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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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I. Morphologische Individuen erster Ordnung: Plastiden.
tätslehre der Zelle, wie sie von Schwann aufgestellt war, allgemein
herrschend wurde.

So lange man sich vorwiegend mit dem Studium der Pflanzenzellen be-
schäftigte, die meistens schon in einer sehr frühen Zeit ihres Lebens und
fast allgemein deutlich eine Membran erkennen lassen, und so lange man
die von ihnen gewonnene Anschauung auf die Betrachtung der thierischen
Zellen übertrug, musste die Membran der Zelle als ein eben so wichtiger
Bestandtheil derselben wie Kern und Inhalt erscheinen und beinahe zwanzig
Jahre hindurch blieb daher die Trinitätslehre der Zelle fast unangefochten.
Erst als man die Zellen des thierischen Organismus allgemeiner und ein-
gehender und unabhängig von den pflanzlichen zu betrachten begann,
brach sich die Erkenntniss Bahn, dass die Membran der Zelle in sehr
vielen Fällen vollkommen fehlt und dass die Zellen dann blos aus zwei
wesentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt sind, aus dem Kern und der
Zellsubstanz oder dem Zellstoff. Mit dem letzteren Namen müssen wir
den sogenannten "Zell-Inhalt" bezeichnen, wenn eine Membran und damit
der Gegensatz von Hülle und Inhalt fehlt.

Diese sehr wichtige Reform der Zellenlehre wurde von Leydig herbei-
geführt, welcher in seinem "Lehrbuch der Histologie des Menschen und
der Thiere" (1857) zuerst mit Bestimmtheit aussprach, dass "nicht alle
Zellen blasiger Natur sind; nicht immer ist eine vom Inhalt ablösbare
Membran zu unterscheiden." Leydig definirt die Zellen "als die kleinsten
organischen Körper, welche eine wirksame Mitte besitzen, die alle Theile
auf sich selber und ihr Bedürfniss bezieht. -- Zum morphologischen Be-
griff einer Zelle gehört eine mehr oder minder weiche Substanz, ur-
sprünglich der Kugelgestalt sich nähernd, die einen centralen Körper ein-
schliesst, welcher Kern (Nucleus) heisst. Die Zellsubstanz erhärtet häufig
zu einer mehr oder minder selbstständigen Grenzschicht oder Membran,
und alsdann gliedert sich die Zelle nach den Bezeichnungen der Schule in
Membran, Inhalt und Kern."

Dieselbe Lehre ist dann von Max Schultze 1) ausführlich begründet
worden, indem derselbe auf den Mangel der Membran an sehr vielen, und
gerade den wichtigsten Zellen (den Nervenzellen, Furchungskugeln und
ihren Abkömmlingen, den Embryonalzellen) aufmerksam machte. Max
Schultze
definirt die Zelle als "ein Klümpchen Protoplasma, in dessen
Innerem ein Kern liegt. Der Kern sowohl als das Protoplasma sind Theil-
producte der gleichen Bestandtheile einer anderen Zelle. Die Zelle führt
ein in sich abgeschlossenes Leben."

Der entscheidende und unwiderlegliche Beweis, dass gewissen Zellen
jede Spur einer Membran fehlt, und dass sie blos aus einem Klumpen
halbflüssiger schleimartiger Zellsubstanz (Protoplasma) bestehen, welcher
einen Kern umschliesst, ist zuerst von mir dadurch geliefert worden, dass
ich das Eindringen fester Moleküle in das Innere des Protoplasma und
ihre Anhäufung rings um den Kern beobachtete, und dass ich durch ein

1) Max Schultze, "Ueber Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle
zu nennen habe." Reicherts und Du Bois-Reymonds Archiv, 1861, p. 11.

I. Morphologische Individuen erster Ordnung: Plastiden.
tätslehre der Zelle, wie sie von Schwann aufgestellt war, allgemein
herrschend wurde.

So lange man sich vorwiegend mit dem Studium der Pflanzenzellen be-
schäftigte, die meistens schon in einer sehr frühen Zeit ihres Lebens und
fast allgemein deutlich eine Membran erkennen lassen, und so lange man
die von ihnen gewonnene Anschauung auf die Betrachtung der thierischen
Zellen übertrug, musste die Membran der Zelle als ein eben so wichtiger
Bestandtheil derselben wie Kern und Inhalt erscheinen und beinahe zwanzig
Jahre hindurch blieb daher die Trinitätslehre der Zelle fast unangefochten.
Erst als man die Zellen des thierischen Organismus allgemeiner und ein-
gehender und unabhängig von den pflanzlichen zu betrachten begann,
brach sich die Erkenntniss Bahn, dass die Membran der Zelle in sehr
vielen Fällen vollkommen fehlt und dass die Zellen dann blos aus zwei
wesentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt sind, aus dem Kern und der
Zellsubstanz oder dem Zellstoff. Mit dem letzteren Namen müssen wir
den sogenannten „Zell-Inhalt“ bezeichnen, wenn eine Membran und damit
der Gegensatz von Hülle und Inhalt fehlt.

Diese sehr wichtige Reform der Zellenlehre wurde von Leydig herbei-
geführt, welcher in seinem „Lehrbuch der Histologie des Menschen und
der Thiere“ (1857) zuerst mit Bestimmtheit aussprach, dass „nicht alle
Zellen blasiger Natur sind; nicht immer ist eine vom Inhalt ablösbare
Membran zu unterscheiden.“ Leydig definirt die Zellen „als die kleinsten
organischen Körper, welche eine wirksame Mitte besitzen, die alle Theile
auf sich selber und ihr Bedürfniss bezieht. — Zum morphologischen Be-
griff einer Zelle gehört eine mehr oder minder weiche Substanz, ur-
sprünglich der Kugelgestalt sich nähernd, die einen centralen Körper ein-
schliesst, welcher Kern (Nucleus) heisst. Die Zellsubstanz erhärtet häufig
zu einer mehr oder minder selbstständigen Grenzschicht oder Membran,
und alsdann gliedert sich die Zelle nach den Bezeichnungen der Schule in
Membran, Inhalt und Kern.“

Dieselbe Lehre ist dann von Max Schultze 1) ausführlich begründet
worden, indem derselbe auf den Mangel der Membran an sehr vielen, und
gerade den wichtigsten Zellen (den Nervenzellen, Furchungskugeln und
ihren Abkömmlingen, den Embryonalzellen) aufmerksam machte. Max
Schultze
definirt die Zelle als „ein Klümpchen Protoplasma, in dessen
Innerem ein Kern liegt. Der Kern sowohl als das Protoplasma sind Theil-
producte der gleichen Bestandtheile einer anderen Zelle. Die Zelle führt
ein in sich abgeschlossenes Leben.“

Der entscheidende und unwiderlegliche Beweis, dass gewissen Zellen
jede Spur einer Membran fehlt, und dass sie blos aus einem Klumpen
halbflüssiger schleimartiger Zellsubstanz (Protoplasma) bestehen, welcher
einen Kern umschliesst, ist zuerst von mir dadurch geliefert worden, dass
ich das Eindringen fester Moleküle in das Innere des Protoplasma und
ihre Anhäufung rings um den Kern beobachtete, und dass ich durch ein

1) Max Schultze, „Ueber Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle
zu nennen habe.“ Reicherts und Du Bois-Reymonds Archiv, 1861, p. 11.
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[271/0310] I. Morphologische Individuen erster Ordnung: Plastiden. tätslehre der Zelle, wie sie von Schwann aufgestellt war, allgemein herrschend wurde. So lange man sich vorwiegend mit dem Studium der Pflanzenzellen be- schäftigte, die meistens schon in einer sehr frühen Zeit ihres Lebens und fast allgemein deutlich eine Membran erkennen lassen, und so lange man die von ihnen gewonnene Anschauung auf die Betrachtung der thierischen Zellen übertrug, musste die Membran der Zelle als ein eben so wichtiger Bestandtheil derselben wie Kern und Inhalt erscheinen und beinahe zwanzig Jahre hindurch blieb daher die Trinitätslehre der Zelle fast unangefochten. Erst als man die Zellen des thierischen Organismus allgemeiner und ein- gehender und unabhängig von den pflanzlichen zu betrachten begann, brach sich die Erkenntniss Bahn, dass die Membran der Zelle in sehr vielen Fällen vollkommen fehlt und dass die Zellen dann blos aus zwei wesentlichen Bestandtheilen zusammengesetzt sind, aus dem Kern und der Zellsubstanz oder dem Zellstoff. Mit dem letzteren Namen müssen wir den sogenannten „Zell-Inhalt“ bezeichnen, wenn eine Membran und damit der Gegensatz von Hülle und Inhalt fehlt. Diese sehr wichtige Reform der Zellenlehre wurde von Leydig herbei- geführt, welcher in seinem „Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere“ (1857) zuerst mit Bestimmtheit aussprach, dass „nicht alle Zellen blasiger Natur sind; nicht immer ist eine vom Inhalt ablösbare Membran zu unterscheiden.“ Leydig definirt die Zellen „als die kleinsten organischen Körper, welche eine wirksame Mitte besitzen, die alle Theile auf sich selber und ihr Bedürfniss bezieht. — Zum morphologischen Be- griff einer Zelle gehört eine mehr oder minder weiche Substanz, ur- sprünglich der Kugelgestalt sich nähernd, die einen centralen Körper ein- schliesst, welcher Kern (Nucleus) heisst. Die Zellsubstanz erhärtet häufig zu einer mehr oder minder selbstständigen Grenzschicht oder Membran, und alsdann gliedert sich die Zelle nach den Bezeichnungen der Schule in Membran, Inhalt und Kern.“ Dieselbe Lehre ist dann von Max Schultze 1) ausführlich begründet worden, indem derselbe auf den Mangel der Membran an sehr vielen, und gerade den wichtigsten Zellen (den Nervenzellen, Furchungskugeln und ihren Abkömmlingen, den Embryonalzellen) aufmerksam machte. Max Schultze definirt die Zelle als „ein Klümpchen Protoplasma, in dessen Innerem ein Kern liegt. Der Kern sowohl als das Protoplasma sind Theil- producte der gleichen Bestandtheile einer anderen Zelle. Die Zelle führt ein in sich abgeschlossenes Leben.“ Der entscheidende und unwiderlegliche Beweis, dass gewissen Zellen jede Spur einer Membran fehlt, und dass sie blos aus einem Klumpen halbflüssiger schleimartiger Zellsubstanz (Protoplasma) bestehen, welcher einen Kern umschliesst, ist zuerst von mir dadurch geliefert worden, dass ich das Eindringen fester Moleküle in das Innere des Protoplasma und ihre Anhäufung rings um den Kern beobachtete, und dass ich durch ein 1) Max Schultze, „Ueber Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle zu nennen habe.“ Reicherts und Du Bois-Reymonds Archiv, 1861, p. 11.

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/310>, abgerufen am 25.11.2024.