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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868.

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Darwin's Theorie vom Kampfe um's Dasein.
strengen Sinne nicht hierher gehören. Zu der Jdee des "Struggle for
life"
gelangte Darwin, wie aus dem in der letzten Stunde mitge-
theilten Briefe ersichtlich ist, durch das Studium des Buches von Mal-
thus
"über die Bedingung und die Folgen der Volksvermehrung."
Jn diesem wichtigen Werke wurde der Beweis geführt, daß die Zahl
der Menschen im Ganzen durchschnittlich in geometrischer Progression
wächst, während die Menge ihrer Nahrungsmittel nur in arithme-
thischer Progression zunimmt. Aus diesem Mißverhältnisse entsprin-
gen eine Masse von Uebelständen in der menschlichen Gesellschaft,
welche einen beständigen Wettkampf der Menschen um die Erlangung
der nothwendigen, aber nicht für Alle ausreichenden Unterhaltsmittel
veranlassen.

Darwin's Theorie vom Kampfe um das Dasein ist gewisser-
maßen eine allgemeine Anwendung der Bevölkerungstheorie von Mal-
thus
auf die Gesammtheit der organischen Natur. Sie geht von
der Erwägung aus, daß die Zahl der möglichen organischen Jndivi-
duen, welche aus den erzeugten Keimen hervorgehen könnten, viel
größer ist, als die Zahl der wirklichen Jndividuen, welche that-
sächlich gleichzeitig auf der Erdoberfläche leben; die Zahl der mögli-
chen oder potentiellen Jndividuen wird uns gegeben durch die Zahl
der Eier und der ungeschlechtlichen Keime, welche die Organismen er-
zeugen. Die Zahl dieser Keime, aus deren jedem unter günstigen
Verhältnissen ein Jndividuum entstehen könnte, ist sehr viel größer,
als die Zahl der wirklichen oder actuellen Jndividuen, d. h. derjeni-
gen, welche wirklich aus diesen Keimen entstehen, zum Leben gelan-
gen und sich fortpflanzen. Die bei weitem größte Zahl aller Keime
geht in der frühesten Lebenszeit zu Grunde, und es sind immer nur
einzelne bevorzugte Organismen, welche sich ausbilden können, welche
namentlich die erste Jugendzeit glücklich überstehen und schließlich zur
Fortpflanzung gelangen. Diese wichtige Thatsache wird einfach bewie-
sen durch die Vergleichung der Eierzahl bei den einzelnen Arten mit
der Zahl der Jndividuen, die von diesen Arten leben. Diese Zah-
lenverhältnisse zeigen die auffallendsten Widersprüche. Es giebt z. B.

Darwin’s Theorie vom Kampfe um’s Daſein.
ſtrengen Sinne nicht hierher gehoͤren. Zu der Jdee des „Struggle for
life“
gelangte Darwin, wie aus dem in der letzten Stunde mitge-
theilten Briefe erſichtlich iſt, durch das Studium des Buches von Mal-
thus
„uͤber die Bedingung und die Folgen der Volksvermehrung.“
Jn dieſem wichtigen Werke wurde der Beweis gefuͤhrt, daß die Zahl
der Menſchen im Ganzen durchſchnittlich in geometriſcher Progreſſion
waͤchſt, waͤhrend die Menge ihrer Nahrungsmittel nur in arithme-
thiſcher Progreſſion zunimmt. Aus dieſem Mißverhaͤltniſſe entſprin-
gen eine Maſſe von Uebelſtaͤnden in der menſchlichen Geſellſchaft,
welche einen beſtaͤndigen Wettkampf der Menſchen um die Erlangung
der nothwendigen, aber nicht fuͤr Alle ausreichenden Unterhaltsmittel
veranlaſſen.

Darwin’s Theorie vom Kampfe um das Daſein iſt gewiſſer-
maßen eine allgemeine Anwendung der Bevoͤlkerungstheorie von Mal-
thus
auf die Geſammtheit der organiſchen Natur. Sie geht von
der Erwaͤgung aus, daß die Zahl der moͤglichen organiſchen Jndivi-
duen, welche aus den erzeugten Keimen hervorgehen koͤnnten, viel
groͤßer iſt, als die Zahl der wirklichen Jndividuen, welche that-
ſaͤchlich gleichzeitig auf der Erdoberflaͤche leben; die Zahl der moͤgli-
chen oder potentiellen Jndividuen wird uns gegeben durch die Zahl
der Eier und der ungeſchlechtlichen Keime, welche die Organismen er-
zeugen. Die Zahl dieſer Keime, aus deren jedem unter guͤnſtigen
Verhaͤltniſſen ein Jndividuum entſtehen koͤnnte, iſt ſehr viel groͤßer,
als die Zahl der wirklichen oder actuellen Jndividuen, d. h. derjeni-
gen, welche wirklich aus dieſen Keimen entſtehen, zum Leben gelan-
gen und ſich fortpflanzen. Die bei weitem groͤßte Zahl aller Keime
geht in der fruͤheſten Lebenszeit zu Grunde, und es ſind immer nur
einzelne bevorzugte Organismen, welche ſich ausbilden koͤnnen, welche
namentlich die erſte Jugendzeit gluͤcklich uͤberſtehen und ſchließlich zur
Fortpflanzung gelangen. Dieſe wichtige Thatſache wird einfach bewie-
ſen durch die Vergleichung der Eierzahl bei den einzelnen Arten mit
der Zahl der Jndividuen, die von dieſen Arten leben. Dieſe Zah-
lenverhaͤltniſſe zeigen die auffallendſten Widerſpruͤche. Es giebt z. B.

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[126/0147] Darwin’s Theorie vom Kampfe um’s Daſein. ſtrengen Sinne nicht hierher gehoͤren. Zu der Jdee des „Struggle for life“ gelangte Darwin, wie aus dem in der letzten Stunde mitge- theilten Briefe erſichtlich iſt, durch das Studium des Buches von Mal- thus „uͤber die Bedingung und die Folgen der Volksvermehrung.“ Jn dieſem wichtigen Werke wurde der Beweis gefuͤhrt, daß die Zahl der Menſchen im Ganzen durchſchnittlich in geometriſcher Progreſſion waͤchſt, waͤhrend die Menge ihrer Nahrungsmittel nur in arithme- thiſcher Progreſſion zunimmt. Aus dieſem Mißverhaͤltniſſe entſprin- gen eine Maſſe von Uebelſtaͤnden in der menſchlichen Geſellſchaft, welche einen beſtaͤndigen Wettkampf der Menſchen um die Erlangung der nothwendigen, aber nicht fuͤr Alle ausreichenden Unterhaltsmittel veranlaſſen. Darwin’s Theorie vom Kampfe um das Daſein iſt gewiſſer- maßen eine allgemeine Anwendung der Bevoͤlkerungstheorie von Mal- thus auf die Geſammtheit der organiſchen Natur. Sie geht von der Erwaͤgung aus, daß die Zahl der moͤglichen organiſchen Jndivi- duen, welche aus den erzeugten Keimen hervorgehen koͤnnten, viel groͤßer iſt, als die Zahl der wirklichen Jndividuen, welche that- ſaͤchlich gleichzeitig auf der Erdoberflaͤche leben; die Zahl der moͤgli- chen oder potentiellen Jndividuen wird uns gegeben durch die Zahl der Eier und der ungeſchlechtlichen Keime, welche die Organismen er- zeugen. Die Zahl dieſer Keime, aus deren jedem unter guͤnſtigen Verhaͤltniſſen ein Jndividuum entſtehen koͤnnte, iſt ſehr viel groͤßer, als die Zahl der wirklichen oder actuellen Jndividuen, d. h. derjeni- gen, welche wirklich aus dieſen Keimen entſtehen, zum Leben gelan- gen und ſich fortpflanzen. Die bei weitem groͤßte Zahl aller Keime geht in der fruͤheſten Lebenszeit zu Grunde, und es ſind immer nur einzelne bevorzugte Organismen, welche ſich ausbilden koͤnnen, welche namentlich die erſte Jugendzeit gluͤcklich uͤberſtehen und ſchließlich zur Fortpflanzung gelangen. Dieſe wichtige Thatſache wird einfach bewie- ſen durch die Vergleichung der Eierzahl bei den einzelnen Arten mit der Zahl der Jndividuen, die von dieſen Arten leben. Dieſe Zah- lenverhaͤltniſſe zeigen die auffallendſten Widerſpruͤche. Es giebt z. B.

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Zitationshilfe: Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/147>, abgerufen am 24.11.2024.