Haeckel, Ernst: Die Perigenesis der Plastidule oder die Wellenerzeugung der Lebenstheilchen. Berlin, 1876.einerseits an der verschiedenartigen empirischen Methode, einerseits an der verschiedenartigen empirischen Methode, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0016" n="10"/> einerseits an der verschiedenartigen empirischen Methode,<lb/> andererseits an den ungleichen theoretischen Ansprüchen<lb/> beider Disciplinen. Denn die individuelle Entwickelung<lb/> der Organismen, ihre Keimesentwickelung oder Ontogenesis,<lb/> ist ein rascher Bildungsprocess, welcher in kürzester Zeit<lb/> unter unseren Augen verläuft, und dessen äussere Er¬<lb/> scheinungsreihe wir unmittelbar von Anfang bis zu Ende<lb/> verfolgen können, meist innerhalb weniger Wochen oder<lb/> Monate, selten in längerer Zeit. Schritt für Schritt, und<lb/> Stufe für Stufe, können wir hier durch zusammenhängende<lb/> Beobachtung die veränderliche Formenreihe erkennen,<lb/> welche jedes einzelne Thier, jede einzelne Pflanze vom<lb/> Ei bis zur Vollendung durchläuft. Hingegen ist die<lb/> paläontologische Entwickelung der Organismen, ihre<lb/> Stammesentwickelung oder Phylogenesis, ein langsamer<lb/> Bildungsprocess, der ungeheuere Zeiträume erfüllt, dessen<lb/> einzelne Schritte nach Jahrtausenden, dessen wahrnehm¬<lb/> bare Wegstrecken, geologischen Formationen entsprechend,<lb/> nach Hunderttausenden und Millionen von Jahren zu be¬<lb/> messen sind. Der Unterschied zwischen einer Secunden-<lb/> Uhr, deren Zeiger seinen Kreislauf innerhalb einer Minute,<lb/> und einer Jahres-Uhr, deren Zeiger den seinigen im Verlauf<lb/> von 365 Tagen vollendet, ist nicht so gross, wie die<lb/> Differenz zwischen dem athemlosen Geschwindschritt der<lb/> Keimesgeschichte und dem kaum wahrnehmbaren Dahin¬<lb/> schleichen der Stammesgeschichte. Was aber noch viel<lb/> mehr ins Gewicht fällt, das ist die mangelhafte empirische<lb/> Basis der letzteren. Die paläontologische „Schöpfungs¬<lb/> urkunde“, welche uns unmittelbar in der Reihenfolge der<lb/> Versteinerungen die Bilder-Gallerie der ausgestorbenen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [10/0016]
einerseits an der verschiedenartigen empirischen Methode,
andererseits an den ungleichen theoretischen Ansprüchen
beider Disciplinen. Denn die individuelle Entwickelung
der Organismen, ihre Keimesentwickelung oder Ontogenesis,
ist ein rascher Bildungsprocess, welcher in kürzester Zeit
unter unseren Augen verläuft, und dessen äussere Er¬
scheinungsreihe wir unmittelbar von Anfang bis zu Ende
verfolgen können, meist innerhalb weniger Wochen oder
Monate, selten in längerer Zeit. Schritt für Schritt, und
Stufe für Stufe, können wir hier durch zusammenhängende
Beobachtung die veränderliche Formenreihe erkennen,
welche jedes einzelne Thier, jede einzelne Pflanze vom
Ei bis zur Vollendung durchläuft. Hingegen ist die
paläontologische Entwickelung der Organismen, ihre
Stammesentwickelung oder Phylogenesis, ein langsamer
Bildungsprocess, der ungeheuere Zeiträume erfüllt, dessen
einzelne Schritte nach Jahrtausenden, dessen wahrnehm¬
bare Wegstrecken, geologischen Formationen entsprechend,
nach Hunderttausenden und Millionen von Jahren zu be¬
messen sind. Der Unterschied zwischen einer Secunden-
Uhr, deren Zeiger seinen Kreislauf innerhalb einer Minute,
und einer Jahres-Uhr, deren Zeiger den seinigen im Verlauf
von 365 Tagen vollendet, ist nicht so gross, wie die
Differenz zwischen dem athemlosen Geschwindschritt der
Keimesgeschichte und dem kaum wahrnehmbaren Dahin¬
schleichen der Stammesgeschichte. Was aber noch viel
mehr ins Gewicht fällt, das ist die mangelhafte empirische
Basis der letzteren. Die paläontologische „Schöpfungs¬
urkunde“, welche uns unmittelbar in der Reihenfolge der
Versteinerungen die Bilder-Gallerie der ausgestorbenen
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