vorigen Vortrage bemerkt worden ist, ein doppeltes. Er hat erstens die von Lamarck und Goethe aufgestellte Descendenztheorie in viel umfassenderer Weise als Ganzes behandelt und im Zusammenhang durchgeführt, als es von allen seinen Vorgängern geschehen war. Zwei- tens aber hat er dieser Abstammungslehre durch seine, ihm eigenthüm- liche Züchtungslehre (die Selectionstheorie) das causale Fundament ge- geben, d. h. er hat die wirkenden Ursachen der Veränderungen nachgewiesen, welche von der Abstammungslehre nur als Thatsachen behauptet werden. Die von Lamarck 1809 in die Biologie einge- führte Descendenztheorie behauptet, daß alle verschiedenen Thier- und Pflanzenarten von einer einzigen oder einigen wenigen, höchst einfa- chen, spontan entstandenen Urformen abstammen. Die von Dar- win 1859 begründete Selectionstheorie zeigt uns, warum dies der Fall sein mußte, sie weist uns die wirkenden Ursachen so nach, wie es nur Kant wünschen konnte, und Darwin ist in der That auf dem Gebiete der organischen Naturwissenschaft der Newton geworden, dessen Kommen Kant prophetisch verneinen zu können glaubte.
Ehe Sie nun an Darwin's Theorie herantreten, wird es Jh- nen vielleicht von Jnteresse sein, Einiges über die Persönlichkeit dieses großen Naturforschers zu hören, über sein Leben und die Wege auf de- nen er zur Aufstellung seiner Lehre gelangte. Charles Darwin ist geboren im Jahr 1808, also jetzt sechzig Jahre alt. Bereits in seinem 24. Lebensjahre, 1832, wurde er zur Theilnahme an einer wissen- schaftlichen Expedition berufen, welche von den Engländern ausge- schickt wurde, vorzüglich um die Südspitze Südamerika's genauer zu erforschen und verschiedene Punkte der Südsee zu untersuchen. Diese Expedition hatte, gleich vielen anderen, rühmlichen, von England ausge- rüsteten Forschungsreisen, sowohl wissenschaftliche, als auch practische, auf die Schifffahrt bezügliche Aufgaben zu erfüllen. Das Schiff führte in treffend symbolischer Weise den Namen "Beagle" oder Spürhund. Die Reise des Beagle, welche fünf Jahre dauerte, wurde für Dar- win's ganze Entwickelung von der größten Bedeutung, und schon im ersten Jahre, als er zum erstenmal den Boden Südamerika's betrat,
Biographiſche Notizen uͤber Charles Darwin.
vorigen Vortrage bemerkt worden iſt, ein doppeltes. Er hat erſtens die von Lamarck und Goethe aufgeſtellte Deſcendenztheorie in viel umfaſſenderer Weiſe als Ganzes behandelt und im Zuſammenhang durchgefuͤhrt, als es von allen ſeinen Vorgaͤngern geſchehen war. Zwei- tens aber hat er dieſer Abſtammungslehre durch ſeine, ihm eigenthuͤm- liche Zuͤchtungslehre (die Selectionstheorie) das cauſale Fundament ge- geben, d. h. er hat die wirkenden Urſachen der Veraͤnderungen nachgewieſen, welche von der Abſtammungslehre nur als Thatſachen behauptet werden. Die von Lamarck 1809 in die Biologie einge- fuͤhrte Deſcendenztheorie behauptet, daß alle verſchiedenen Thier- und Pflanzenarten von einer einzigen oder einigen wenigen, hoͤchſt einfa- chen, ſpontan entſtandenen Urformen abſtammen. Die von Dar- win 1859 begruͤndete Selectionstheorie zeigt uns, warum dies der Fall ſein mußte, ſie weiſt uns die wirkenden Urſachen ſo nach, wie es nur Kant wuͤnſchen konnte, und Darwin iſt in der That auf dem Gebiete der organiſchen Naturwiſſenſchaft der Newton geworden, deſſen Kommen Kant prophetiſch verneinen zu koͤnnen glaubte.
Ehe Sie nun an Darwin’s Theorie herantreten, wird es Jh- nen vielleicht von Jntereſſe ſein, Einiges uͤber die Perſoͤnlichkeit dieſes großen Naturforſchers zu hoͤren, uͤber ſein Leben und die Wege auf de- nen er zur Aufſtellung ſeiner Lehre gelangte. Charles Darwin iſt geboren im Jahr 1808, alſo jetzt ſechzig Jahre alt. Bereits in ſeinem 24. Lebensjahre, 1832, wurde er zur Theilnahme an einer wiſſen- ſchaftlichen Expedition berufen, welche von den Englaͤndern ausge- ſchickt wurde, vorzuͤglich um die Suͤdſpitze Suͤdamerika’s genauer zu erforſchen und verſchiedene Punkte der Suͤdſee zu unterſuchen. Dieſe Expedition hatte, gleich vielen anderen, ruͤhmlichen, von England ausge- ruͤſteten Forſchungsreiſen, ſowohl wiſſenſchaftliche, als auch practiſche, auf die Schifffahrt bezuͤgliche Aufgaben zu erfuͤllen. Das Schiff fuͤhrte in treffend ſymboliſcher Weiſe den Namen „Beagle“ oder Spuͤrhund. Die Reiſe des Beagle, welche fuͤnf Jahre dauerte, wurde fuͤr Dar- win’s ganze Entwickelung von der groͤßten Bedeutung, und ſchon im erſten Jahre, als er zum erſtenmal den Boden Suͤdamerika’s betrat,
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Biographiſche Notizen uͤber Charles Darwin.
vorigen Vortrage bemerkt worden iſt, ein doppeltes. Er hat erſtens
die von Lamarck und Goethe aufgeſtellte Deſcendenztheorie in viel
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durchgefuͤhrt, als es von allen ſeinen Vorgaͤngern geſchehen war. Zwei-
tens aber hat er dieſer Abſtammungslehre durch ſeine, ihm eigenthuͤm-
liche Zuͤchtungslehre (die Selectionstheorie) das cauſale Fundament ge-
geben, d. h. er hat die wirkenden Urſachen der Veraͤnderungen
nachgewieſen, welche von der Abſtammungslehre nur als Thatſachen
behauptet werden. Die von Lamarck 1809 in die Biologie einge-
fuͤhrte Deſcendenztheorie behauptet, daß alle verſchiedenen Thier- und
Pflanzenarten von einer einzigen oder einigen wenigen, hoͤchſt einfa-
chen, ſpontan entſtandenen Urformen abſtammen. Die von Dar-
win 1859 begruͤndete Selectionstheorie zeigt uns, warum dies der
Fall ſein mußte, ſie weiſt uns die wirkenden Urſachen ſo nach, wie
es nur Kant wuͤnſchen konnte, und Darwin iſt in der That auf dem
Gebiete der organiſchen Naturwiſſenſchaft der Newton geworden,
deſſen Kommen Kant prophetiſch verneinen zu koͤnnen glaubte.
Ehe Sie nun an Darwin’s Theorie herantreten, wird es Jh-
nen vielleicht von Jntereſſe ſein, Einiges uͤber die Perſoͤnlichkeit dieſes
großen Naturforſchers zu hoͤren, uͤber ſein Leben und die Wege auf de-
nen er zur Aufſtellung ſeiner Lehre gelangte. Charles Darwin iſt
geboren im Jahr 1808, alſo jetzt ſechzig Jahre alt. Bereits in ſeinem
24. Lebensjahre, 1832, wurde er zur Theilnahme an einer wiſſen-
ſchaftlichen Expedition berufen, welche von den Englaͤndern ausge-
ſchickt wurde, vorzuͤglich um die Suͤdſpitze Suͤdamerika’s genauer zu
erforſchen und verſchiedene Punkte der Suͤdſee zu unterſuchen. Dieſe
Expedition hatte, gleich vielen anderen, ruͤhmlichen, von England ausge-
ruͤſteten Forſchungsreiſen, ſowohl wiſſenſchaftliche, als auch practiſche,
auf die Schifffahrt bezuͤgliche Aufgaben zu erfuͤllen. Das Schiff fuͤhrte
in treffend ſymboliſcher Weiſe den Namen „Beagle“ oder Spuͤrhund.
Die Reiſe des Beagle, welche fuͤnf Jahre dauerte, wurde fuͤr Dar-
win’s ganze Entwickelung von der groͤßten Bedeutung, und ſchon
im erſten Jahre, als er zum erſtenmal den Boden Suͤdamerika’s betrat,
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/126>, abgerufen am 04.07.2024.
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