deutendere Unterschiede zwischen den ursprünglich gleichartigen Plasti- den auf, welche endlich zu einer vollständigen Arbeitstheilung führen. Indem die einzelnen Cytoden oder Zellen ihre individuelle Selbst- ständigkeit dadurch mehr oder weniger aufgeben, und in die Dienste der höheren Einheit, des Plastidenstockes, treten, entwickeln sie be- stimmte Eigenthümlichkeiten einseitig nach gewissen Richtungen hin und ergänzen und bedingen sich dadurch gegenseitig. Die nähere Erörterung dieser tectologischen Grundgesetze, nach denen aus einer Vielheit von einfachen Formindividuen erster Ordnung durch Aggre- gation und Differenzirung Individuen höherer Ordnung entstehen, bleibt dem elften Capitel vorbehalten.
Die Bezeichnungen, welche die verschiedenen Autoren diesen mannichfaltigen höheren Form-Individuen beilegen, die noch nicht den Rang der Person (des Individuums im gewöhnlichen, engeren Sinne) erreichen, sind sehr verschieden. Man nennt sie "höhere Elementar- theile, Gewebe, Organe, Systeme, Apparate" u. s. w., indem man bald mehr an die morphologische, bald mehr an die physiologische In- dividualität derselben denkt. Eine consequente Unterscheidung und klare Eintheilung derselben ist aber noch kaum versucht und auch nur sehr schwierig durch die ganze bunte Organismen-Welt hindurch auszuführen. Am meisten haben sich mit dieser Aufgabe die Anthro- potomen beschäftigt, denen aber gewöhnlich der Ueberblick über die vielfach verschiedenen einfacheren Organismen zu sehr abgeht, um aus ihrer genauen Kenntniss der organischen Zusammensetzung des menschlichen Körpers eine allgemein anwendbare Classification der Organe verschiedener Ordnung für alle Organismen ableiten zu kön- nen. In der Regel findet man die Angabe, dass der menschliche Kör- per (und überhaupt der Wirbelthier-Organismus) zusammengesetzt sei aus vier verschiedenen, über einander stehenden morphologischen Ein- heiten, nämlich 1. Apparaten, 2. Systemen, 3. Organen, und diese letzteren endlich 4. aus den höheren und niederen Elementartheilen (Geweben der Zellen). Wir glauben, dass man alle diese verschiede- nen Theil-Kategorieen am besten unter dem gemeinsamen Namen der Organe zusammenfasst, und unter diesen Organe verschiedener Ord- nungen oder Stufen unterscheidet.
Der Begriff des Organes oder "Werktheiles, Werkzeuges" ist ursprünglich ein rein physiologischer und es bedarf daher einer Recht- fertigung, wenn wir denselben zur Bezeichnung der morphologischen Individualität zweiter Ordnung verwenden. Diese Rechtfertigung liegt zunächst schon darin, dass die Leistungen jedes Werkzeuges nur zum Theile durch chemisch-physikalische Eigenschaften, zum Theile aber zugleich, und sehr oft zum grössten Theile, durch seine Form und durch die der äusseren Form zu Grunde liegende innere Structur oder
Morphologische Individualität der Organismen.
deutendere Unterschiede zwischen den ursprünglich gleichartigen Plasti- den auf, welche endlich zu einer vollständigen Arbeitstheilung führen. Indem die einzelnen Cytoden oder Zellen ihre individuelle Selbst- ständigkeit dadurch mehr oder weniger aufgeben, und in die Dienste der höheren Einheit, des Plastidenstockes, treten, entwickeln sie be- stimmte Eigenthümlichkeiten einseitig nach gewissen Richtungen hin und ergänzen und bedingen sich dadurch gegenseitig. Die nähere Erörterung dieser tectologischen Grundgesetze, nach denen aus einer Vielheit von einfachen Formindividuen erster Ordnung durch Aggre- gation und Differenzirung Individuen höherer Ordnung entstehen, bleibt dem elften Capitel vorbehalten.
Die Bezeichnungen, welche die verschiedenen Autoren diesen mannichfaltigen höheren Form-Individuen beilegen, die noch nicht den Rang der Person (des Individuums im gewöhnlichen, engeren Sinne) erreichen, sind sehr verschieden. Man nennt sie „höhere Elementar- theile, Gewebe, Organe, Systeme, Apparate“ u. s. w., indem man bald mehr an die morphologische, bald mehr an die physiologische In- dividualität derselben denkt. Eine consequente Unterscheidung und klare Eintheilung derselben ist aber noch kaum versucht und auch nur sehr schwierig durch die ganze bunte Organismen-Welt hindurch auszuführen. Am meisten haben sich mit dieser Aufgabe die Anthro- potomen beschäftigt, denen aber gewöhnlich der Ueberblick über die vielfach verschiedenen einfacheren Organismen zu sehr abgeht, um aus ihrer genauen Kenntniss der organischen Zusammensetzung des menschlichen Körpers eine allgemein anwendbare Classification der Organe verschiedener Ordnung für alle Organismen ableiten zu kön- nen. In der Regel findet man die Angabe, dass der menschliche Kör- per (und überhaupt der Wirbelthier-Organismus) zusammengesetzt sei aus vier verschiedenen, über einander stehenden morphologischen Ein- heiten, nämlich 1. Apparaten, 2. Systemen, 3. Organen, und diese letzteren endlich 4. aus den höheren und niederen Elementartheilen (Geweben der Zellen). Wir glauben, dass man alle diese verschiede- nen Theil-Kategorieen am besten unter dem gemeinsamen Namen der Organe zusammenfasst, und unter diesen Organe verschiedener Ord- nungen oder Stufen unterscheidet.
Der Begriff des Organes oder „Werktheiles, Werkzeuges“ ist ursprünglich ein rein physiologischer und es bedarf daher einer Recht- fertigung, wenn wir denselben zur Bezeichnung der morphologischen Individualität zweiter Ordnung verwenden. Diese Rechtfertigung liegt zunächst schon darin, dass die Leistungen jedes Werkzeuges nur zum Theile durch chemisch-physikalische Eigenschaften, zum Theile aber zugleich, und sehr oft zum grössten Theile, durch seine Form und durch die der äusseren Form zu Grunde liegende innere Structur oder
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Morphologische Individualität der Organismen.
deutendere Unterschiede zwischen den ursprünglich gleichartigen Plasti-
den auf, welche endlich zu einer vollständigen Arbeitstheilung führen.
Indem die einzelnen Cytoden oder Zellen ihre individuelle Selbst-
ständigkeit dadurch mehr oder weniger aufgeben, und in die Dienste
der höheren Einheit, des Plastidenstockes, treten, entwickeln sie be-
stimmte Eigenthümlichkeiten einseitig nach gewissen Richtungen hin
und ergänzen und bedingen sich dadurch gegenseitig. Die nähere
Erörterung dieser tectologischen Grundgesetze, nach denen aus einer
Vielheit von einfachen Formindividuen erster Ordnung durch Aggre-
gation und Differenzirung Individuen höherer Ordnung entstehen,
bleibt dem elften Capitel vorbehalten.
Die Bezeichnungen, welche die verschiedenen Autoren diesen
mannichfaltigen höheren Form-Individuen beilegen, die noch nicht den
Rang der Person (des Individuums im gewöhnlichen, engeren Sinne)
erreichen, sind sehr verschieden. Man nennt sie „höhere Elementar-
theile, Gewebe, Organe, Systeme, Apparate“ u. s. w., indem man bald
mehr an die morphologische, bald mehr an die physiologische In-
dividualität derselben denkt. Eine consequente Unterscheidung und
klare Eintheilung derselben ist aber noch kaum versucht und auch
nur sehr schwierig durch die ganze bunte Organismen-Welt hindurch
auszuführen. Am meisten haben sich mit dieser Aufgabe die Anthro-
potomen beschäftigt, denen aber gewöhnlich der Ueberblick über die
vielfach verschiedenen einfacheren Organismen zu sehr abgeht, um
aus ihrer genauen Kenntniss der organischen Zusammensetzung des
menschlichen Körpers eine allgemein anwendbare Classification der
Organe verschiedener Ordnung für alle Organismen ableiten zu kön-
nen. In der Regel findet man die Angabe, dass der menschliche Kör-
per (und überhaupt der Wirbelthier-Organismus) zusammengesetzt sei
aus vier verschiedenen, über einander stehenden morphologischen Ein-
heiten, nämlich 1. Apparaten, 2. Systemen, 3. Organen, und diese
letzteren endlich 4. aus den höheren und niederen Elementartheilen
(Geweben der Zellen). Wir glauben, dass man alle diese verschiede-
nen Theil-Kategorieen am besten unter dem gemeinsamen Namen der
Organe zusammenfasst, und unter diesen Organe verschiedener Ord-
nungen oder Stufen unterscheidet.
Der Begriff des Organes oder „Werktheiles, Werkzeuges“ ist
ursprünglich ein rein physiologischer und es bedarf daher einer Recht-
fertigung, wenn wir denselben zur Bezeichnung der morphologischen
Individualität zweiter Ordnung verwenden. Diese Rechtfertigung liegt
zunächst schon darin, dass die Leistungen jedes Werkzeuges nur zum
Theile durch chemisch-physikalische Eigenschaften, zum Theile aber
zugleich, und sehr oft zum grössten Theile, durch seine Form und
durch die der äusseren Form zu Grunde liegende innere Structur oder
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 290. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/329>, abgerufen am 25.11.2024.
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