einfachen Organen erster und zweiter Ordnung, oder als ein hetero- plastisches Organ, oder als ein Theil eines Organ-Systems, oder als ein Theil eines Organ-Apparates aufgefasst werden, und von jedem dieser verschiedenen Gesichtspunkte aus wird er eine verschiedene Beurtheilung erfahren.
Schon hieraus geht hervor, dass die Organe (und ebenso die morphologischen Individuen niederer Ordnung überhaupt) sich nicht allein durch stufenweis fortgesetzte Aggregation und Arbeitstheilung zu den Individualitäten höherer Ordnung zusammenfügen, sondern dass hier complicirte Gesetze der Formbildung walten, um deren Er- kenntniss man sich bisher noch kaum bemüht hat. Wie wenig auf diesem wichtigen und interessanten Gebiete der allgemeinen Morpho- logie noch geschehen ist, geht aber weiter namentlich daraus hervor, dass man die höheren Individualitäten, welche zunächst aus dem Zu- sammentreten der verschiedenen Organe hervorgehen, und die wir im Folgenden als Antimeren und Metameren untersuchen werden, über- haupt noch keiner eingehenden Untersuchung und allgemeinen Ver- gleichung, ja häufig nicht einmal einer Erwähnung gewürdigt hat. Mindestens sind sie als besondere morphologische Individualitäten bisher nur selten oder nie anerkannt worden.
Die Theile des Organismus, welche wir hier als Antimeren oder Gegenstücke, und Metameren oder Folgestücke unterscheiden, sind scharf ausgeprägte morphologische Individualitäten, welche einen Rang über den Organen einnehmen, während sie den höheren mor- phologischen Einheiten fünfter und sechster Ordnung beständig unter- geordnet sind. In der bei weitem grössten Mehrzahl der Organismen- Arten ist das einzelne physiologische Individuum nicht ein blosses Aggregat von Organen, sondern eine Einheit von mehreren Metameren und Antimeren. Für die Gesammtform des Organismus sind diese Theilstücke, welche als scharf ausgeprägte Formeinheiten in Vielzahl neben und hinter einander auftreten, von der allergrössten Bedeutung, und dennoch hat man sie bisher fast gar keiner Betrachtung gewür- digt; ja es existirt für die beiden wesentlich verschiedenen Individua- litäten des Antimeres oder Metameres nicht einmal ein besonderer einfacher Name. Wo man sie bisher im concreten Falle der Ver- ständigung halber hat erwähnen müssen, hat man Beide zusammen mit dem nichtssagenden oder doch vieldeutigen Ausdrucke des Seg- ments oder Theilstücks oder Gliedes (Articulum), oder auch wohl des "homologen oder homonomen Theils" belegt. Die Metameren, als welche wir z. B. die einzelnen gleichartigen hinter einander ge- legenen Abschnitte des Wirbelthier- und des Gliederthier-Rumpfes, die einzelnen Stielglieder der Crinoideen-Stengel, die Stengelglieder der Phanerogamen ansehen, hat man insbesondere häufig "Glieder" und
Morphologische Individualität der Organismen.
einfachen Organen erster und zweiter Ordnung, oder als ein hetero- plastisches Organ, oder als ein Theil eines Organ-Systems, oder als ein Theil eines Organ-Apparates aufgefasst werden, und von jedem dieser verschiedenen Gesichtspunkte aus wird er eine verschiedene Beurtheilung erfahren.
Schon hieraus geht hervor, dass die Organe (und ebenso die morphologischen Individuen niederer Ordnung überhaupt) sich nicht allein durch stufenweis fortgesetzte Aggregation und Arbeitstheilung zu den Individualitäten höherer Ordnung zusammenfügen, sondern dass hier complicirte Gesetze der Formbildung walten, um deren Er- kenntniss man sich bisher noch kaum bemüht hat. Wie wenig auf diesem wichtigen und interessanten Gebiete der allgemeinen Morpho- logie noch geschehen ist, geht aber weiter namentlich daraus hervor, dass man die höheren Individualitäten, welche zunächst aus dem Zu- sammentreten der verschiedenen Organe hervorgehen, und die wir im Folgenden als Antimeren und Metameren untersuchen werden, über- haupt noch keiner eingehenden Untersuchung und allgemeinen Ver- gleichung, ja häufig nicht einmal einer Erwähnung gewürdigt hat. Mindestens sind sie als besondere morphologische Individualitäten bisher nur selten oder nie anerkannt worden.
Die Theile des Organismus, welche wir hier als Antimeren oder Gegenstücke, und Metameren oder Folgestücke unterscheiden, sind scharf ausgeprägte morphologische Individualitäten, welche einen Rang über den Organen einnehmen, während sie den höheren mor- phologischen Einheiten fünfter und sechster Ordnung beständig unter- geordnet sind. In der bei weitem grössten Mehrzahl der Organismen- Arten ist das einzelne physiologische Individuum nicht ein blosses Aggregat von Organen, sondern eine Einheit von mehreren Metameren und Antimeren. Für die Gesammtform des Organismus sind diese Theilstücke, welche als scharf ausgeprägte Formeinheiten in Vielzahl neben und hinter einander auftreten, von der allergrössten Bedeutung, und dennoch hat man sie bisher fast gar keiner Betrachtung gewür- digt; ja es existirt für die beiden wesentlich verschiedenen Individua- litäten des Antimeres oder Metameres nicht einmal ein besonderer einfacher Name. Wo man sie bisher im concreten Falle der Ver- ständigung halber hat erwähnen müssen, hat man Beide zusammen mit dem nichtssagenden oder doch vieldeutigen Ausdrucke des Seg- ments oder Theilstücks oder Gliedes (Articulum), oder auch wohl des „homologen oder homonomen Theils“ belegt. Die Metameren, als welche wir z. B. die einzelnen gleichartigen hinter einander ge- legenen Abschnitte des Wirbelthier- und des Gliederthier-Rumpfes, die einzelnen Stielglieder der Crinoideen-Stengel, die Stengelglieder der Phanerogamen ansehen, hat man insbesondere häufig „Glieder“ und
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Morphologische Individualität der Organismen.
einfachen Organen erster und zweiter Ordnung, oder als ein hetero-
plastisches Organ, oder als ein Theil eines Organ-Systems, oder als
ein Theil eines Organ-Apparates aufgefasst werden, und von jedem
dieser verschiedenen Gesichtspunkte aus wird er eine verschiedene
Beurtheilung erfahren.
Schon hieraus geht hervor, dass die Organe (und ebenso die
morphologischen Individuen niederer Ordnung überhaupt) sich nicht
allein durch stufenweis fortgesetzte Aggregation und Arbeitstheilung
zu den Individualitäten höherer Ordnung zusammenfügen, sondern
dass hier complicirte Gesetze der Formbildung walten, um deren Er-
kenntniss man sich bisher noch kaum bemüht hat. Wie wenig auf
diesem wichtigen und interessanten Gebiete der allgemeinen Morpho-
logie noch geschehen ist, geht aber weiter namentlich daraus hervor,
dass man die höheren Individualitäten, welche zunächst aus dem Zu-
sammentreten der verschiedenen Organe hervorgehen, und die wir im
Folgenden als Antimeren und Metameren untersuchen werden, über-
haupt noch keiner eingehenden Untersuchung und allgemeinen Ver-
gleichung, ja häufig nicht einmal einer Erwähnung gewürdigt hat.
Mindestens sind sie als besondere morphologische Individualitäten
bisher nur selten oder nie anerkannt worden.
Die Theile des Organismus, welche wir hier als Antimeren oder
Gegenstücke, und Metameren oder Folgestücke unterscheiden, sind
scharf ausgeprägte morphologische Individualitäten, welche einen
Rang über den Organen einnehmen, während sie den höheren mor-
phologischen Einheiten fünfter und sechster Ordnung beständig unter-
geordnet sind. In der bei weitem grössten Mehrzahl der Organismen-
Arten ist das einzelne physiologische Individuum nicht ein blosses
Aggregat von Organen, sondern eine Einheit von mehreren Metameren
und Antimeren. Für die Gesammtform des Organismus sind diese
Theilstücke, welche als scharf ausgeprägte Formeinheiten in Vielzahl
neben und hinter einander auftreten, von der allergrössten Bedeutung,
und dennoch hat man sie bisher fast gar keiner Betrachtung gewür-
digt; ja es existirt für die beiden wesentlich verschiedenen Individua-
litäten des Antimeres oder Metameres nicht einmal ein besonderer
einfacher Name. Wo man sie bisher im concreten Falle der Ver-
ständigung halber hat erwähnen müssen, hat man Beide zusammen
mit dem nichtssagenden oder doch vieldeutigen Ausdrucke des Seg-
ments oder Theilstücks oder Gliedes (Articulum), oder auch wohl
des „homologen oder homonomen Theils“ belegt. Die Metameren,
als welche wir z. B. die einzelnen gleichartigen hinter einander ge-
legenen Abschnitte des Wirbelthier- und des Gliederthier-Rumpfes, die
einzelnen Stielglieder der Crinoideen-Stengel, die Stengelglieder der
Phanerogamen ansehen, hat man insbesondere häufig „Glieder“ und
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/343>, abgerufen am 24.11.2024.
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