Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen.
scheidet alle einzelnen Formen, belegt jede mit einem besonderen Namen und findet in deren systematischer Anordnung ihr höchstes Ziel.
Diese Kenntniss der organischen Formen gilt leider noch heute in den weitesten Kreisen als wissenschaftliche Morphologie der Orga- nismen. Man verachtet und verspottet zwar die früher fast ausschliess- lich herrschende oberflächliche Systematik, welche sich mit der blossen Kenntniss der äusseren Formenverhältnisse der Thiere und Pfianzen und mit deren systematischer Classification begnügte. Man vergisst dabei aber ganz, dass die gegenwärtig die meisten Zoologen und Bo- taniker beschäftigende Kenntniss der inneren Formenverhältnisse an sich betrachtet nicht um ein Haar höher steht, und ebenso wenig an und für sich auf den Rang einer erkennenden Wissenschaft Anspruch machen kann. Die anatomischen und histologischen Darstellungen einzelner Theile von Thieren und Pflanzen, sowie die anatomisch-histologischen Mono- graphieen einzelner Formen, welche sich in unseren zoologischen und botanischen Zeitschriften von Jahr zu Jahr immer massenhafter anhäu- fen und in deren Production von den Meisten das eigentliche Ziel der morphologischen Wissenschaft gesucht wird, sind für diese von ebenso untergeordnetem Werthe, als die im vorigen Jahrhundert vorherrschenden Beschreibungen und Classificationen der äusseren Species-Formen. Die Zootomie und die Phytotomie sind an sich so wenig wirkliche Wissen- schaften, als die von ihnen so verachtete, sogenannte Systematik; sie haben, wie diese, bloss den Rang einer unterhaltenden Gemüths- und Augen-Ergötzung. Alle Kenntnisse, die wir auf diesem Wege erlangen, sind nichts als Bausteine, aus deren Verbindung das Gebäude unserer Wissenschaft erst aufgerichtet werden soll.
Indem sich nun die grosse Mehrzahl der sogenannten Zoologen und Botaniker mit dem Aufsuchen, Ausgraben und Herbeischleppen dieser Bausteine begnügt, und in dem Wahne lebt, dass diese Kunst die eigentliche Wissenschaft sei, indem sie das Kennen mit dem Er- kennen verwechselt, kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn der Bau unseres wissenschaftlichen Lehrgebäudes selbst noch unendlich hinter den bescheidensten Anforderungen unserer heutigen Bildung zu- rück ist. Der denkenden Baumeister sind nur wenige, und diese we- nigen stehen so vereinzelt, dass sie unter der Masse der Handlanger verschwinden und nicht von den letzteren verstanden werden.
So gleicht denn leider die wissenschaftliche Morphologie der Or- ganismen heutzutage mehr einem grossen wüsten Steinhaufen, als einem bewohnbaren Gebäude. Und dieser Steinhaufen wird niemals dadurch ein Gebäude, dass man alle einzelnen Steine inwendig und auswendig untersucht und mikroskopirt, beschreibt und abbildet, benennt und dann wieder hinwirft. Wir kennen zwar die üblichen Phrasen von den riesenhaften Fortschritten der organischen Naturwissenschaften, und
Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen.
scheidet alle einzelnen Formen, belegt jede mit einem besonderen Namen und findet in deren systematischer Anordnung ihr höchstes Ziel.
Diese Kenntniss der organischen Formen gilt leider noch heute in den weitesten Kreisen als wissenschaftliche Morphologie der Orga- nismen. Man verachtet und verspottet zwar die früher fast ausschliess- lich herrschende oberflächliche Systematik, welche sich mit der blossen Kenntniss der äusseren Formenverhältnisse der Thiere und Pfianzen und mit deren systematischer Classification begnügte. Man vergisst dabei aber ganz, dass die gegenwärtig die meisten Zoologen und Bo- taniker beschäftigende Kenntniss der inneren Formenverhältnisse an sich betrachtet nicht um ein Haar höher steht, und ebenso wenig an und für sich auf den Rang einer erkennenden Wissenschaft Anspruch machen kann. Die anatomischen und histologischen Darstellungen einzelner Theile von Thieren und Pflanzen, sowie die anatomisch-histologischen Mono- graphieen einzelner Formen, welche sich in unseren zoologischen und botanischen Zeitschriften von Jahr zu Jahr immer massenhafter anhäu- fen und in deren Production von den Meisten das eigentliche Ziel der morphologischen Wissenschaft gesucht wird, sind für diese von ebenso untergeordnetem Werthe, als die im vorigen Jahrhundert vorherrschenden Beschreibungen und Classificationen der äusseren Species-Formen. Die Zootomie und die Phytotomie sind an sich so wenig wirkliche Wissen- schaften, als die von ihnen so verachtete, sogenannte Systematik; sie haben, wie diese, bloss den Rang einer unterhaltenden Gemüths- und Augen-Ergötzung. Alle Kenntnisse, die wir auf diesem Wege erlangen, sind nichts als Bausteine, aus deren Verbindung das Gebäude unserer Wissenschaft erst aufgerichtet werden soll.
Indem sich nun die grosse Mehrzahl der sogenannten Zoologen und Botaniker mit dem Aufsuchen, Ausgraben und Herbeischleppen dieser Bausteine begnügt, und in dem Wahne lebt, dass diese Kunst die eigentliche Wissenschaft sei, indem sie das Kennen mit dem Er- kennen verwechselt, kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn der Bau unseres wissenschaftlichen Lehrgebäudes selbst noch unendlich hinter den bescheidensten Anforderungen unserer heutigen Bildung zu- rück ist. Der denkenden Baumeister sind nur wenige, und diese we- nigen stehen so vereinzelt, dass sie unter der Masse der Handlanger verschwinden und nicht von den letzteren verstanden werden.
So gleicht denn leider die wissenschaftliche Morphologie der Or- ganismen heutzutage mehr einem grossen wüsten Steinhaufen, als einem bewohnbaren Gebäude. Und dieser Steinhaufen wird niemals dadurch ein Gebäude, dass man alle einzelnen Steine inwendig und auswendig untersucht und mikroskopirt, beschreibt und abbildet, benennt und dann wieder hinwirft. Wir kennen zwar die üblichen Phrasen von den riesenhaften Fortschritten der organischen Naturwissenschaften, und
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Begriff und Aufgabe der Morphologie der Organismen.
scheidet alle einzelnen Formen, belegt jede mit einem besonderen Namen
und findet in deren systematischer Anordnung ihr höchstes Ziel.
Diese Kenntniss der organischen Formen gilt leider noch heute
in den weitesten Kreisen als wissenschaftliche Morphologie der Orga-
nismen. Man verachtet und verspottet zwar die früher fast ausschliess-
lich herrschende oberflächliche Systematik, welche sich mit der blossen
Kenntniss der äusseren Formenverhältnisse der Thiere und Pfianzen
und mit deren systematischer Classification begnügte. Man vergisst
dabei aber ganz, dass die gegenwärtig die meisten Zoologen und Bo-
taniker beschäftigende Kenntniss der inneren Formenverhältnisse an sich
betrachtet nicht um ein Haar höher steht, und ebenso wenig an und
für sich auf den Rang einer erkennenden Wissenschaft Anspruch machen
kann. Die anatomischen und histologischen Darstellungen einzelner Theile
von Thieren und Pflanzen, sowie die anatomisch-histologischen Mono-
graphieen einzelner Formen, welche sich in unseren zoologischen und
botanischen Zeitschriften von Jahr zu Jahr immer massenhafter anhäu-
fen und in deren Production von den Meisten das eigentliche Ziel der
morphologischen Wissenschaft gesucht wird, sind für diese von ebenso
untergeordnetem Werthe, als die im vorigen Jahrhundert vorherrschenden
Beschreibungen und Classificationen der äusseren Species-Formen. Die
Zootomie und die Phytotomie sind an sich so wenig wirkliche Wissen-
schaften, als die von ihnen so verachtete, sogenannte Systematik; sie
haben, wie diese, bloss den Rang einer unterhaltenden Gemüths- und
Augen-Ergötzung. Alle Kenntnisse, die wir auf diesem Wege erlangen,
sind nichts als Bausteine, aus deren Verbindung das Gebäude unserer
Wissenschaft erst aufgerichtet werden soll.
Indem sich nun die grosse Mehrzahl der sogenannten Zoologen
und Botaniker mit dem Aufsuchen, Ausgraben und Herbeischleppen
dieser Bausteine begnügt, und in dem Wahne lebt, dass diese Kunst
die eigentliche Wissenschaft sei, indem sie das Kennen mit dem Er-
kennen verwechselt, kann es uns nicht Wunder nehmen, wenn der
Bau unseres wissenschaftlichen Lehrgebäudes selbst noch unendlich
hinter den bescheidensten Anforderungen unserer heutigen Bildung zu-
rück ist. Der denkenden Baumeister sind nur wenige, und diese we-
nigen stehen so vereinzelt, dass sie unter der Masse der Handlanger
verschwinden und nicht von den letzteren verstanden werden.
So gleicht denn leider die wissenschaftliche Morphologie der Or-
ganismen heutzutage mehr einem grossen wüsten Steinhaufen, als einem
bewohnbaren Gebäude. Und dieser Steinhaufen wird niemals dadurch
ein Gebäude, dass man alle einzelnen Steine inwendig und auswendig
untersucht und mikroskopirt, beschreibt und abbildet, benennt und dann
wieder hinwirft. Wir kennen zwar die üblichen Phrasen von den
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/43>, abgerufen am 11.12.2024.
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