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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Morphologische Individualität der Organismen.
hältniss zu den Seitensprossen entwickelt, je mehr sie über diese das
Uebergewicht behält, desto entschiedener tritt der individuelle Character
des Cormus hervor; je weniger dies der Fall ist, desto mehr erscheint
der ganze Stock nur als ein Aggregat von coordinirten Personen
(Sympodium).

Je nach der unterirdischen oder oberirdischen Entwickelung des
Hauptsprosses (Blastus primarius) und je nach dem gegenseitigen Ver-
halten des Hauptsprosses zu den Seitensprossen (Blasti secundarii),
sowie nach der Differenzirung der letzteren in geschlechtslose und ge-
schlechtlich entwickelte, lassen sich bei den Pflanzenstöcken zahlreiche,
mit sehr verschiedenen Namen benannte Stockformen unterscheiden.
Zunächst kann man als zwei Hauptgruppen allgemein einfache und
zusammengesetzte Stöcke trennen. Einfache Stöcke (Cormi sim-
plices)
nennen wir solche, bei denen entweder alle Sprosse sexuell
sind, oder bloss der Hauptspross geschlechtslos, alle Nebensprosse
aber geschlechtlich entwickelt sind, z. B. alle unverästelten einjährigen
Gräser, jede einjährige verästelte Pflanze, bei welcher alle Aeste
terminale Blüthen tragen, einfache Pflanzen mit einer einzigen Dolden-
blüthe, z. B. Androsace maxima, einfache, unverästelte, einjährige Com-
positen mit einem einzigen Blüthenköpfchen. Letztere finden sich z. B.
bei Arnoseris pusilla, Anacyclus officinalis und ausnahmsweise bei
Erigeron canadense, Chrysanthemum segetum etc. Zusammenge-
setzte Stöcke (Cormi compositi)
dagegen sind solche, bei denen
nicht bloss der Hauptspross, sondern auch ein Theil der Nebensprosse
geschlechtslos, der übrige Theil der Nebensprosse geschlechtlich differen-
zirt ist, wie dies bei den allermeisten Phanerogamen der Fall ist.
Unter diesen unterscheiden die Botaniker dann weiter einjährige Stöcke
oder Stengel (Caules) und mehrjährige zusammengesetzte Stöcke oder
Stämme (Trunci). Ferner nennen dieselben solche Pflanzen, welche
unterirdische Stämme und oberirdische Stengel haben, Stauden (Suffru-
tices), sodann Stämme, welche von unten auf verästelt sind, ohne
Vorherrschen des Hauptstammes, Büsche (Frutices), und endlich Stämme,
deren untere Aeste bald absterben, so dass die oberen eine Krone
bilden, Bäume (Arbores).

Ganz ähnliche Unterschiede in der Stockbildung, wie diese bei
den Phanerogamen eingeführten, liessen sich dann auch bei den Coe-
lenteraten machen, welche echte Stöcke bilden, bei den Anthozoen
und Hydromedusen. Indessen sind hier auch verschiedene andere,
namentlich die durch longitudinale Theilung entstandenen Stockformen
zu berücksichtigen, welche im Pflanzenreiche entweder gar nicht oder
nur bei den Thallophyten vorkommen. Ferner würde man hier ins-
besondere zu unterscheiden haben zwischen solchen Stöcken, welche
gleich den meisten Phanerogamen aus Ketten-Personen, zusammenge-

Morphologische Individualität der Organismen.
hältniss zu den Seitensprossen entwickelt, je mehr sie über diese das
Uebergewicht behält, desto entschiedener tritt der individuelle Character
des Cormus hervor; je weniger dies der Fall ist, desto mehr erscheint
der ganze Stock nur als ein Aggregat von coordinirten Personen
(Sympodium).

Je nach der unterirdischen oder oberirdischen Entwickelung des
Hauptsprosses (Blastus primarius) und je nach dem gegenseitigen Ver-
halten des Hauptsprosses zu den Seitensprossen (Blasti secundarii),
sowie nach der Differenzirung der letzteren in geschlechtslose und ge-
schlechtlich entwickelte, lassen sich bei den Pflanzenstöcken zahlreiche,
mit sehr verschiedenen Namen benannte Stockformen unterscheiden.
Zunächst kann man als zwei Hauptgruppen allgemein einfache und
zusammengesetzte Stöcke trennen. Einfache Stöcke (Cormi sim-
plices)
nennen wir solche, bei denen entweder alle Sprosse sexuell
sind, oder bloss der Hauptspross geschlechtslos, alle Nebensprosse
aber geschlechtlich entwickelt sind, z. B. alle unverästelten einjährigen
Gräser, jede einjährige verästelte Pflanze, bei welcher alle Aeste
terminale Blüthen tragen, einfache Pflanzen mit einer einzigen Dolden-
blüthe, z. B. Androsace maxima, einfache, unverästelte, einjährige Com-
positen mit einem einzigen Blüthenköpfchen. Letztere finden sich z. B.
bei Arnoseris pusilla, Anacyclus officinalis und ausnahmsweise bei
Erigeron canadense, Chrysanthemum segetum etc. Zusammenge-
setzte Stöcke (Cormi compositi)
dagegen sind solche, bei denen
nicht bloss der Hauptspross, sondern auch ein Theil der Nebensprosse
geschlechtslos, der übrige Theil der Nebensprosse geschlechtlich differen-
zirt ist, wie dies bei den allermeisten Phanerogamen der Fall ist.
Unter diesen unterscheiden die Botaniker dann weiter einjährige Stöcke
oder Stengel (Caules) und mehrjährige zusammengesetzte Stöcke oder
Stämme (Trunci). Ferner nennen dieselben solche Pflanzen, welche
unterirdische Stämme und oberirdische Stengel haben, Stauden (Suffru-
tices), sodann Stämme, welche von unten auf verästelt sind, ohne
Vorherrschen des Hauptstammes, Büsche (Frutices), und endlich Stämme,
deren untere Aeste bald absterben, so dass die oberen eine Krone
bilden, Bäume (Arbores).

Ganz ähnliche Unterschiede in der Stockbildung, wie diese bei
den Phanerogamen eingeführten, liessen sich dann auch bei den Coe-
lenteraten machen, welche echte Stöcke bilden, bei den Anthozoen
und Hydromedusen. Indessen sind hier auch verschiedene andere,
namentlich die durch longitudinale Theilung entstandenen Stockformen
zu berücksichtigen, welche im Pflanzenreiche entweder gar nicht oder
nur bei den Thallophyten vorkommen. Ferner würde man hier ins-
besondere zu unterscheiden haben zwischen solchen Stöcken, welche
gleich den meisten Phanerogamen aus Ketten-Personen, zusammenge-

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[330/0369] Morphologische Individualität der Organismen. hältniss zu den Seitensprossen entwickelt, je mehr sie über diese das Uebergewicht behält, desto entschiedener tritt der individuelle Character des Cormus hervor; je weniger dies der Fall ist, desto mehr erscheint der ganze Stock nur als ein Aggregat von coordinirten Personen (Sympodium). Je nach der unterirdischen oder oberirdischen Entwickelung des Hauptsprosses (Blastus primarius) und je nach dem gegenseitigen Ver- halten des Hauptsprosses zu den Seitensprossen (Blasti secundarii), sowie nach der Differenzirung der letzteren in geschlechtslose und ge- schlechtlich entwickelte, lassen sich bei den Pflanzenstöcken zahlreiche, mit sehr verschiedenen Namen benannte Stockformen unterscheiden. Zunächst kann man als zwei Hauptgruppen allgemein einfache und zusammengesetzte Stöcke trennen. Einfache Stöcke (Cormi sim- plices) nennen wir solche, bei denen entweder alle Sprosse sexuell sind, oder bloss der Hauptspross geschlechtslos, alle Nebensprosse aber geschlechtlich entwickelt sind, z. B. alle unverästelten einjährigen Gräser, jede einjährige verästelte Pflanze, bei welcher alle Aeste terminale Blüthen tragen, einfache Pflanzen mit einer einzigen Dolden- blüthe, z. B. Androsace maxima, einfache, unverästelte, einjährige Com- positen mit einem einzigen Blüthenköpfchen. Letztere finden sich z. B. bei Arnoseris pusilla, Anacyclus officinalis und ausnahmsweise bei Erigeron canadense, Chrysanthemum segetum etc. Zusammenge- setzte Stöcke (Cormi compositi) dagegen sind solche, bei denen nicht bloss der Hauptspross, sondern auch ein Theil der Nebensprosse geschlechtslos, der übrige Theil der Nebensprosse geschlechtlich differen- zirt ist, wie dies bei den allermeisten Phanerogamen der Fall ist. Unter diesen unterscheiden die Botaniker dann weiter einjährige Stöcke oder Stengel (Caules) und mehrjährige zusammengesetzte Stöcke oder Stämme (Trunci). Ferner nennen dieselben solche Pflanzen, welche unterirdische Stämme und oberirdische Stengel haben, Stauden (Suffru- tices), sodann Stämme, welche von unten auf verästelt sind, ohne Vorherrschen des Hauptstammes, Büsche (Frutices), und endlich Stämme, deren untere Aeste bald absterben, so dass die oberen eine Krone bilden, Bäume (Arbores). Ganz ähnliche Unterschiede in der Stockbildung, wie diese bei den Phanerogamen eingeführten, liessen sich dann auch bei den Coe- lenteraten machen, welche echte Stöcke bilden, bei den Anthozoen und Hydromedusen. Indessen sind hier auch verschiedene andere, namentlich die durch longitudinale Theilung entstandenen Stockformen zu berücksichtigen, welche im Pflanzenreiche entweder gar nicht oder nur bei den Thallophyten vorkommen. Ferner würde man hier ins- besondere zu unterscheiden haben zwischen solchen Stöcken, welche gleich den meisten Phanerogamen aus Ketten-Personen, zusammenge-

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/369>, abgerufen am 23.11.2024.