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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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IV. Organologie und Histologie.

Wie schon bemerkt, ist die Eintheilung der Anatomie in unter-
geordnete Disciplinen, ebenso wie ihr Begriff selbst, auf den verschie-
denartigen Gebieten der Biologie und von den verschiedenen Autoren
in sehr abweichender und mannichfaltiger Weise aufgefasst worden.
Als die wichtigsten und allgemein gültigsten Ansichten dieser Verhält-
nisse dürfen wohl in erster Linie Anspruch auf Beachtung die ana-
tomischen Behandlungsweisen desjenigeu Organismus machen, der am
genauesten von allen untersucht und der am längsten Gegenstand
anatomischer Forschungen gewesen ist, die Anatomie des Menschen
selbst.

Die Anatomie des Menschen, welche in der That nach dem ge-
wöhnlichen Sprachgebrauch vollkommen dem Begriffe der Anatomie
entspricht, wie wir ihn als "die gesammte Formenlehre des vollende-
ten Organismus" hingestellt haben, wird von den verschiedenen An-
thropotomen selbst wieder in sehr abweichender Weise in unterge-
ordnete Disciplinen eingetheilt. Viele von diesen Disciplinen sind gar
keine Wissenschaften, sondern Künste, so z. B. die sogenannte praktische
Anatomie, die topographische Anatomie, die chirurgische Anatomie, die
plastische Anatomie. Andere von diesen Disciplinen behandeln die
Lehre von den Formen des Organismus, wie sie sich unter bestimmten
Bedingungen modificirt haben, so z. B. die pathologische Anatomie.
Alle diese Zweige der menschlichen Anatomie kommen natürlich hier
nicht in Betracht; ebenso sehen wir von den seltsamen Eintheilungen
älterer Anatomen ab.

Die wissenschaftliche Anatomie des Menschen, die sogenannte
"normale Anatomie," wird von den meisten Anthropotomen in zwei
Hauptzweige eingetheilt, die Anatomie der Organe und die Anatomie
der Elementartheile. Letztere wird gewöhnlich als Histologie, er-
stere oft als Organologie bezeichnet. Beide Wissenschaften unter-
suchen die gesammten Formqualitäten von bestimmten Formbestand-
theilen des Körpers, also ihre äussere Gestalt und inneren Bau, ihre
gegenseitige Lagerung und Verbindungsweise, ihre Grösse und Farbe,
ihre Zusammensetzung aus untergeordneten Formbestandtheilen u. s. w.
Die Histologie untersucht in allen diesen Beziehungen die feineren
und kleineren, dem blossen Auge meist nicht wahrnehmbaren Formbe-
standtheile oder die sogenannten Elementartheile (Zellen und Zellen-
derivate) und die aus ihnen zunächst zusammengesetzten "Gewebe;"
die Organologie dagegen beschäftigt sich in allen genannten Bezie-
hungen mit den sogenannten "gröberen" und grösseren Formbestand-
theilen, welche aus jenen zusammengesetzt sind und welche man all-
gemein als "Organe, Organ-Systeme, Organ-Apparate" u. s. w. zu-
sammenfasst. Die Histologie oder Gewebelehre wird auch häufig
sehr unpassend mit dem Namen der "allgemeinen Anatomie" oder der

IV. Organologie und Histologie.

Wie schon bemerkt, ist die Eintheilung der Anatomie in unter-
geordnete Disciplinen, ebenso wie ihr Begriff selbst, auf den verschie-
denartigen Gebieten der Biologie und von den verschiedenen Autoren
in sehr abweichender und mannichfaltiger Weise aufgefasst worden.
Als die wichtigsten und allgemein gültigsten Ansichten dieser Verhält-
nisse dürfen wohl in erster Linie Anspruch auf Beachtung die ana-
tomischen Behandlungsweisen desjenigeu Organismus machen, der am
genauesten von allen untersucht und der am längsten Gegenstand
anatomischer Forschungen gewesen ist, die Anatomie des Menschen
selbst.

Die Anatomie des Menschen, welche in der That nach dem ge-
wöhnlichen Sprachgebrauch vollkommen dem Begriffe der Anatomie
entspricht, wie wir ihn als „die gesammte Formenlehre des vollende-
ten Organismus“ hingestellt haben, wird von den verschiedenen An-
thropotomen selbst wieder in sehr abweichender Weise in unterge-
ordnete Disciplinen eingetheilt. Viele von diesen Disciplinen sind gar
keine Wissenschaften, sondern Künste, so z. B. die sogenannte praktische
Anatomie, die topographische Anatomie, die chirurgische Anatomie, die
plastische Anatomie. Andere von diesen Disciplinen behandeln die
Lehre von den Formen des Organismus, wie sie sich unter bestimmten
Bedingungen modificirt haben, so z. B. die pathologische Anatomie.
Alle diese Zweige der menschlichen Anatomie kommen natürlich hier
nicht in Betracht; ebenso sehen wir von den seltsamen Eintheilungen
älterer Anatomen ab.

Die wissenschaftliche Anatomie des Menschen, die sogenannte
„normale Anatomie,“ wird von den meisten Anthropotomen in zwei
Hauptzweige eingetheilt, die Anatomie der Organe und die Anatomie
der Elementartheile. Letztere wird gewöhnlich als Histologie, er-
stere oft als Organologie bezeichnet. Beide Wissenschaften unter-
suchen die gesammten Formqualitäten von bestimmten Formbestand-
theilen des Körpers, also ihre äussere Gestalt und inneren Bau, ihre
gegenseitige Lagerung und Verbindungsweise, ihre Grösse und Farbe,
ihre Zusammensetzung aus untergeordneten Formbestandtheilen u. s. w.
Die Histologie untersucht in allen diesen Beziehungen die feineren
und kleineren, dem blossen Auge meist nicht wahrnehmbaren Formbe-
standtheile oder die sogenannten Elementartheile (Zellen und Zellen-
derivate) und die aus ihnen zunächst zusammengesetzten „Gewebe;“
die Organologie dagegen beschäftigt sich in allen genannten Bezie-
hungen mit den sogenannten „gröberen“ und grösseren Formbestand-
theilen, welche aus jenen zusammengesetzt sind und welche man all-
gemein als „Organe, Organ-Systeme, Organ-Apparate“ u. s. w. zu-
sammenfasst. Die Histologie oder Gewebelehre wird auch häufig
sehr unpassend mit dem Namen der „allgemeinen Anatomie“ oder der

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[43/0082] IV. Organologie und Histologie. Wie schon bemerkt, ist die Eintheilung der Anatomie in unter- geordnete Disciplinen, ebenso wie ihr Begriff selbst, auf den verschie- denartigen Gebieten der Biologie und von den verschiedenen Autoren in sehr abweichender und mannichfaltiger Weise aufgefasst worden. Als die wichtigsten und allgemein gültigsten Ansichten dieser Verhält- nisse dürfen wohl in erster Linie Anspruch auf Beachtung die ana- tomischen Behandlungsweisen desjenigeu Organismus machen, der am genauesten von allen untersucht und der am längsten Gegenstand anatomischer Forschungen gewesen ist, die Anatomie des Menschen selbst. Die Anatomie des Menschen, welche in der That nach dem ge- wöhnlichen Sprachgebrauch vollkommen dem Begriffe der Anatomie entspricht, wie wir ihn als „die gesammte Formenlehre des vollende- ten Organismus“ hingestellt haben, wird von den verschiedenen An- thropotomen selbst wieder in sehr abweichender Weise in unterge- ordnete Disciplinen eingetheilt. Viele von diesen Disciplinen sind gar keine Wissenschaften, sondern Künste, so z. B. die sogenannte praktische Anatomie, die topographische Anatomie, die chirurgische Anatomie, die plastische Anatomie. Andere von diesen Disciplinen behandeln die Lehre von den Formen des Organismus, wie sie sich unter bestimmten Bedingungen modificirt haben, so z. B. die pathologische Anatomie. Alle diese Zweige der menschlichen Anatomie kommen natürlich hier nicht in Betracht; ebenso sehen wir von den seltsamen Eintheilungen älterer Anatomen ab. Die wissenschaftliche Anatomie des Menschen, die sogenannte „normale Anatomie,“ wird von den meisten Anthropotomen in zwei Hauptzweige eingetheilt, die Anatomie der Organe und die Anatomie der Elementartheile. Letztere wird gewöhnlich als Histologie, er- stere oft als Organologie bezeichnet. Beide Wissenschaften unter- suchen die gesammten Formqualitäten von bestimmten Formbestand- theilen des Körpers, also ihre äussere Gestalt und inneren Bau, ihre gegenseitige Lagerung und Verbindungsweise, ihre Grösse und Farbe, ihre Zusammensetzung aus untergeordneten Formbestandtheilen u. s. w. Die Histologie untersucht in allen diesen Beziehungen die feineren und kleineren, dem blossen Auge meist nicht wahrnehmbaren Formbe- standtheile oder die sogenannten Elementartheile (Zellen und Zellen- derivate) und die aus ihnen zunächst zusammengesetzten „Gewebe;“ die Organologie dagegen beschäftigt sich in allen genannten Bezie- hungen mit den sogenannten „gröberen“ und grösseren Formbestand- theilen, welche aus jenen zusammengesetzt sind und welche man all- gemein als „Organe, Organ-Systeme, Organ-Apparate“ u. s. w. zu- sammenfasst. Die Histologie oder Gewebelehre wird auch häufig sehr unpassend mit dem Namen der „allgemeinen Anatomie“ oder der

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/82>, abgerufen am 24.11.2024.