den Amphipleuren und Zygopleuren. Diese ausnehmende Mannich- faltigkeit der Grundform, welche die Form-Individuen erster Ordnung vor denen der übrigen Ordnungen auszeichnet, ist vorzüglich durch zwei Umstände bedingt, erstens dadurch, dass die ersteren in weit höherem Maasse als die letzteren den allerverschiedensten und end- los mannichfaltigen Anpassungs-Verhältnissen sich fügen müssen, und zweitens dadurch, dass die meisten Plastiden, welche sich zu höherer Grundform erheben, während ihrer individuellen Entwickelung eine Reihe von niederen Grundformen durchlaufen müssen.
Nächst der unbeschränkten Mannichfaltigkeit der Grundformen liegt ein zweiter promorphologischer Character der Plastiden, und ein sehr wichtiger, in dem allgemeinen Vorherrschen der niederen Grund- formen. Obschon auch alle höheren, ja selbst die höchsten und voll- kommensten Promorphen in gewissen Plastiden verkörpert sind, treten diese doch im Ganzen zurück gegen die vorwiegend ausgebildeten niederen und einfachen Formen. Nur diejenigen Cytoden und Zellen, welche als freie und isolirte Lebenseinheiten das materielle Substrat von actuellen Bionten bilden, zeigen im Allgemeinen einen grösseren Reichthum von höheren Grundformen, während die grosse Mehrzahl aller übrigen Plastiden, die in dem geselligen Verbande der Synusie Organe und überhaupt Form-Individuen höherer Ordnung constituiren, aller- meist niedere Promorphen beibehalten.
Wenn man alle gegenwärtig existirenden Cytoden und Zellen ne- ben einander hinsichtlich ihrer Grundform vergleichen und statistisch ordnen könnte, so würde sich wahrscheinlich das Resultat ergeben, dass die Mehrzahl aller Plastiden entweder die vollkommen amorphe Grundform der Anaxonien besitzt, oder die absolut regelmässige Ge- stalt der Kugel und der sich an diese zunächst anschliessenden Monaxonien. Ferner würde sich dabei wahrscheinlich zeigen, dass die Kugelform bei denjenigen Plastiden überwiegt, welche ihre Gestalt, unbehindert von äusserem Druck frei nach allen Richtungen des Raumes entwickeln können, wie z. B. diejenigen, welche frei in einer Flüssigkeit leben (Blutzellen), während dagegen die Monaxonform und die Anaxonform bei denjenigen Plastiden vorherrscht, welche sich in ihrem allseitigen Wachsthum den äusseren Beschränkungen fügen müssen, die ihnen die Raumverhältnisse der umgebenden Plastiden auferlegen. Man hat aus diesem Grunde auch die Kugel als die ur- sprüngliche gemeinsame Grundform aller Zellen angesehen, und diese Anschauung könnte gerechtfertigt erscheinen, wenn wir an die Ver- hältnisse der Autogonie denken. Offenbar ist der denkbar einfachste und natürlichste Fall der Autogonie der, dass ein Plasmamolekül, welches auf andere benachbarte Moleküle derselben Eiweissverbindung anziehend wirkt (wie ein Kernkrystall in der Mutterlauge) diese Mas-
Haeckel, Generelle Morphologie. 34
I. Grundformen der Plastiden.
den Amphipleuren und Zygopleuren. Diese ausnehmende Mannich- faltigkeit der Grundform, welche die Form-Individuen erster Ordnung vor denen der übrigen Ordnungen auszeichnet, ist vorzüglich durch zwei Umstände bedingt, erstens dadurch, dass die ersteren in weit höherem Maasse als die letzteren den allerverschiedensten und end- los mannichfaltigen Anpassungs-Verhältnissen sich fügen müssen, und zweitens dadurch, dass die meisten Plastiden, welche sich zu höherer Grundform erheben, während ihrer individuellen Entwickelung eine Reihe von niederen Grundformen durchlaufen müssen.
Nächst der unbeschränkten Mannichfaltigkeit der Grundformen liegt ein zweiter promorphologischer Character der Plastiden, und ein sehr wichtiger, in dem allgemeinen Vorherrschen der niederen Grund- formen. Obschon auch alle höheren, ja selbst die höchsten und voll- kommensten Promorphen in gewissen Plastiden verkörpert sind, treten diese doch im Ganzen zurück gegen die vorwiegend ausgebildeten niederen und einfachen Formen. Nur diejenigen Cytoden und Zellen, welche als freie und isolirte Lebenseinheiten das materielle Substrat von actuellen Bionten bilden, zeigen im Allgemeinen einen grösseren Reichthum von höheren Grundformen, während die grosse Mehrzahl aller übrigen Plastiden, die in dem geselligen Verbande der Synusie Organe und überhaupt Form-Individuen höherer Ordnung constituiren, aller- meist niedere Promorphen beibehalten.
Wenn man alle gegenwärtig existirenden Cytoden und Zellen ne- ben einander hinsichtlich ihrer Grundform vergleichen und statistisch ordnen könnte, so würde sich wahrscheinlich das Resultat ergeben, dass die Mehrzahl aller Plastiden entweder die vollkommen amorphe Grundform der Anaxonien besitzt, oder die absolut regelmässige Ge- stalt der Kugel und der sich an diese zunächst anschliessenden Monaxonien. Ferner würde sich dabei wahrscheinlich zeigen, dass die Kugelform bei denjenigen Plastiden überwiegt, welche ihre Gestalt, unbehindert von äusserem Druck frei nach allen Richtungen des Raumes entwickeln können, wie z. B. diejenigen, welche frei in einer Flüssigkeit leben (Blutzellen), während dagegen die Monaxonform und die Anaxonform bei denjenigen Plastiden vorherrscht, welche sich in ihrem allseitigen Wachsthum den äusseren Beschränkungen fügen müssen, die ihnen die Raumverhältnisse der umgebenden Plastiden auferlegen. Man hat aus diesem Grunde auch die Kugel als die ur- sprüngliche gemeinsame Grundform aller Zellen angesehen, und diese Anschauung könnte gerechtfertigt erscheinen, wenn wir an die Ver- hältnisse der Autogonie denken. Offenbar ist der denkbar einfachste und natürlichste Fall der Autogonie der, dass ein Plasmamolekül, welches auf andere benachbarte Moleküle derselben Eiweissverbindung anziehend wirkt (wie ein Kernkrystall in der Mutterlauge) diese Mas-
Haeckel, Generelle Morphologie. 34
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I. Grundformen der Plastiden.
den Amphipleuren und Zygopleuren. Diese ausnehmende Mannich-
faltigkeit der Grundform, welche die Form-Individuen erster Ordnung
vor denen der übrigen Ordnungen auszeichnet, ist vorzüglich durch
zwei Umstände bedingt, erstens dadurch, dass die ersteren in weit
höherem Maasse als die letzteren den allerverschiedensten und end-
los mannichfaltigen Anpassungs-Verhältnissen sich fügen müssen, und
zweitens dadurch, dass die meisten Plastiden, welche sich zu höherer
Grundform erheben, während ihrer individuellen Entwickelung eine
Reihe von niederen Grundformen durchlaufen müssen.
Nächst der unbeschränkten Mannichfaltigkeit der Grundformen
liegt ein zweiter promorphologischer Character der Plastiden, und ein
sehr wichtiger, in dem allgemeinen Vorherrschen der niederen Grund-
formen. Obschon auch alle höheren, ja selbst die höchsten und voll-
kommensten Promorphen in gewissen Plastiden verkörpert sind, treten
diese doch im Ganzen zurück gegen die vorwiegend ausgebildeten
niederen und einfachen Formen. Nur diejenigen Cytoden und Zellen,
welche als freie und isolirte Lebenseinheiten das materielle Substrat
von actuellen Bionten bilden, zeigen im Allgemeinen einen grösseren
Reichthum von höheren Grundformen, während die grosse Mehrzahl aller
übrigen Plastiden, die in dem geselligen Verbande der Synusie Organe
und überhaupt Form-Individuen höherer Ordnung constituiren, aller-
meist niedere Promorphen beibehalten.
Wenn man alle gegenwärtig existirenden Cytoden und Zellen ne-
ben einander hinsichtlich ihrer Grundform vergleichen und statistisch
ordnen könnte, so würde sich wahrscheinlich das Resultat ergeben,
dass die Mehrzahl aller Plastiden entweder die vollkommen amorphe
Grundform der Anaxonien besitzt, oder die absolut regelmässige Ge-
stalt der Kugel und der sich an diese zunächst anschliessenden
Monaxonien. Ferner würde sich dabei wahrscheinlich zeigen, dass die
Kugelform bei denjenigen Plastiden überwiegt, welche ihre Gestalt,
unbehindert von äusserem Druck frei nach allen Richtungen des
Raumes entwickeln können, wie z. B. diejenigen, welche frei in einer
Flüssigkeit leben (Blutzellen), während dagegen die Monaxonform und
die Anaxonform bei denjenigen Plastiden vorherrscht, welche sich in
ihrem allseitigen Wachsthum den äusseren Beschränkungen fügen
müssen, die ihnen die Raumverhältnisse der umgebenden Plastiden
auferlegen. Man hat aus diesem Grunde auch die Kugel als die ur-
sprüngliche gemeinsame Grundform aller Zellen angesehen, und diese
Anschauung könnte gerechtfertigt erscheinen, wenn wir an die Ver-
hältnisse der Autogonie denken. Offenbar ist der denkbar einfachste
und natürlichste Fall der Autogonie der, dass ein Plasmamolekül,
welches auf andere benachbarte Moleküle derselben Eiweissverbindung
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 529. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/568>, abgerufen am 25.11.2024.
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