unleugbare Thatſache, daß<lb/>
die einfache Eizelle der Mutter, der einzige Samenfaden des Vaters<lb/>
die individuelle Lebensbewegung dieſer beiden Jndividuen ſo genau<lb/>
auf das Kind uͤbertraͤgt, daß nachher die feinſten koͤrperlichen und<lb/>
geiſtigen Eigenthuͤmlichkeiten der beiden Eltern an dieſem wieder zum<lb/>
Vorſchein kommen.</p><lb/><p>Hier ſtehen wir vor einer mechaniſchen Naturerſcheinung, von<lb/>
welcher <hirendition="#g">Virchow,</hi> der geiſtvolle Begruͤnder der „Cellularpathologie“,<lb/>
mit vollem Rechte ſagt: „Wenn der Naturforſcher dem Gebrauche<lb/>
der Geſchichtſchreiber und Kanzelredner zu folgen liebte, ungeheure und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[155/0176]
Vererbung durch geſchlechtliche Fortpflanzung.
der ihn zuſammenſetzenden Zellen, auf der einfachen Fortpflanzung
durch Theilung beruht, ſo wird es Jhnen klar, daß alle dieſe merk-
wuͤrdigen Vorgaͤnge in eine Reihe gehoͤren, und daß uͤberall die
Uebertragung eines Theiles der elterlichen Materie auf den kindlichen
Organismus einzig und allein die Urſache der Vererbung, die mecha-
niſche Urſache der Uebertragung auch der Formen und Lebenser-
ſcheinungen vom zeugenden auf den erzeugten Organismus iſt.
Das Leben jedes organiſchen Jndividuums iſt Nichts weiter, als
eine zuſammenhaͤngende Kette von ſehr verwickelten materiellen Bewe-
gungserſcheinungen. Die ſpecifiſch beſtimmte Richtung dieſer gleich-
artigen, anhaltenden, immanenten Lebensbewegung wird in jedem Or-
ganismus durch die materielle Beſchaffenheit, durch die chemiſche
Miſchung des eiweißartigen Zeugungsſtoffes bedingt, welcher ihm
den Urſprung gab. Bei dem Menſchen, wie bei den hoͤheren Thieren,
welche geſchlechtlich ſich fortpflanzen, beginnt die individuelle Lebens-
bewegung in dem Momente, in welchem die Eizelle von den Sa-
menfaͤden des Sperma befruchtet wird, in welchem beide Zeugungs-
ſtoffe ſich thatſaͤchlich vermiſchen, und hier wird nun die Richtung der
Lebensbewegung durch die ſpecifiſche, oder richtiger individuelle Be-
ſchaffenheit ſowohl des Samens als des Eies beſtimmt. Ueber die
rein mechaniſche, materielle Natur dieſes Vorgangs kann kein Zwei-
fel ſein. Aber ſtaunend und bewundernd muͤſſen wir hier vor der
unendlichen, fuͤr uns unfaßbaren Feinheit der eiweißartigen Materie
ſtill ſtehen. Staunen muͤſſen wir uͤber die unleugbare Thatſache, daß
die einfache Eizelle der Mutter, der einzige Samenfaden des Vaters
die individuelle Lebensbewegung dieſer beiden Jndividuen ſo genau
auf das Kind uͤbertraͤgt, daß nachher die feinſten koͤrperlichen und
geiſtigen Eigenthuͤmlichkeiten der beiden Eltern an dieſem wieder zum
Vorſchein kommen.
Hier ſtehen wir vor einer mechaniſchen Naturerſcheinung, von
welcher Virchow, der geiſtvolle Begruͤnder der „Cellularpathologie“,
mit vollem Rechte ſagt: „Wenn der Naturforſcher dem Gebrauche
der Geſchichtſchreiber und Kanzelredner zu folgen liebte, ungeheure und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/176>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.