V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.
Coelenteraten nur als subordinirte Bestandtheile einer noch höher stehenden Einheit, des Stockes erscheinen, so ist dennoch, ausgehend von der Individualität des Menschen und der höheren Thiere, die irr- thümliche Auffassung der morphologischen Individuen fünfter Ordnung als der "eigentlichen" organischen Individuen eine so allgemeine ge- worden, und hat sich so fest in dem wissenschaftlichen sowohl als im Volks-Bewusstsein eingenistet, dass wir sie als die Hauptquelle der zahlreichen verschiedenartigen Auffassungen und Streitigkeiten, die in Betreff der organischen Individualität herrschen, bezeichnen müssen.
Um diese "eigentliche" Individualität, welche sich durch be- stimmte morphologische Eigenschaften mit voller Sicherheit als ein "morphologisches Individuum fünfter Ordnung" scharf characterisiren lässt, ein für allemal von allen anderen organischen Individualitäts- Formen zu unterscheiden, wollen wir für dieselbe beständig die Bei- zeichnung der Person oder des Prosopon1) beibehalten. Mit diesem Ausdrucke lehnen wir uns unmittelbar an den bestehenden Sprachge- brauch an, welcher ja insbesondere das menschliche Individuum sehr allgemein als "Person" bezeichnet. Die Botaniker gebrauchen zur Be- zeichnung derselben morphologischen Individualität fünfter Ordnung den Ausdruck Spross oder Blastus, welcher sehr häufig irrthümlich durch den keineswegs gleichbedeutenden Ausdruck der Knospe (Gemma) ersetzt wird. Wir machen daher ausdrücklich darauf aufmerksam, dass im Sinne der besten Botaniker, und namentlich im Sinne der- jenigen, welche die Individualität der Sprosse am eingehendsten und klarsten behandelt haben, wie Alexander Braun, der Ausdruck Spross oder Blastus ausschliesslich in dem hier beibehaltenen Sinne für das morphologische Pflanzen-Individuum fünfter Ordnung ge- braucht wird. Der Ausdruck Knospe oder Gemma, welcher so oft damit verwechselt wird, ist dagegen, wenn er einen scharf bestimmten Begriff bezeichnen soll, nur für diejenige rein physiologische In- dividualität irgend einer Ordnung anzuwenden, welche durch den be- stimmten ungeschlechtlichen Fortpflanzungs-Modus der Knospenbil- dung (Gemmatio) entsteht. Wie wir im siebzehnten Capitel noch näher ausführen werden, ist dieser wichtige Spaltungs-Process durch Gemmation bei organischen Individuen aller Ordnungen weit ver- breitet, und es entstehen nicht bloss viele Sprosse durch Knospung, sondern auch viele Zellen, Organe, Metameren und Stöcke. Knospe oder Gemma bedeutet also in diesem correcten und fortan stets fest- zuhaltenden Sinne ausschliesslich ein durch Knospenbildung erzeugtes Individuum irgend einer Ordnung. Spross oder Blastus dagegen nennen wir mit Alexander Braun u. A. ausschliesslich das echte
1) prosopon, to; Persona. blastos, o; der Spross.
V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.
Coelenteraten nur als subordinirte Bestandtheile einer noch höher stehenden Einheit, des Stockes erscheinen, so ist dennoch, ausgehend von der Individualität des Menschen und der höheren Thiere, die irr- thümliche Auffassung der morphologischen Individuen fünfter Ordnung als der „eigentlichen“ organischen Individuen eine so allgemeine ge- worden, und hat sich so fest in dem wissenschaftlichen sowohl als im Volks-Bewusstsein eingenistet, dass wir sie als die Hauptquelle der zahlreichen verschiedenartigen Auffassungen und Streitigkeiten, die in Betreff der organischen Individualität herrschen, bezeichnen müssen.
Um diese „eigentliche“ Individualität, welche sich durch be- stimmte morphologische Eigenschaften mit voller Sicherheit als ein „morphologisches Individuum fünfter Ordnung“ scharf characterisiren lässt, ein für allemal von allen anderen organischen Individualitäts- Formen zu unterscheiden, wollen wir für dieselbe beständig die Bei- zeichnung der Person oder des Prosopon1) beibehalten. Mit diesem Ausdrucke lehnen wir uns unmittelbar an den bestehenden Sprachge- brauch an, welcher ja insbesondere das menschliche Individuum sehr allgemein als „Person“ bezeichnet. Die Botaniker gebrauchen zur Be- zeichnung derselben morphologischen Individualität fünfter Ordnung den Ausdruck Spross oder Blastus, welcher sehr häufig irrthümlich durch den keineswegs gleichbedeutenden Ausdruck der Knospe (Gemma) ersetzt wird. Wir machen daher ausdrücklich darauf aufmerksam, dass im Sinne der besten Botaniker, und namentlich im Sinne der- jenigen, welche die Individualität der Sprosse am eingehendsten und klarsten behandelt haben, wie Alexander Braun, der Ausdruck Spross oder Blastus ausschliesslich in dem hier beibehaltenen Sinne für das morphologische Pflanzen-Individuum fünfter Ordnung ge- braucht wird. Der Ausdruck Knospe oder Gemma, welcher so oft damit verwechselt wird, ist dagegen, wenn er einen scharf bestimmten Begriff bezeichnen soll, nur für diejenige rein physiologische In- dividualität irgend einer Ordnung anzuwenden, welche durch den be- stimmten ungeschlechtlichen Fortpflanzungs-Modus der Knospenbil- dung (Gemmatio) entsteht. Wie wir im siebzehnten Capitel noch näher ausführen werden, ist dieser wichtige Spaltungs-Process durch Gemmation bei organischen Individuen aller Ordnungen weit ver- breitet, und es entstehen nicht bloss viele Sprosse durch Knospung, sondern auch viele Zellen, Organe, Metameren und Stöcke. Knospe oder Gemma bedeutet also in diesem correcten und fortan stets fest- zuhaltenden Sinne ausschliesslich ein durch Knospenbildung erzeugtes Individuum irgend einer Ordnung. Spross oder Blastus dagegen nennen wir mit Alexander Braun u. A. ausschliesslich das echte
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V. Morphologische Individuen fünfter Ordnung: Personen.
Coelenteraten nur als subordinirte Bestandtheile einer noch höher
stehenden Einheit, des Stockes erscheinen, so ist dennoch, ausgehend
von der Individualität des Menschen und der höheren Thiere, die irr-
thümliche Auffassung der morphologischen Individuen fünfter Ordnung
als der „eigentlichen“ organischen Individuen eine so allgemeine ge-
worden, und hat sich so fest in dem wissenschaftlichen sowohl als im
Volks-Bewusstsein eingenistet, dass wir sie als die Hauptquelle der
zahlreichen verschiedenartigen Auffassungen und Streitigkeiten, die in
Betreff der organischen Individualität herrschen, bezeichnen müssen.
Um diese „eigentliche“ Individualität, welche sich durch be-
stimmte morphologische Eigenschaften mit voller Sicherheit als ein
„morphologisches Individuum fünfter Ordnung“ scharf characterisiren
lässt, ein für allemal von allen anderen organischen Individualitäts-
Formen zu unterscheiden, wollen wir für dieselbe beständig die Bei-
zeichnung der Person oder des Prosopon 1) beibehalten. Mit diesem
Ausdrucke lehnen wir uns unmittelbar an den bestehenden Sprachge-
brauch an, welcher ja insbesondere das menschliche Individuum sehr
allgemein als „Person“ bezeichnet. Die Botaniker gebrauchen zur Be-
zeichnung derselben morphologischen Individualität fünfter Ordnung
den Ausdruck Spross oder Blastus, welcher sehr häufig irrthümlich
durch den keineswegs gleichbedeutenden Ausdruck der Knospe (Gemma)
ersetzt wird. Wir machen daher ausdrücklich darauf aufmerksam,
dass im Sinne der besten Botaniker, und namentlich im Sinne der-
jenigen, welche die Individualität der Sprosse am eingehendsten und
klarsten behandelt haben, wie Alexander Braun, der Ausdruck
Spross oder Blastus ausschliesslich in dem hier beibehaltenen Sinne
für das morphologische Pflanzen-Individuum fünfter Ordnung ge-
braucht wird. Der Ausdruck Knospe oder Gemma, welcher so oft
damit verwechselt wird, ist dagegen, wenn er einen scharf bestimmten
Begriff bezeichnen soll, nur für diejenige rein physiologische In-
dividualität irgend einer Ordnung anzuwenden, welche durch den be-
stimmten ungeschlechtlichen Fortpflanzungs-Modus der Knospenbil-
dung (Gemmatio) entsteht. Wie wir im siebzehnten Capitel noch
näher ausführen werden, ist dieser wichtige Spaltungs-Process durch
Gemmation bei organischen Individuen aller Ordnungen weit ver-
breitet, und es entstehen nicht bloss viele Sprosse durch Knospung,
sondern auch viele Zellen, Organe, Metameren und Stöcke. Knospe
oder Gemma bedeutet also in diesem correcten und fortan stets fest-
zuhaltenden Sinne ausschliesslich ein durch Knospenbildung erzeugtes
Individuum irgend einer Ordnung. Spross oder Blastus dagegen
nennen wir mit Alexander Braun u. A. ausschliesslich das echte
1) πϱόςωπον, τό; Persona. βλαστός, ὁ; der Spross.
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/358>, abgerufen am 23.11.2024.
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