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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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System der organischen Grundformen.
fast nur im Protistenreiche, bei denjenigen Stämmen der Organismen-
welt, die auch in anderer Beziehung auf der tiefsten Stufe der Orga-
nisation stehen. Vor Allem sind hier die einfachsten Anfänge des
Protistenreiches, Protogenes und Protamoeba zu nennen, die höchst
wichtigen und interessanten Moneren, welche als vollkommen structur-
lose und homogene, nackte Plasmaklumpen jeder bestimmten Form
entbehren, und vermöge der Fähigkeit der Moleküle ihres festflüssigen
Eiweisskörpers, nach allen Richtungen hin ihre gegenseitige Lage frei
zu ändern, alle möglichen unbestimmbaren Formen zeitweise annehmen
können (vergl. p. 133, 134). An diese vollkommen formlosen Mone-
ren schliessen sich unmittelbar die echten Amoeben (mit Kern und
contractiler Blase) an, deren stets sich verändernde Körperform eben-
falls absolut unregelmässig ist, ferner einige nah verwandte Proto-
plasten mit formlosem Panzer (Cyphidium), einige Flagellaten und
Myxomyceten und einige beschalte Rhizopoden niedersten Ranges, die
Gattung Squamulina und Acervulina unter den kalkschaligen Polytha-
lamien (wenigstens die typische Art derselben, A. acinosa). Die
mannichfaltigste Entwickelung der Anaxonform im Grossen findet sich
in der Klasse der Spongien, die zum grössten Theile dieser Grund-
form angehören dürfte.

Will man einen concreten Ausdruck für die acentre oder anaxonie
Körperform haben, so mag man sie als Klumpen (Bolus) bezeich-
nen. Eine Zerlegung derselben in correspondirende Theile, welche
eine bestimmte Beziehung auf eine gemeinsame Mitte haben, ist nie-
mals möglich, da ja diese Mitte selbst fehlt, und weder ein Mittel-
punkt, noch eine Mittellinie (Axe), noch eine Mittelebene jemals er-
kennbar ist. Doch lässt sich eine streng geometrische Ausmessung
auch dieser amorphen Formen, falls dieselbe erforderlich ist, leicht
dadurch herbeiführen, dass man einen willkührlich im Innern des
anaxonien Körpers angenommenen Mittelpunkt durch gerade Linien
mit allen Punkten der Oberfläche verbindet, welche ungefähr den
Ecken von polygonalen Grenzflächen entsprechen. Dadurch zerfällt
der ganze Körper in eine Anzahl von irregulären Pyramiden, welche
sich geometrisch untersuchen lassen.

Zweite Klasse der organischen Grundformen.
Axenfeste. Axonia.
(Centromorpha. Stereometrisch bestimmbare organische Formen mit einer
constanten Mitte.
)

Alle organischen Formen, welche nicht absolut unregelmässig
sind, lassen stets eine feste Mitte, ein Centrum, erkennen, in wel-
chem bestimmte Axen zusammentreffen oder durch welches mindestens

System der organischen Grundformen.
fast nur im Protistenreiche, bei denjenigen Stämmen der Organismen-
welt, die auch in anderer Beziehung auf der tiefsten Stufe der Orga-
nisation stehen. Vor Allem sind hier die einfachsten Anfänge des
Protistenreiches, Protogenes und Protamoeba zu nennen, die höchst
wichtigen und interessanten Moneren, welche als vollkommen structur-
lose und homogene, nackte Plasmaklumpen jeder bestimmten Form
entbehren, und vermöge der Fähigkeit der Moleküle ihres festflüssigen
Eiweisskörpers, nach allen Richtungen hin ihre gegenseitige Lage frei
zu ändern, alle möglichen unbestimmbaren Formen zeitweise annehmen
können (vergl. p. 133, 134). An diese vollkommen formlosen Mone-
ren schliessen sich unmittelbar die echten Amoeben (mit Kern und
contractiler Blase) an, deren stets sich verändernde Körperform eben-
falls absolut unregelmässig ist, ferner einige nah verwandte Proto-
plasten mit formlosem Panzer (Cyphidium), einige Flagellaten und
Myxomyceten und einige beschalte Rhizopoden niedersten Ranges, die
Gattung Squamulina und Acervulina unter den kalkschaligen Polytha-
lamien (wenigstens die typische Art derselben, A. acinosa). Die
mannichfaltigste Entwickelung der Anaxonform im Grossen findet sich
in der Klasse der Spongien, die zum grössten Theile dieser Grund-
form angehören dürfte.

Will man einen concreten Ausdruck für die acentre oder anaxonie
Körperform haben, so mag man sie als Klumpen (Bolus) bezeich-
nen. Eine Zerlegung derselben in correspondirende Theile, welche
eine bestimmte Beziehung auf eine gemeinsame Mitte haben, ist nie-
mals möglich, da ja diese Mitte selbst fehlt, und weder ein Mittel-
punkt, noch eine Mittellinie (Axe), noch eine Mittelebene jemals er-
kennbar ist. Doch lässt sich eine streng geometrische Ausmessung
auch dieser amorphen Formen, falls dieselbe erforderlich ist, leicht
dadurch herbeiführen, dass man einen willkührlich im Innern des
anaxonien Körpers angenommenen Mittelpunkt durch gerade Linien
mit allen Punkten der Oberfläche verbindet, welche ungefähr den
Ecken von polygonalen Grenzflächen entsprechen. Dadurch zerfällt
der ganze Körper in eine Anzahl von irregulären Pyramiden, welche
sich geometrisch untersuchen lassen.

Zweite Klasse der organischen Grundformen.
Axenfeste. Axonia.
(Centromorpha. Stereometrisch bestimmbare organische Formen mit einer
constanten Mitte.
)

Alle organischen Formen, welche nicht absolut unregelmässig
sind, lassen stets eine feste Mitte, ein Centrum, erkennen, in wel-
chem bestimmte Axen zusammentreffen oder durch welches mindestens

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[402/0441] System der organischen Grundformen. fast nur im Protistenreiche, bei denjenigen Stämmen der Organismen- welt, die auch in anderer Beziehung auf der tiefsten Stufe der Orga- nisation stehen. Vor Allem sind hier die einfachsten Anfänge des Protistenreiches, Protogenes und Protamoeba zu nennen, die höchst wichtigen und interessanten Moneren, welche als vollkommen structur- lose und homogene, nackte Plasmaklumpen jeder bestimmten Form entbehren, und vermöge der Fähigkeit der Moleküle ihres festflüssigen Eiweisskörpers, nach allen Richtungen hin ihre gegenseitige Lage frei zu ändern, alle möglichen unbestimmbaren Formen zeitweise annehmen können (vergl. p. 133, 134). An diese vollkommen formlosen Mone- ren schliessen sich unmittelbar die echten Amoeben (mit Kern und contractiler Blase) an, deren stets sich verändernde Körperform eben- falls absolut unregelmässig ist, ferner einige nah verwandte Proto- plasten mit formlosem Panzer (Cyphidium), einige Flagellaten und Myxomyceten und einige beschalte Rhizopoden niedersten Ranges, die Gattung Squamulina und Acervulina unter den kalkschaligen Polytha- lamien (wenigstens die typische Art derselben, A. acinosa). Die mannichfaltigste Entwickelung der Anaxonform im Grossen findet sich in der Klasse der Spongien, die zum grössten Theile dieser Grund- form angehören dürfte. Will man einen concreten Ausdruck für die acentre oder anaxonie Körperform haben, so mag man sie als Klumpen (Bolus) bezeich- nen. Eine Zerlegung derselben in correspondirende Theile, welche eine bestimmte Beziehung auf eine gemeinsame Mitte haben, ist nie- mals möglich, da ja diese Mitte selbst fehlt, und weder ein Mittel- punkt, noch eine Mittellinie (Axe), noch eine Mittelebene jemals er- kennbar ist. Doch lässt sich eine streng geometrische Ausmessung auch dieser amorphen Formen, falls dieselbe erforderlich ist, leicht dadurch herbeiführen, dass man einen willkührlich im Innern des anaxonien Körpers angenommenen Mittelpunkt durch gerade Linien mit allen Punkten der Oberfläche verbindet, welche ungefähr den Ecken von polygonalen Grenzflächen entsprechen. Dadurch zerfällt der ganze Körper in eine Anzahl von irregulären Pyramiden, welche sich geometrisch untersuchen lassen. Zweite Klasse der organischen Grundformen. Axenfeste. Axonia. (Centromorpha. Stereometrisch bestimmbare organische Formen mit einer constanten Mitte.) Alle organischen Formen, welche nicht absolut unregelmässig sind, lassen stets eine feste Mitte, ein Centrum, erkennen, in wel- chem bestimmte Axen zusammentreffen oder durch welches mindestens

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/441>, abgerufen am 23.11.2024.