I. Die Tectologie als Lehre von der organischen Individualität.
Eiweiss-Molekülen zusammengesetzt sind, so erscheint es nicht passend, die Tectologie allgemein als Merologie oder Lehre von den Theilen zu bezeichnen, falls man unter diesen "Theilen" nur die Individuen verschiedener Ordnung verstehen will. Vielmehr würde es vom allge- meinen Gesichtspunkte aus passender erscheinen, falls der Ausdruck der Tectologie oder Structurlehre aus jenem Grunde zu beschränkt erscheinen sollte, diesen Zweig der Anatomie als die "Wissenschaft von der organischen Individualität" oder kurz als die Biontologie1) (Individualitäts-Lehre) zu bezeichnen.
Bevor wir die eigentliche Aufgabe der Tectologie oder Biontologie zu lösen und die Gesetze zu erkennen versuchen, nach denen sich die organische Materie individualisirt, erscheint es uns nothwendig, den Begriff des organischen Individuums im Allgemeinen zu erörtern und die sehr verschiedenen Ansichten zu erwägen, welche die ver- schiedenen Naturforscher sich über die Individualität der Organismen gebildet haben. Erst dann können wir ausführlich unsere eigene An- sicht von den morphologischen und physiologischen Individuen ver- schiedener Ordnung begründen, welche nach unserem Dafürhalten allgemein unterschieden werden müssen.
II. Begriff des organischen Individuums im Allgemeinen.
Das Wort "Individuum" wird in ausserordentlich vielfacher und verschiedenartiger Bedeutung angewandt. Seinem Wortlaute nach soll dieser Begriff ein Untheilbares bezeichnen. Im strengsten Sinne untheilbar können wir uns aber nur die Massen-Atome vorstellen, aus denen wir uns nach der atomistischen Hypothese die Materie zusammen- gesetzt denken, und die Atome des expansiven Aethers, welche die attractiven Massen-Atome trennen. "Atom" (atomos) ist ja ursprüng- lich weiter Nichts, als das griechische Wort für das römische "Indivi- duum", für das deutsche "Untheilbar". In diesem Sinne wurden denn auch von früheren Philosophen die Ausdrücke Atom und Indivi- duum als gleichbedeutend angewandt.
Das Wort Atom hat späterhin diese ursprüngliche Bedeutung des Individuum allein beibehalten und wird jetzt in diesem Sinne aus- schliesslich zur Bezeichnung der einfachsten und letzten discreten Grössen, der kleinsten, homogenen und untheilbaren Stofftheilchen verwandt, aus deren Aggregation die atomistische Hypothese die Masse und den zwischen den Masse-Atomen befindlichen Aether construirt. Das Wort Individuum dagegen wird zur Bezeichnung sehr verschie- dener Erscheinungsformen der Materie gebraucht, welchen nur die
1) bion, to, das concrete Lebewesen, das physiologische Individuum.
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I. Die Tectologie als Lehre von der organischen Individualität.
Eiweiss-Molekülen zusammengesetzt sind, so erscheint es nicht passend, die Tectologie allgemein als Merologie oder Lehre von den Theilen zu bezeichnen, falls man unter diesen „Theilen“ nur die Individuen verschiedener Ordnung verstehen will. Vielmehr würde es vom allge- meinen Gesichtspunkte aus passender erscheinen, falls der Ausdruck der Tectologie oder Structurlehre aus jenem Grunde zu beschränkt erscheinen sollte, diesen Zweig der Anatomie als die „Wissenschaft von der organischen Individualität“ oder kurz als die Biontologie1) (Individualitäts-Lehre) zu bezeichnen.
Bevor wir die eigentliche Aufgabe der Tectologie oder Biontologie zu lösen und die Gesetze zu erkennen versuchen, nach denen sich die organische Materie individualisirt, erscheint es uns nothwendig, den Begriff des organischen Individuums im Allgemeinen zu erörtern und die sehr verschiedenen Ansichten zu erwägen, welche die ver- schiedenen Naturforscher sich über die Individualität der Organismen gebildet haben. Erst dann können wir ausführlich unsere eigene An- sicht von den morphologischen und physiologischen Individuen ver- schiedener Ordnung begründen, welche nach unserem Dafürhalten allgemein unterschieden werden müssen.
II. Begriff des organischen Individuums im Allgemeinen.
Das Wort „Individuum“ wird in ausserordentlich vielfacher und verschiedenartiger Bedeutung angewandt. Seinem Wortlaute nach soll dieser Begriff ein Untheilbares bezeichnen. Im strengsten Sinne untheilbar können wir uns aber nur die Massen-Atome vorstellen, aus denen wir uns nach der atomistischen Hypothese die Materie zusammen- gesetzt denken, und die Atome des expansiven Aethers, welche die attractiven Massen-Atome trennen. „Atom“ (ἄτομος) ist ja ursprüng- lich weiter Nichts, als das griechische Wort für das römische „Indivi- duum“, für das deutsche „Untheilbar“. In diesem Sinne wurden denn auch von früheren Philosophen die Ausdrücke Atom und Indivi- duum als gleichbedeutend angewandt.
Das Wort Atom hat späterhin diese ursprüngliche Bedeutung des Individuum allein beibehalten und wird jetzt in diesem Sinne aus- schliesslich zur Bezeichnung der einfachsten und letzten discreten Grössen, der kleinsten, homogenen und untheilbaren Stofftheilchen verwandt, aus deren Aggregation die atomistische Hypothese die Masse und den zwischen den Masse-Atomen befindlichen Aether construirt. Das Wort Individuum dagegen wird zur Bezeichnung sehr verschie- dener Erscheinungsformen der Materie gebraucht, welchen nur die
1) βίον, τὸ, das concrete Lebewesen, das physiologische Individuum.
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I. Die Tectologie als Lehre von der organischen Individualität.
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die Tectologie allgemein als Merologie oder Lehre von den Theilen
zu bezeichnen, falls man unter diesen „Theilen“ nur die Individuen
verschiedener Ordnung verstehen will. Vielmehr würde es vom allge-
meinen Gesichtspunkte aus passender erscheinen, falls der Ausdruck
der Tectologie oder Structurlehre aus jenem Grunde zu beschränkt
erscheinen sollte, diesen Zweig der Anatomie als die „Wissenschaft
von der organischen Individualität“ oder kurz als die Biontologie 1)
(Individualitäts-Lehre) zu bezeichnen.
Bevor wir die eigentliche Aufgabe der Tectologie oder Biontologie
zu lösen und die Gesetze zu erkennen versuchen, nach denen sich
die organische Materie individualisirt, erscheint es uns nothwendig,
den Begriff des organischen Individuums im Allgemeinen zu erörtern
und die sehr verschiedenen Ansichten zu erwägen, welche die ver-
schiedenen Naturforscher sich über die Individualität der Organismen
gebildet haben. Erst dann können wir ausführlich unsere eigene An-
sicht von den morphologischen und physiologischen Individuen ver-
schiedener Ordnung begründen, welche nach unserem Dafürhalten
allgemein unterschieden werden müssen.
II. Begriff des organischen Individuums im Allgemeinen.
Das Wort „Individuum“ wird in ausserordentlich vielfacher und
verschiedenartiger Bedeutung angewandt. Seinem Wortlaute nach soll
dieser Begriff ein Untheilbares bezeichnen. Im strengsten Sinne
untheilbar können wir uns aber nur die Massen-Atome vorstellen, aus
denen wir uns nach der atomistischen Hypothese die Materie zusammen-
gesetzt denken, und die Atome des expansiven Aethers, welche die
attractiven Massen-Atome trennen. „Atom“ (ἄτομος) ist ja ursprüng-
lich weiter Nichts, als das griechische Wort für das römische „Indivi-
duum“, für das deutsche „Untheilbar“. In diesem Sinne wurden
denn auch von früheren Philosophen die Ausdrücke Atom und Indivi-
duum als gleichbedeutend angewandt.
Das Wort Atom hat späterhin diese ursprüngliche Bedeutung des
Individuum allein beibehalten und wird jetzt in diesem Sinne aus-
schliesslich zur Bezeichnung der einfachsten und letzten discreten
Grössen, der kleinsten, homogenen und untheilbaren Stofftheilchen
verwandt, aus deren Aggregation die atomistische Hypothese die Masse
und den zwischen den Masse-Atomen befindlichen Aether construirt.
Das Wort Individuum dagegen wird zur Bezeichnung sehr verschie-
dener Erscheinungsformen der Materie gebraucht, welchen nur die
1) βίον, τὸ, das concrete Lebewesen, das physiologische Individuum.
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/282>, abgerufen am 16.07.2024.
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