Diese beiden, außerordentlich fruchtbaren Gedanken Oken's wur- den wegen der absurden Form, in der er sie aussprach, nur wenig be- rücksichtigt, oder gänzlich verkannt; und es war einer viel späteren Zeit vorbehalten, dieselben durch die Erfahrung zu begründen. Jm engsten Zusammenhang mit diesen Vorstellungen stand natürlich auch die Annahme einer Abstammung der einzelnen Thier- und Pflanzen- arten von gemeinsamen Stammformen und einer allmählichen, stufen- weisen Entwickelung der höheren Organismen aus den niederen. Diese wurde von Oken ausdrücklich behauptet, obwohl er diese Behaup- tung nicht näher begründete und auch nicht im Einzelnen ausführte. Auch vom Menschen behauptete Oken seine Entwickelung aus niede- ren Organismen: "Der Mensch ist entwickelt, nicht erschaffen". Eine Schöpfung der Organismen, als einen übernatürlichen Eingriff des Schöpfers in den natürlichen Entwickelungsgang der Materie, mußte er als denkender Philosoph selbstverständlich leugnen. So viele will- kürliche Verkehrtheiten und ausschweifende Phantasiesprünge sich auch in Oken's Naturphilosophie finden mögen, so können sie uns doch nicht hindern, diesen großen und ihrer Zeit weit vorauseilenden Jdeen unsere gerechte Bewunderung zu zollen. So viel geht aus den ange- führten Behauptungen Goethe's und Oken's, und aus den dem- nächst zu erörternden Ansichten Lamarck's und Geoffroy's mit Si- cherheit hervor, daß in den ersten Decennien unseres Jahrhunderts Niemand der natürlichen, durch Darwin neu begründeten Entwicke- lungstheorie so nahe kam, als die vielverschrieene Naturphilosophie.
Oken’s Entwickelungstheorie.
Dieſe beiden, außerordentlich fruchtbaren Gedanken Oken’s wur- den wegen der abſurden Form, in der er ſie ausſprach, nur wenig be- ruͤckſichtigt, oder gaͤnzlich verkannt; und es war einer viel ſpaͤteren Zeit vorbehalten, dieſelben durch die Erfahrung zu begruͤnden. Jm engſten Zuſammenhang mit dieſen Vorſtellungen ſtand natuͤrlich auch die Annahme einer Abſtammung der einzelnen Thier- und Pflanzen- arten von gemeinſamen Stammformen und einer allmaͤhlichen, ſtufen- weiſen Entwickelung der hoͤheren Organismen aus den niederen. Dieſe wurde von Oken ausdruͤcklich behauptet, obwohl er dieſe Behaup- tung nicht naͤher begruͤndete und auch nicht im Einzelnen ausfuͤhrte. Auch vom Menſchen behauptete Oken ſeine Entwickelung aus niede- ren Organismen: „Der Menſch iſt entwickelt, nicht erſchaffen“. Eine Schoͤpfung der Organismen, als einen uͤbernatuͤrlichen Eingriff des Schoͤpfers in den natuͤrlichen Entwickelungsgang der Materie, mußte er als denkender Philoſoph ſelbſtverſtaͤndlich leugnen. So viele will- kuͤrliche Verkehrtheiten und ausſchweifende Phantaſieſpruͤnge ſich auch in Oken’s Naturphiloſophie finden moͤgen, ſo koͤnnen ſie uns doch nicht hindern, dieſen großen und ihrer Zeit weit vorauseilenden Jdeen unſere gerechte Bewunderung zu zollen. So viel geht aus den ange- fuͤhrten Behauptungen Goethe’s und Oken’s, und aus den dem- naͤchſt zu eroͤrternden Anſichten Lamarck’s und Geoffroy’s mit Si- cherheit hervor, daß in den erſten Decennien unſeres Jahrhunderts Niemand der natuͤrlichen, durch Darwin neu begruͤndeten Entwicke- lungstheorie ſo nahe kam, als die vielverſchrieene Naturphiloſophie.
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Oken’s Entwickelungstheorie.
Dieſe beiden, außerordentlich fruchtbaren Gedanken Oken’s wur-
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ruͤckſichtigt, oder gaͤnzlich verkannt; und es war einer viel ſpaͤteren
Zeit vorbehalten, dieſelben durch die Erfahrung zu begruͤnden. Jm
engſten Zuſammenhang mit dieſen Vorſtellungen ſtand natuͤrlich auch
die Annahme einer Abſtammung der einzelnen Thier- und Pflanzen-
arten von gemeinſamen Stammformen und einer allmaͤhlichen, ſtufen-
weiſen Entwickelung der hoͤheren Organismen aus den niederen. Dieſe
wurde von Oken ausdruͤcklich behauptet, obwohl er dieſe Behaup-
tung nicht naͤher begruͤndete und auch nicht im Einzelnen ausfuͤhrte.
Auch vom Menſchen behauptete Oken ſeine Entwickelung aus niede-
ren Organismen: „Der Menſch iſt entwickelt, nicht erſchaffen“. Eine
Schoͤpfung der Organismen, als einen uͤbernatuͤrlichen Eingriff des
Schoͤpfers in den natuͤrlichen Entwickelungsgang der Materie, mußte
er als denkender Philoſoph ſelbſtverſtaͤndlich leugnen. So viele will-
kuͤrliche Verkehrtheiten und ausſchweifende Phantaſieſpruͤnge ſich auch
in Oken’s Naturphiloſophie finden moͤgen, ſo koͤnnen ſie uns doch
nicht hindern, dieſen großen und ihrer Zeit weit vorauseilenden Jdeen
unſere gerechte Bewunderung zu zollen. So viel geht aus den ange-
fuͤhrten Behauptungen Goethe’s und Oken’s, und aus den dem-
naͤchſt zu eroͤrternden Anſichten Lamarck’s und Geoffroy’s mit Si-
cherheit hervor, daß in den erſten Decennien unſeres Jahrhunderts
Niemand der natuͤrlichen, durch Darwin neu begruͤndeten Entwicke-
lungstheorie ſo nahe kam, als die vielverſchrieene Naturphiloſophie.
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Haeckel, Ernst: Natürliche Schöpfungsgeschichte. Berlin, 1868, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_schoepfungsgeschichte_1868/100>, abgerufen am 22.11.2024.
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