II. Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen.
Die organische Grundform ist also keineswegs eine willkührliche Abstraction, welche wir durch beliebige Hervorhebung oder willkühr- liche Ergänzung einzelner Begrenzungs-Flächen, Linien oder Winkel des organischen Körpers erhalten, sondern sie ist der nothwendige und unveränderliche Ausdruck des constanten Lagerungs-Verhältnisses aller constituirenden Bestandtheile der organischen Form zu einander und zum Ganzen. Jedes organische Form-Individuum besitzt also in jedem gegebenen Zeitmomente nur eine einzige constante geometrische Grundform.
III.. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen.
Die allgemeine Existenz constanter stereometrischer Grundformen in allen realen morphologischen Individuen ist bisher nicht in dem Sinne, wie wir sie so eben bestimmt haben, anerkannt worden. Zwar haben einige wenige denkende Morphologen, unter denen namentlich Bronn, Johannes Müller, Burmeister, G. Jäger hervorzuheben sind, versucht, die verwickelten Thierformen auf einfache geometrische Grundformen zurückzuführen. Indessen galt es doch bei der Mehrzahl der organischen Morphologen, und zwar bei den Botanikern noch mehr, als bei den Zoologen, als feststehendes Dogma, dass eine solche Re- duction entweder gar nicht oder nur in höchst beschränktem Maasse möglich sei. Vergleicht man in dieser Beziehung die einleitenden Bemerkungen, welche selbst die besseren zoologischen und botani- schen Lehrbücher über die allgemeine Form der Thiere und Pflan- zen geben, so wird man meistens weiter Nichts finden, als die kurze Angabe, dass der Körper der Organismen, sowohl der Thiere als der Pflanzen, von höchst complicirten gekrümmten Flächen und krummen Linien begrenzt werde, während die reinen Formen der anorganischen Naturkörper, der Krystalle, sich durch ebene Flächen und grade Linien scharf unterscheiden sollen. Es wird sogar diese Differenz als eine der wesentlichsten aufgeführt, welche die beiden grossen Hauptab- theilungen der Naturkörper, organische und anorganische, trennen; auch wird oft noch hinzugefügt, dass eine mathematische Bestimmung der Form, eine Reduction auf einfache geometrische Grundformen, wie sie bei den Krystallen so leicht durchzuführen, und Aufgabe der
promorphologische Verständniss der äusseren Form ist, mag das Beispiel der Ctenophoren zeigen. Vielfach wird als deren Grundform das Ei oder das Ellipsoid angegeben, welches aber nur die Grundform der Hautdecken ist; die Promorphe des Ganzen ist vielmehr die achtseitige amphithecte Pyramide. Ebenso ist bei den Cidariden (den regulären Seeigeln) die Grundform nicht die Kugel (diese ist bloss die Grundform der Schale!), sondern die fünfseitige re- guläre Pyramide.
II. Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen.
Die organische Grundform ist also keineswegs eine willkührliche Abstraction, welche wir durch beliebige Hervorhebung oder willkühr- liche Ergänzung einzelner Begrenzungs-Flächen, Linien oder Winkel des organischen Körpers erhalten, sondern sie ist der nothwendige und unveränderliche Ausdruck des constanten Lagerungs-Verhältnisses aller constituirenden Bestandtheile der organischen Form zu einander und zum Ganzen. Jedes organische Form-Individuum besitzt also in jedem gegebenen Zeitmomente nur eine einzige constante geometrische Grundform.
III.. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen.
Die allgemeine Existenz constanter stereometrischer Grundformen in allen realen morphologischen Individuen ist bisher nicht in dem Sinne, wie wir sie so eben bestimmt haben, anerkannt worden. Zwar haben einige wenige denkende Morphologen, unter denen namentlich Bronn, Johannes Müller, Burmeister, G. Jäger hervorzuheben sind, versucht, die verwickelten Thierformen auf einfache geometrische Grundformen zurückzuführen. Indessen galt es doch bei der Mehrzahl der organischen Morphologen, und zwar bei den Botanikern noch mehr, als bei den Zoologen, als feststehendes Dogma, dass eine solche Re- duction entweder gar nicht oder nur in höchst beschränktem Maasse möglich sei. Vergleicht man in dieser Beziehung die einleitenden Bemerkungen, welche selbst die besseren zoologischen und botani- schen Lehrbücher über die allgemeine Form der Thiere und Pflan- zen geben, so wird man meistens weiter Nichts finden, als die kurze Angabe, dass der Körper der Organismen, sowohl der Thiere als der Pflanzen, von höchst complicirten gekrümmten Flächen und krummen Linien begrenzt werde, während die reinen Formen der anorganischen Naturkörper, der Krystalle, sich durch ebene Flächen und grade Linien scharf unterscheiden sollen. Es wird sogar diese Differenz als eine der wesentlichsten aufgeführt, welche die beiden grossen Hauptab- theilungen der Naturkörper, organische und anorganische, trennen; auch wird oft noch hinzugefügt, dass eine mathematische Bestimmung der Form, eine Reduction auf einfache geometrische Grundformen, wie sie bei den Krystallen so leicht durchzuführen, und Aufgabe der
promorphologische Verständniss der äusseren Form ist, mag das Beispiel der Ctenophoren zeigen. Vielfach wird als deren Grundform das Ei oder das Ellipsoid angegeben, welches aber nur die Grundform der Hautdecken ist; die Promorphe des Ganzen ist vielmehr die achtseitige amphithecte Pyramide. Ebenso ist bei den Cidariden (den regulären Seeigeln) die Grundform nicht die Kugel (diese ist bloss die Grundform der Schale!), sondern die fünfseitige re- guläre Pyramide.
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II. Begriff der organischen Grundform im Allgemeinen.
Die organische Grundform ist also keineswegs eine willkührliche
Abstraction, welche wir durch beliebige Hervorhebung oder willkühr-
liche Ergänzung einzelner Begrenzungs-Flächen, Linien oder Winkel
des organischen Körpers erhalten, sondern sie ist der nothwendige
und unveränderliche Ausdruck des constanten Lagerungs-Verhältnisses
aller constituirenden Bestandtheile der organischen Form zu einander
und zum Ganzen. Jedes organische Form-Individuum besitzt also in
jedem gegebenen Zeitmomente nur eine einzige constante geometrische
Grundform.
III.. Verschiedene Ansichten über die organischen Grundformen.
Die allgemeine Existenz constanter stereometrischer Grundformen
in allen realen morphologischen Individuen ist bisher nicht in dem
Sinne, wie wir sie so eben bestimmt haben, anerkannt worden. Zwar
haben einige wenige denkende Morphologen, unter denen namentlich
Bronn, Johannes Müller, Burmeister, G. Jäger hervorzuheben
sind, versucht, die verwickelten Thierformen auf einfache geometrische
Grundformen zurückzuführen. Indessen galt es doch bei der Mehrzahl
der organischen Morphologen, und zwar bei den Botanikern noch mehr,
als bei den Zoologen, als feststehendes Dogma, dass eine solche Re-
duction entweder gar nicht oder nur in höchst beschränktem Maasse
möglich sei. Vergleicht man in dieser Beziehung die einleitenden
Bemerkungen, welche selbst die besseren zoologischen und botani-
schen Lehrbücher über die allgemeine Form der Thiere und Pflan-
zen geben, so wird man meistens weiter Nichts finden, als die kurze
Angabe, dass der Körper der Organismen, sowohl der Thiere als der
Pflanzen, von höchst complicirten gekrümmten Flächen und krummen
Linien begrenzt werde, während die reinen Formen der anorganischen
Naturkörper, der Krystalle, sich durch ebene Flächen und grade Linien
scharf unterscheiden sollen. Es wird sogar diese Differenz als eine
der wesentlichsten aufgeführt, welche die beiden grossen Hauptab-
theilungen der Naturkörper, organische und anorganische, trennen;
auch wird oft noch hinzugefügt, dass eine mathematische Bestimmung
der Form, eine Reduction auf einfache geometrische Grundformen, wie
sie bei den Krystallen so leicht durchzuführen, und Aufgabe der
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1) promorphologische Verständniss der äusseren Form ist, mag das Beispiel der
Ctenophoren zeigen. Vielfach wird als deren Grundform das Ei oder das
Ellipsoid angegeben, welches aber nur die Grundform der Hautdecken ist; die
Promorphe des Ganzen ist vielmehr die achtseitige amphithecte Pyramide.
Ebenso ist bei den Cidariden (den regulären Seeigeln) die Grundform nicht die
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/420>, abgerufen am 23.11.2024.
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