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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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VI. Morphologische Individuen sechster Ordnung: Stöcke.
Salicornariden) zeichnen sich vor den übrigen Bryozoen dadurch aus,
dass alle einzelne Zweige (Personen) des Stockes deutlich gegliedert,
aus Metameren zusammengesetzt und mithin der Stock ein echter Cor-
mus ist. Dasselbe gilt auch von der Mehrzahl der Coelenteraten-
Stöcke, wo die Gliederung der Personen, ihre Zusammensetzung aus
Metameren, sowohl bei den Anthozoen als Hydroidpolypen meist deut-
lich ausgesprochen ist. Doch kommen daneben auch vielfach falsche
Scheinstöcke ohne Gliederbildung vor, zusammengesetzt aus Bionten
vom Werthe der Metameren, welche sich zu Busch-Personen vereinigt
haben. Die Echinodermen gelten gewöhnlich sämmtlich für "ein-
fache
Individuen", d. h. Personen und man nimmt an, dass ihnen
Stockbildung gänzlich fehlt. Indessen ist es uns, wie wir im sechsten
Buche näher zeigen werden, höchst wahrscheinlich, dass alle Echino-
dermen echte Cormen sind, nämlich Articulaten-Stöcke, entstanden durch
radiale Verbindung von (meistens fünf) gegliederten Würmern, welche
sich in ähnlicher Weise eine gemeinsame Ingestionsöffnung bildeten,
wie die Botrylliden unter den zusammengesetzten Ascidien sich eine
gemeinsame Egestionsöffnung (Kloake) gebildet haben. Diese Hypo-
these scheint uns sowohl in der anatomischen Verwandtschaft der
Echinodermen und Würmer, als besonders in ihrer Entwickelungsge-
schichte begründet zu sein. Es würden in diesem Falle die Echino-
dermen für die vollkommensten von allen Thierstöcken zu halten sein,
bei denen die Centralisation des Cormus, die einheitliche Ausbildung
des ganzen Stockes ihren höchsten Grad erreicht hat.

Die allermeisten Cormen entstehen, wie wir im achtzehnten Capitel
sehen werden, durch laterale Knospenbildung von Personen und blei-
bende Vereinigung dieser Sprosse. Dahin gehören die allermeisten
Stöcke der Phanerogamen und der Hydroidpolypen. Auch sehr viele
Anthozoenstöcke entstehen durch diesen Spaltungs-Modus. Andere
Anthozoen, und zwar vorzugsweise die Astraeiden, entstehen durch
unvollständige Längstheilung und Diradiation von Personen. Viel
seltener, und bei den Phanerogamen, wie es scheint, nur als Monstrosi-
tät, findet sich die Selbsttheilung von Personen im Pflanzenreiche vor,
wo sie zu der eigenthümlichen Stockform führt, welche man Fasciation
nennt (sehr eigenthümlich z. B. bei der Hahnenkammpflanze, Celosia
cristata,
und bei einigen monströsen Cacteen, Mammillaria etc.).

Die verschiedenen Formen der Stöcke sind ausserordentlich man-
nichfaltig und bieten in den beiden Stämmen der Cormophyten und
Coelenteraten zahlreiche und oft sehr auffallende Analogieen dar.
Hauptsächlich ist hierbei bestimmend die Eigenthümlichkeit der ersten
Person (Hauptspross, Blastus primarius) von welcher die Knospenbildung
ausgeht, und ihr Verhältniss zu den übrigen Sprossen oder Seiten-
sprossen (Blasti secundarii). Je stärker sich die Hauptaxe im Ver-

VI. Morphologische Individuen sechster Ordnung: Stöcke.
Salicornariden) zeichnen sich vor den übrigen Bryozoen dadurch aus,
dass alle einzelne Zweige (Personen) des Stockes deutlich gegliedert,
aus Metameren zusammengesetzt und mithin der Stock ein echter Cor-
mus ist. Dasselbe gilt auch von der Mehrzahl der Coelenteraten-
Stöcke, wo die Gliederung der Personen, ihre Zusammensetzung aus
Metameren, sowohl bei den Anthozoen als Hydroidpolypen meist deut-
lich ausgesprochen ist. Doch kommen daneben auch vielfach falsche
Scheinstöcke ohne Gliederbildung vor, zusammengesetzt aus Bionten
vom Werthe der Metameren, welche sich zu Busch-Personen vereinigt
haben. Die Echinodermen gelten gewöhnlich sämmtlich für „ein-
fache
Individuen“, d. h. Personen und man nimmt an, dass ihnen
Stockbildung gänzlich fehlt. Indessen ist es uns, wie wir im sechsten
Buche näher zeigen werden, höchst wahrscheinlich, dass alle Echino-
dermen echte Cormen sind, nämlich Articulaten-Stöcke, entstanden durch
radiale Verbindung von (meistens fünf) gegliederten Würmern, welche
sich in ähnlicher Weise eine gemeinsame Ingestionsöffnung bildeten,
wie die Botrylliden unter den zusammengesetzten Ascidien sich eine
gemeinsame Egestionsöffnung (Kloake) gebildet haben. Diese Hypo-
these scheint uns sowohl in der anatomischen Verwandtschaft der
Echinodermen und Würmer, als besonders in ihrer Entwickelungsge-
schichte begründet zu sein. Es würden in diesem Falle die Echino-
dermen für die vollkommensten von allen Thierstöcken zu halten sein,
bei denen die Centralisation des Cormus, die einheitliche Ausbildung
des ganzen Stockes ihren höchsten Grad erreicht hat.

Die allermeisten Cormen entstehen, wie wir im achtzehnten Capitel
sehen werden, durch laterale Knospenbildung von Personen und blei-
bende Vereinigung dieser Sprosse. Dahin gehören die allermeisten
Stöcke der Phanerogamen und der Hydroidpolypen. Auch sehr viele
Anthozoenstöcke entstehen durch diesen Spaltungs-Modus. Andere
Anthozoen, und zwar vorzugsweise die Astraeiden, entstehen durch
unvollständige Längstheilung und Diradiation von Personen. Viel
seltener, und bei den Phanerogamen, wie es scheint, nur als Monstrosi-
tät, findet sich die Selbsttheilung von Personen im Pflanzenreiche vor,
wo sie zu der eigenthümlichen Stockform führt, welche man Fasciation
nennt (sehr eigenthümlich z. B. bei der Hahnenkammpflanze, Celosia
cristata,
und bei einigen monströsen Cacteen, Mammillaria etc.).

Die verschiedenen Formen der Stöcke sind ausserordentlich man-
nichfaltig und bieten in den beiden Stämmen der Cormophyten und
Coelenteraten zahlreiche und oft sehr auffallende Analogieen dar.
Hauptsächlich ist hierbei bestimmend die Eigenthümlichkeit der ersten
Person (Hauptspross, Blastus primarius) von welcher die Knospenbildung
ausgeht, und ihr Verhältniss zu den übrigen Sprossen oder Seiten-
sprossen (Blasti secundarii). Je stärker sich die Hauptaxe im Ver-

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[329/0368] VI. Morphologische Individuen sechster Ordnung: Stöcke. Salicornariden) zeichnen sich vor den übrigen Bryozoen dadurch aus, dass alle einzelne Zweige (Personen) des Stockes deutlich gegliedert, aus Metameren zusammengesetzt und mithin der Stock ein echter Cor- mus ist. Dasselbe gilt auch von der Mehrzahl der Coelenteraten- Stöcke, wo die Gliederung der Personen, ihre Zusammensetzung aus Metameren, sowohl bei den Anthozoen als Hydroidpolypen meist deut- lich ausgesprochen ist. Doch kommen daneben auch vielfach falsche Scheinstöcke ohne Gliederbildung vor, zusammengesetzt aus Bionten vom Werthe der Metameren, welche sich zu Busch-Personen vereinigt haben. Die Echinodermen gelten gewöhnlich sämmtlich für „ein- fache Individuen“, d. h. Personen und man nimmt an, dass ihnen Stockbildung gänzlich fehlt. Indessen ist es uns, wie wir im sechsten Buche näher zeigen werden, höchst wahrscheinlich, dass alle Echino- dermen echte Cormen sind, nämlich Articulaten-Stöcke, entstanden durch radiale Verbindung von (meistens fünf) gegliederten Würmern, welche sich in ähnlicher Weise eine gemeinsame Ingestionsöffnung bildeten, wie die Botrylliden unter den zusammengesetzten Ascidien sich eine gemeinsame Egestionsöffnung (Kloake) gebildet haben. Diese Hypo- these scheint uns sowohl in der anatomischen Verwandtschaft der Echinodermen und Würmer, als besonders in ihrer Entwickelungsge- schichte begründet zu sein. Es würden in diesem Falle die Echino- dermen für die vollkommensten von allen Thierstöcken zu halten sein, bei denen die Centralisation des Cormus, die einheitliche Ausbildung des ganzen Stockes ihren höchsten Grad erreicht hat. Die allermeisten Cormen entstehen, wie wir im achtzehnten Capitel sehen werden, durch laterale Knospenbildung von Personen und blei- bende Vereinigung dieser Sprosse. Dahin gehören die allermeisten Stöcke der Phanerogamen und der Hydroidpolypen. Auch sehr viele Anthozoenstöcke entstehen durch diesen Spaltungs-Modus. Andere Anthozoen, und zwar vorzugsweise die Astraeiden, entstehen durch unvollständige Längstheilung und Diradiation von Personen. Viel seltener, und bei den Phanerogamen, wie es scheint, nur als Monstrosi- tät, findet sich die Selbsttheilung von Personen im Pflanzenreiche vor, wo sie zu der eigenthümlichen Stockform führt, welche man Fasciation nennt (sehr eigenthümlich z. B. bei der Hahnenkammpflanze, Celosia cristata, und bei einigen monströsen Cacteen, Mammillaria etc.). Die verschiedenen Formen der Stöcke sind ausserordentlich man- nichfaltig und bieten in den beiden Stämmen der Cormophyten und Coelenteraten zahlreiche und oft sehr auffallende Analogieen dar. Hauptsächlich ist hierbei bestimmend die Eigenthümlichkeit der ersten Person (Hauptspross, Blastus primarius) von welcher die Knospenbildung ausgeht, und ihr Verhältniss zu den übrigen Sprossen oder Seiten- sprossen (Blasti secundarii). Je stärker sich die Hauptaxe im Ver-

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 329. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/368>, abgerufen am 16.07.2024.