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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Promorphologische Thesen.
4. Die äussere Form jedes organischen Individuums ist mithin
immer ebenso gesetzmässig, wie diejenige jedes anorganischen In-
dividuums und daher einer mathematischen Erkenntniss (Ausmessung
und Berechnung) zugänglich; jedoch lassen sich in dieser Beziehung
bei den organischen ebenso wie bei den anorganischen Individuen
zwei Hauptgruppen von Formen unterscheiden, individuelle Formen
nämlich mit und ohne feste, stereometrisch bestimmte Grundform.
5. Diejenigen individuellen Naturkörper, welche eine mathematisch
bestimmbare Fundamentalform besitzen, können wir allgemein als
Axenfeste (Axonia) bezeichnen, weil diese Fundamentalform, die Pro-
morphe oder stereometrische Grundform, bestimmt wird durch das ge-
setzmässige Verhältniss der einzelnen Körpertheile zu einer oder
mehreren festen Axen und deren beiden Polen.
6. Diejenigen individuellen Naturkörper, welche eine solche feste,
mathematisch bestimmbare Fundamental-Form oder Promorphe nicht
erkennen lassen, können im Gegensatz zu den Axenfesten als Axen-
lose oder Anaxonien bezeichnet werden.
7. Die axenfesten Anorgane werden theils als Sphaeroide, theils
als Krystalle bezeichnet, die axenfesten organischen Individuen dage-
gen theils als symmetrische, theils als reguläre Formen; doch sind
diese letzteren Ausdrücke von keiner constanten Bedeutung.
8. Die axenlosen Individuen, sowohl die anorganischen als die
organischen, werden als Amorphe oder Irreguläre bezeichnet; doch hat
man auch viele reguläre und symmetrische Formen häufig als irre-
guläre und asymmetrische ("Amorphozoa" z. B.) bezeichnet.
9. Die Promorphe oder die stereometrische Grundform der Axen-
festen ist nur sehr selten mathematisch rein in den axonien Individuen
realisirt; gewöhnlich ist sie unter mehr oder weniger bedeutenden in-
dividuellen Formeigenthümlichkeiten und insbesondere unter verschie-
denen Anpassungs-Modificationen der Oberfläche versteckt.
II. Thesen von dem Verhältniss der organischen zu den anorganischen
Grundformen.
10. Die axenfesten oder axonien Formen der organischen Indivi-
duen sind ebenso wie diejenigen der anorganischen Individuen das
nothwendige Resultat der gesetzmässigen Lagerung entsprechender
Körpertheile um eine bestimmte Mitte (Centrum), durch welche eine
oder mehrere Axen gehen.
11. Die Zahl der bestimmenden Axen sowie die Differenzirung
dieser Axen und ihrer Pole ist bei den organischen Individuen (Mor-
phonten) ungleich mannichfaltiger als bei den anorganischen Individuen
Promorphologische Thesen.
4. Die äussere Form jedes organischen Individuums ist mithin
immer ebenso gesetzmässig, wie diejenige jedes anorganischen In-
dividuums und daher einer mathematischen Erkenntniss (Ausmessung
und Berechnung) zugänglich; jedoch lassen sich in dieser Beziehung
bei den organischen ebenso wie bei den anorganischen Individuen
zwei Hauptgruppen von Formen unterscheiden, individuelle Formen
nämlich mit und ohne feste, stereometrisch bestimmte Grundform.
5. Diejenigen individuellen Naturkörper, welche eine mathematisch
bestimmbare Fundamentalform besitzen, können wir allgemein als
Axenfeste (Axonia) bezeichnen, weil diese Fundamentalform, die Pro-
morphe oder stereometrische Grundform, bestimmt wird durch das ge-
setzmässige Verhältniss der einzelnen Körpertheile zu einer oder
mehreren festen Axen und deren beiden Polen.
6. Diejenigen individuellen Naturkörper, welche eine solche feste,
mathematisch bestimmbare Fundamental-Form oder Promorphe nicht
erkennen lassen, können im Gegensatz zu den Axenfesten als Axen-
lose oder Anaxonien bezeichnet werden.
7. Die axenfesten Anorgane werden theils als Sphaeroide, theils
als Krystalle bezeichnet, die axenfesten organischen Individuen dage-
gen theils als symmetrische, theils als reguläre Formen; doch sind
diese letzteren Ausdrücke von keiner constanten Bedeutung.
8. Die axenlosen Individuen, sowohl die anorganischen als die
organischen, werden als Amorphe oder Irreguläre bezeichnet; doch hat
man auch viele reguläre und symmetrische Formen häufig als irre-
guläre und asymmetrische („Amorphozoa“ z. B.) bezeichnet.
9. Die Promorphe oder die stereometrische Grundform der Axen-
festen ist nur sehr selten mathematisch rein in den axonien Individuen
realisirt; gewöhnlich ist sie unter mehr oder weniger bedeutenden in-
dividuellen Formeigenthümlichkeiten und insbesondere unter verschie-
denen Anpassungs-Modificationen der Oberfläche versteckt.
II. Thesen von dem Verhältniss der organischen zu den anorganischen
Grundformen.
10. Die axenfesten oder axonien Formen der organischen Indivi-
duen sind ebenso wie diejenigen der anorganischen Individuen das
nothwendige Resultat der gesetzmässigen Lagerung entsprechender
Körpertheile um eine bestimmte Mitte (Centrum), durch welche eine
oder mehrere Axen gehen.
11. Die Zahl der bestimmenden Axen sowie die Differenzirung
dieser Axen und ihrer Pole ist bei den organischen Individuen (Mor-
phonten) ungleich mannichfaltiger als bei den anorganischen Individuen
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[541/0580] Promorphologische Thesen. 4. Die äussere Form jedes organischen Individuums ist mithin immer ebenso gesetzmässig, wie diejenige jedes anorganischen In- dividuums und daher einer mathematischen Erkenntniss (Ausmessung und Berechnung) zugänglich; jedoch lassen sich in dieser Beziehung bei den organischen ebenso wie bei den anorganischen Individuen zwei Hauptgruppen von Formen unterscheiden, individuelle Formen nämlich mit und ohne feste, stereometrisch bestimmte Grundform. 5. Diejenigen individuellen Naturkörper, welche eine mathematisch bestimmbare Fundamentalform besitzen, können wir allgemein als Axenfeste (Axonia) bezeichnen, weil diese Fundamentalform, die Pro- morphe oder stereometrische Grundform, bestimmt wird durch das ge- setzmässige Verhältniss der einzelnen Körpertheile zu einer oder mehreren festen Axen und deren beiden Polen. 6. Diejenigen individuellen Naturkörper, welche eine solche feste, mathematisch bestimmbare Fundamental-Form oder Promorphe nicht erkennen lassen, können im Gegensatz zu den Axenfesten als Axen- lose oder Anaxonien bezeichnet werden. 7. Die axenfesten Anorgane werden theils als Sphaeroide, theils als Krystalle bezeichnet, die axenfesten organischen Individuen dage- gen theils als symmetrische, theils als reguläre Formen; doch sind diese letzteren Ausdrücke von keiner constanten Bedeutung. 8. Die axenlosen Individuen, sowohl die anorganischen als die organischen, werden als Amorphe oder Irreguläre bezeichnet; doch hat man auch viele reguläre und symmetrische Formen häufig als irre- guläre und asymmetrische („Amorphozoa“ z. B.) bezeichnet. 9. Die Promorphe oder die stereometrische Grundform der Axen- festen ist nur sehr selten mathematisch rein in den axonien Individuen realisirt; gewöhnlich ist sie unter mehr oder weniger bedeutenden in- dividuellen Formeigenthümlichkeiten und insbesondere unter verschie- denen Anpassungs-Modificationen der Oberfläche versteckt. II. Thesen von dem Verhältniss der organischen zu den anorganischen Grundformen. 10. Die axenfesten oder axonien Formen der organischen Indivi- duen sind ebenso wie diejenigen der anorganischen Individuen das nothwendige Resultat der gesetzmässigen Lagerung entsprechender Körpertheile um eine bestimmte Mitte (Centrum), durch welche eine oder mehrere Axen gehen. 11. Die Zahl der bestimmenden Axen sowie die Differenzirung dieser Axen und ihrer Pole ist bei den organischen Individuen (Mor- phonten) ungleich mannichfaltiger als bei den anorganischen Individuen

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 541. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/580>, abgerufen am 25.11.2024.