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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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XI. Die Seele als Character der Thiere.
nervensystems, unter denen der Wille und die Empfindung die wich-
tigsten sind. Der Wille, welcher der willkührlichen Bewegung zu
Grunde liegt, und die Empfindung sind Vorstellungen, welche
nur in dem hoch entwickelten Centralnervensystem der höheren
Thiere ausschliesslich
zu Stande kommen und als complicirte
Molekularbewegungen in den Ganglienzellen zu betrachten sind.
Es erfordern diese sehr verwickelten Nervenbewegungen eine ent-
sprechend complicirte Structur der Nervencentren, wie sie sich nur
bei den vollkommeneren und entwickelteren Thieren vorfindet. Auch
diese höchst feinen und zusammengesetzten Structur-Verhältnisse des
"Seelen-Organs", sowie die von ihm ausgehende Seelen-Thätigkeit,
haben sich, gleich allen höheren Organen und Functionen der voll-
kommeneren Thiere, erst allmählig durch Differenzirung aus einfachen
Verhältnissen hervorgebildet. Bei den niederen Thieren (z. B. bei
zahlreichen niederen Entwickelungsstufen der Coelenteraten, Echino-
dermen, Würmer, Mollusken) finden wir statt deren nur die viel ein-
facheren Functionen, welche man mit dem Namen der "Reflex-
bewegungen"
belegt hat. Diese Reflex-Functionen der niederen
Thiere finden sich auch bei den Protisten und den Pflanzen
wieder, welche kein differenzirtes "Nervengewebe" besitzen; sie sind
also nicht nothwendig an ein entwickeltes Nervensystem geknüpft,
während der Wille und die Empfindung, ebenso wie das mit ihnen
verbundene Bewusstsein, immer eines hoch entwickelten und com-
plicirt gebauten Nervencentrums als unentbehrlichen Organes bedürfen.
Wenn wir von den einfacheren und niederen Thierformen durch die
Reihe der allmählig differenzirten Zwischenstufen zu den höchsten
und vollkommensten Thieren (innerhalb eines und desselben Stammes)
emporsteigen, und ebenso wenn wir von der Larve oder dem neuge-
borenen Thiere (z. B. beim Menschen) zu dem reifen und erwachsenen
Thiere aufsteigen, so sehen wir aus den Reflex-Functionen der niederen
Entwickelungszustände sich allmählig und langsam Nervenbewegungen
entwickeln, die sich in die drei getrennten Haupt-Functionen des
Seelenlebens: Empfindung, Wille und Gedanken differenziren.

Empfindung und Wille sind Vorstellungen, welche während der
Leitung einer Nervenauslösung entstehen, und die unmittelbare Leitung
der Reflexbewegungen unterbrechen, gewissermaassen in diese einge-
schaltet werden. Wie wir oben (p. 214) gesehen haben, können wir
uns die Reflexbewegung einfach vorstellen als eine geschlossene Kette
von Auslösungen, welche von der Peripherie des Körpers (vom
Sinnesorgan) ausgeht, und zu derselben (zum Bewegungsorgan, dem
Muskel) zurückkehrt. Unmittelbar hat hier die Auslösung der centri-
petalen Nervenfaser diejenige der centrifugalen zur Folge. Die cen-
trale Ganglienzelle oder die Gruppe von Ganglienzellen, welche die

XI. Die Seele als Character der Thiere.
nervensystems, unter denen der Wille und die Empfindung die wich-
tigsten sind. Der Wille, welcher der willkührlichen Bewegung zu
Grunde liegt, und die Empfindung sind Vorstellungen, welche
nur in dem hoch entwickelten Centralnervensystem der höheren
Thiere ausschliesslich
zu Stande kommen und als complicirte
Molekularbewegungen in den Ganglienzellen zu betrachten sind.
Es erfordern diese sehr verwickelten Nervenbewegungen eine ent-
sprechend complicirte Structur der Nervencentren, wie sie sich nur
bei den vollkommeneren und entwickelteren Thieren vorfindet. Auch
diese höchst feinen und zusammengesetzten Structur-Verhältnisse des
„Seelen-Organs“, sowie die von ihm ausgehende Seelen-Thätigkeit,
haben sich, gleich allen höheren Organen und Functionen der voll-
kommeneren Thiere, erst allmählig durch Differenzirung aus einfachen
Verhältnissen hervorgebildet. Bei den niederen Thieren (z. B. bei
zahlreichen niederen Entwickelungsstufen der Coelenteraten, Echino-
dermen, Würmer, Mollusken) finden wir statt deren nur die viel ein-
facheren Functionen, welche man mit dem Namen der „Reflex-
bewegungen“
belegt hat. Diese Reflex-Functionen der niederen
Thiere finden sich auch bei den Protisten und den Pflanzen
wieder, welche kein differenzirtes „Nervengewebe“ besitzen; sie sind
also nicht nothwendig an ein entwickeltes Nervensystem geknüpft,
während der Wille und die Empfindung, ebenso wie das mit ihnen
verbundene Bewusstsein, immer eines hoch entwickelten und com-
plicirt gebauten Nervencentrums als unentbehrlichen Organes bedürfen.
Wenn wir von den einfacheren und niederen Thierformen durch die
Reihe der allmählig differenzirten Zwischenstufen zu den höchsten
und vollkommensten Thieren (innerhalb eines und desselben Stammes)
emporsteigen, und ebenso wenn wir von der Larve oder dem neuge-
borenen Thiere (z. B. beim Menschen) zu dem reifen und erwachsenen
Thiere aufsteigen, so sehen wir aus den Reflex-Functionen der niederen
Entwickelungszustände sich allmählig und langsam Nervenbewegungen
entwickeln, die sich in die drei getrennten Haupt-Functionen des
Seelenlebens: Empfindung, Wille und Gedanken differenziren.

Empfindung und Wille sind Vorstellungen, welche während der
Leitung einer Nervenauslösung entstehen, und die unmittelbare Leitung
der Reflexbewegungen unterbrechen, gewissermaassen in diese einge-
schaltet werden. Wie wir oben (p. 214) gesehen haben, können wir
uns die Reflexbewegung einfach vorstellen als eine geschlossene Kette
von Auslösungen, welche von der Peripherie des Körpers (vom
Sinnesorgan) ausgeht, und zu derselben (zum Bewegungsorgan, dem
Muskel) zurückkehrt. Unmittelbar hat hier die Auslösung der centri-
petalen Nervenfaser diejenige der centrifugalen zur Folge. Die cen-
trale Ganglienzelle oder die Gruppe von Ganglienzellen, welche die

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[233/0272] XI. Die Seele als Character der Thiere. nervensystems, unter denen der Wille und die Empfindung die wich- tigsten sind. Der Wille, welcher der willkührlichen Bewegung zu Grunde liegt, und die Empfindung sind Vorstellungen, welche nur in dem hoch entwickelten Centralnervensystem der höheren Thiere ausschliesslich zu Stande kommen und als complicirte Molekularbewegungen in den Ganglienzellen zu betrachten sind. Es erfordern diese sehr verwickelten Nervenbewegungen eine ent- sprechend complicirte Structur der Nervencentren, wie sie sich nur bei den vollkommeneren und entwickelteren Thieren vorfindet. Auch diese höchst feinen und zusammengesetzten Structur-Verhältnisse des „Seelen-Organs“, sowie die von ihm ausgehende Seelen-Thätigkeit, haben sich, gleich allen höheren Organen und Functionen der voll- kommeneren Thiere, erst allmählig durch Differenzirung aus einfachen Verhältnissen hervorgebildet. Bei den niederen Thieren (z. B. bei zahlreichen niederen Entwickelungsstufen der Coelenteraten, Echino- dermen, Würmer, Mollusken) finden wir statt deren nur die viel ein- facheren Functionen, welche man mit dem Namen der „Reflex- bewegungen“ belegt hat. Diese Reflex-Functionen der niederen Thiere finden sich auch bei den Protisten und den Pflanzen wieder, welche kein differenzirtes „Nervengewebe“ besitzen; sie sind also nicht nothwendig an ein entwickeltes Nervensystem geknüpft, während der Wille und die Empfindung, ebenso wie das mit ihnen verbundene Bewusstsein, immer eines hoch entwickelten und com- plicirt gebauten Nervencentrums als unentbehrlichen Organes bedürfen. Wenn wir von den einfacheren und niederen Thierformen durch die Reihe der allmählig differenzirten Zwischenstufen zu den höchsten und vollkommensten Thieren (innerhalb eines und desselben Stammes) emporsteigen, und ebenso wenn wir von der Larve oder dem neuge- borenen Thiere (z. B. beim Menschen) zu dem reifen und erwachsenen Thiere aufsteigen, so sehen wir aus den Reflex-Functionen der niederen Entwickelungszustände sich allmählig und langsam Nervenbewegungen entwickeln, die sich in die drei getrennten Haupt-Functionen des Seelenlebens: Empfindung, Wille und Gedanken differenziren. Empfindung und Wille sind Vorstellungen, welche während der Leitung einer Nervenauslösung entstehen, und die unmittelbare Leitung der Reflexbewegungen unterbrechen, gewissermaassen in diese einge- schaltet werden. Wie wir oben (p. 214) gesehen haben, können wir uns die Reflexbewegung einfach vorstellen als eine geschlossene Kette von Auslösungen, welche von der Peripherie des Körpers (vom Sinnesorgan) ausgeht, und zu derselben (zum Bewegungsorgan, dem Muskel) zurückkehrt. Unmittelbar hat hier die Auslösung der centri- petalen Nervenfaser diejenige der centrifugalen zur Folge. Die cen- trale Ganglienzelle oder die Gruppe von Ganglienzellen, welche die

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/272>, abgerufen am 24.11.2024.