und gezeigt zu haben, daß auch die Seelenthätigkeiten und die Geistes- kräfte nur stufenweise erworben und allmählich entwickelt werden konn- ten. Endlich ist noch hervorzuheben, daß 1859 der Erste unter den englischen Zoologen, Huxley, die Descendenztheorie als die einzige Schöpfungshypothese bezeichnete, welche mit der wissenschaftlichen Physiologie vereinbar sei.
Sämmtliche Naturforscher und Philosophen, welche Sie in die- ser kurzen historischen Uebersicht als Anhänger der Entwickelungstheo- rie kennen gelernt haben, gelangten im besten Falle zu der Anschau- ung, daß alle verschiedenen Thier- und Pflanzenarten, die zu irgend einer Zeit auf der Erde gelebt haben und jetzt noch leben, die allmäh- lich veränderten und umgebildeten Nachkommen sind von einer einzigen, oder von einigen wenigen, ursprünglichen, höchst einfachen Stamm- formen, welche letztere einst durch Urzeugung (Generatio spontanea) aus anorganischer Materie entstanden. Aber Keiner von jenen Natur- philosophen gelangte dazu, diesen Grundgedanken der Abstammungs- lehre ursächlich zu begründen, und die Umbildung der organischen Species durch den wahren Nachweis ihrer mechanischen Ursachen wirk- lich zu erklären. Diese schwierigste Aufgabe vermochte erst Charles Darwin zu lösen, und hierin liegt die weite Kluft, welche denselben von seinen Vorgängern trennt.
Das außerordentliche Verdienst Charles Darwin's ist nach meiner Ansicht ein doppeltes: er hat erstens die Abstammungslehre, deren Grundgedanken schon Goethe und Lamarck klar aussprachen, viel umfassender entwickelt, viel eingehender nach allen Seiten verfolgt, und viel strenger im Zusammenhang durchgeführt, als alle seine Vor- gänger; und er hat zweitens eine neue Theorie aufgestellt, welche uns die natürlichen Ursachen der organischen Entwickelung, die wirkenden Ursachen (Causae efficientes) der organischen Formbildung, der Veränderungen und Umformungen der Thier- und Pflanzenarten ent- hüllt. Diese Theorie ist es, welche wir die Züchtungslehre oder Se- lectionstheorie, oder genauer die Theorie von der natürlichen Züchtung (Selectio naturalis) nennen.
Haeckel, Natürliche Schöpfungsgeschichte. 7
Doppeltes Verdienſt von Charles Darwin.
und gezeigt zu haben, daß auch die Seelenthaͤtigkeiten und die Geiſtes- kraͤfte nur ſtufenweiſe erworben und allmaͤhlich entwickelt werden konn- ten. Endlich iſt noch hervorzuheben, daß 1859 der Erſte unter den engliſchen Zoologen, Huxley, die Deſcendenztheorie als die einzige Schoͤpfungshypotheſe bezeichnete, welche mit der wiſſenſchaftlichen Phyſiologie vereinbar ſei.
Saͤmmtliche Naturforſcher und Philoſophen, welche Sie in die- ſer kurzen hiſtoriſchen Ueberſicht als Anhaͤnger der Entwickelungstheo- rie kennen gelernt haben, gelangten im beſten Falle zu der Anſchau- ung, daß alle verſchiedenen Thier- und Pflanzenarten, die zu irgend einer Zeit auf der Erde gelebt haben und jetzt noch leben, die allmaͤh- lich veraͤnderten und umgebildeten Nachkommen ſind von einer einzigen, oder von einigen wenigen, urſpruͤnglichen, hoͤchſt einfachen Stamm- formen, welche letztere einſt durch Urzeugung (Generatio spontanea) aus anorganiſcher Materie entſtanden. Aber Keiner von jenen Natur- philoſophen gelangte dazu, dieſen Grundgedanken der Abſtammungs- lehre urſaͤchlich zu begruͤnden, und die Umbildung der organiſchen Species durch den wahren Nachweis ihrer mechaniſchen Urſachen wirk- lich zu erklaͤren. Dieſe ſchwierigſte Aufgabe vermochte erſt Charles Darwin zu loͤſen, und hierin liegt die weite Kluft, welche denſelben von ſeinen Vorgaͤngern trennt.
Das außerordentliche Verdienſt Charles Darwin’s iſt nach meiner Anſicht ein doppeltes: er hat erſtens die Abſtammungslehre, deren Grundgedanken ſchon Goethe und Lamarck klar ausſprachen, viel umfaſſender entwickelt, viel eingehender nach allen Seiten verfolgt, und viel ſtrenger im Zuſammenhang durchgefuͤhrt, als alle ſeine Vor- gaͤnger; und er hat zweitens eine neue Theorie aufgeſtellt, welche uns die natuͤrlichen Urſachen der organiſchen Entwickelung, die wirkenden Urſachen (Causae efficientes) der organiſchen Formbildung, der Veraͤnderungen und Umformungen der Thier- und Pflanzenarten ent- huͤllt. Dieſe Theorie iſt es, welche wir die Zuͤchtungslehre oder Se- lectionstheorie, oder genauer die Theorie von der natuͤrlichen Zuͤchtung (Selectio naturalis) nennen.
Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 7
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Doppeltes Verdienſt von Charles Darwin.
und gezeigt zu haben, daß auch die Seelenthaͤtigkeiten und die Geiſtes-
kraͤfte nur ſtufenweiſe erworben und allmaͤhlich entwickelt werden konn-
ten. Endlich iſt noch hervorzuheben, daß 1859 der Erſte unter den
engliſchen Zoologen, Huxley, die Deſcendenztheorie als die einzige
Schoͤpfungshypotheſe bezeichnete, welche mit der wiſſenſchaftlichen
Phyſiologie vereinbar ſei.
Saͤmmtliche Naturforſcher und Philoſophen, welche Sie in die-
ſer kurzen hiſtoriſchen Ueberſicht als Anhaͤnger der Entwickelungstheo-
rie kennen gelernt haben, gelangten im beſten Falle zu der Anſchau-
ung, daß alle verſchiedenen Thier- und Pflanzenarten, die zu irgend
einer Zeit auf der Erde gelebt haben und jetzt noch leben, die allmaͤh-
lich veraͤnderten und umgebildeten Nachkommen ſind von einer einzigen,
oder von einigen wenigen, urſpruͤnglichen, hoͤchſt einfachen Stamm-
formen, welche letztere einſt durch Urzeugung (Generatio spontanea)
aus anorganiſcher Materie entſtanden. Aber Keiner von jenen Natur-
philoſophen gelangte dazu, dieſen Grundgedanken der Abſtammungs-
lehre urſaͤchlich zu begruͤnden, und die Umbildung der organiſchen
Species durch den wahren Nachweis ihrer mechaniſchen Urſachen wirk-
lich zu erklaͤren. Dieſe ſchwierigſte Aufgabe vermochte erſt Charles
Darwin zu loͤſen, und hierin liegt die weite Kluft, welche denſelben
von ſeinen Vorgaͤngern trennt.
Das außerordentliche Verdienſt Charles Darwin’s iſt nach
meiner Anſicht ein doppeltes: er hat erſtens die Abſtammungslehre,
deren Grundgedanken ſchon Goethe und Lamarck klar ausſprachen,
viel umfaſſender entwickelt, viel eingehender nach allen Seiten verfolgt,
und viel ſtrenger im Zuſammenhang durchgefuͤhrt, als alle ſeine Vor-
gaͤnger; und er hat zweitens eine neue Theorie aufgeſtellt, welche uns
die natuͤrlichen Urſachen der organiſchen Entwickelung, die wirkenden
Urſachen (Causae efficientes) der organiſchen Formbildung, der
Veraͤnderungen und Umformungen der Thier- und Pflanzenarten ent-
huͤllt. Dieſe Theorie iſt es, welche wir die Zuͤchtungslehre oder Se-
lectionstheorie, oder genauer die Theorie von der natuͤrlichen Zuͤchtung
(Selectio naturalis) nennen.
Haeckel, Natuͤrliche Schoͤpfungsgeſchichte. 7
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/118>, abgerufen am 28.11.2024.
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