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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Zwitterbildung und Geschlechtstrennung.
gruppe für sich allein im Stande war, sich zu einem neuen Jndividuum
auszubilden, so muß dieselbe dagegen bei der geschlechtlichen Fort-
pflanzung erst durch einen anderen Zeugungsstoff befruchtet werden.
Der befruchtende männliche Samen muß sich erst mit der weiblichen
Keimzelle, dem Ei, vermischen, ehe sich dieses zu einem neuen Jndi-
viduum entwickeln kann. Diese beiden verschiedenen Zeugungsstoffe,
der männliche Samen und das weibliche Ei, werden entweder von
einem und demselben Jndividuum erzeugt (Hermaphroditismus) oder
von zwei verschiedenen Jndividuen (Gonochorismus) (Gen. Morph.
II., 58--59).

Die einfachere Form der geschlechtlichen Fortpflanzung ist die
Zwitterbildung (Hermaphroditismus). Sie findet sich bei
der großen Mehrzahl der Pflanzen, aber nur bei einer großen Minder-
zahl der Thiere, z. B. bei den Gartenschnecken, Blutegeln, Regen-
würmern und vielen andern Würmern. Jedes einzelne Jndividuum
erzeugt als Zwitter (Hermaphroditus) in sich beiderlei Geschlechts-
stoffe, Eier und Samen. Bei den meisten höheren Pflanzen enthält
jede Blüthe sowohl die männlichen Organe (Staubfäden und Staub-
beutel) als die weiblichen Organe (Griffel und Fruchtknoten). Jede
Gartenschnecke erzeugt an einer Stelle ihrer Geschlechtsdrüse Eier, an
einer andern Samen. Viele Zwitter können sich selbst befruchten; bei
anderen dagegen ist eine Copulation und gegenseitige Befruchtung
zweier Zwitter nothwendig, um die Eier zur Entwickelung zu veran-
lassen. Dieser letztere Fall ist offenbar schon der Uebergang zur Ge-
schlechtstrennung.

Die Geschlechtstrennung (Gonochorismus), die verwickel-
tere von beiden Arten der geschlechtlichen Zeugung, hat sich offenbar erst
in einer viel späteren Zeit der organischen Erdgeschichte aus der Zwit-
terbildung entwickelt. Sie ist gegenwärtig die allgemeine Fortpflan-
zungsart der höheren Thiere, findet sich dagegen nur bei einer ge-
ringeren Anzahl von Pflanzen (z. B. manchen Wasserpflanzen, Hydro-
charis, Vallisneria
) und Bäumen (Weiden, Pappeln). Jedes or-
ganische Jndividuum als Nichtzwitter (Gonochoristus) erzeugt in

Zwitterbildung und Geſchlechtstrennung.
gruppe fuͤr ſich allein im Stande war, ſich zu einem neuen Jndividuum
auszubilden, ſo muß dieſelbe dagegen bei der geſchlechtlichen Fort-
pflanzung erſt durch einen anderen Zeugungsſtoff befruchtet werden.
Der befruchtende maͤnnliche Samen muß ſich erſt mit der weiblichen
Keimzelle, dem Ei, vermiſchen, ehe ſich dieſes zu einem neuen Jndi-
viduum entwickeln kann. Dieſe beiden verſchiedenen Zeugungsſtoffe,
der maͤnnliche Samen und das weibliche Ei, werden entweder von
einem und demſelben Jndividuum erzeugt (Hermaphroditismus) oder
von zwei verſchiedenen Jndividuen (Gonochorismus) (Gen. Morph.
II., 58—59).

Die einfachere Form der geſchlechtlichen Fortpflanzung iſt die
Zwitterbildung (Hermaphroditismus). Sie findet ſich bei
der großen Mehrzahl der Pflanzen, aber nur bei einer großen Minder-
zahl der Thiere, z. B. bei den Gartenſchnecken, Blutegeln, Regen-
wuͤrmern und vielen andern Wuͤrmern. Jedes einzelne Jndividuum
erzeugt als Zwitter (Hermaphroditus) in ſich beiderlei Geſchlechts-
ſtoffe, Eier und Samen. Bei den meiſten hoͤheren Pflanzen enthaͤlt
jede Bluͤthe ſowohl die maͤnnlichen Organe (Staubfaͤden und Staub-
beutel) als die weiblichen Organe (Griffel und Fruchtknoten). Jede
Gartenſchnecke erzeugt an einer Stelle ihrer Geſchlechtsdruͤſe Eier, an
einer andern Samen. Viele Zwitter koͤnnen ſich ſelbſt befruchten; bei
anderen dagegen iſt eine Copulation und gegenſeitige Befruchtung
zweier Zwitter nothwendig, um die Eier zur Entwickelung zu veran-
laſſen. Dieſer letztere Fall iſt offenbar ſchon der Uebergang zur Ge-
ſchlechtstrennung.

Die Geſchlechtstrennung (Gonochorismus), die verwickel-
tere von beiden Arten der geſchlechtlichen Zeugung, hat ſich offenbar erſt
in einer viel ſpaͤteren Zeit der organiſchen Erdgeſchichte aus der Zwit-
terbildung entwickelt. Sie iſt gegenwaͤrtig die allgemeine Fortpflan-
zungsart der hoͤheren Thiere, findet ſich dagegen nur bei einer ge-
ringeren Anzahl von Pflanzen (z. B. manchen Waſſerpflanzen, Hydro-
charis, Vallisneria
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[152/0173] Zwitterbildung und Geſchlechtstrennung. gruppe fuͤr ſich allein im Stande war, ſich zu einem neuen Jndividuum auszubilden, ſo muß dieſelbe dagegen bei der geſchlechtlichen Fort- pflanzung erſt durch einen anderen Zeugungsſtoff befruchtet werden. Der befruchtende maͤnnliche Samen muß ſich erſt mit der weiblichen Keimzelle, dem Ei, vermiſchen, ehe ſich dieſes zu einem neuen Jndi- viduum entwickeln kann. Dieſe beiden verſchiedenen Zeugungsſtoffe, der maͤnnliche Samen und das weibliche Ei, werden entweder von einem und demſelben Jndividuum erzeugt (Hermaphroditismus) oder von zwei verſchiedenen Jndividuen (Gonochorismus) (Gen. Morph. II., 58—59). Die einfachere Form der geſchlechtlichen Fortpflanzung iſt die Zwitterbildung (Hermaphroditismus). Sie findet ſich bei der großen Mehrzahl der Pflanzen, aber nur bei einer großen Minder- zahl der Thiere, z. B. bei den Gartenſchnecken, Blutegeln, Regen- wuͤrmern und vielen andern Wuͤrmern. Jedes einzelne Jndividuum erzeugt als Zwitter (Hermaphroditus) in ſich beiderlei Geſchlechts- ſtoffe, Eier und Samen. Bei den meiſten hoͤheren Pflanzen enthaͤlt jede Bluͤthe ſowohl die maͤnnlichen Organe (Staubfaͤden und Staub- beutel) als die weiblichen Organe (Griffel und Fruchtknoten). Jede Gartenſchnecke erzeugt an einer Stelle ihrer Geſchlechtsdruͤſe Eier, an einer andern Samen. Viele Zwitter koͤnnen ſich ſelbſt befruchten; bei anderen dagegen iſt eine Copulation und gegenſeitige Befruchtung zweier Zwitter nothwendig, um die Eier zur Entwickelung zu veran- laſſen. Dieſer letztere Fall iſt offenbar ſchon der Uebergang zur Ge- ſchlechtstrennung. Die Geſchlechtstrennung (Gonochorismus), die verwickel- tere von beiden Arten der geſchlechtlichen Zeugung, hat ſich offenbar erſt in einer viel ſpaͤteren Zeit der organiſchen Erdgeſchichte aus der Zwit- terbildung entwickelt. Sie iſt gegenwaͤrtig die allgemeine Fortpflan- zungsart der hoͤheren Thiere, findet ſich dagegen nur bei einer ge- ringeren Anzahl von Pflanzen (z. B. manchen Waſſerpflanzen, Hydro- charis, Vallisneria) und Baͤumen (Weiden, Pappeln). Jedes or- ganiſche Jndividuum als Nichtzwitter (Gonochoristus) erzeugt in

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 152. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/173>, abgerufen am 25.11.2024.