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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Thiere und Pflanzen.
Verbindungen bilden. Daher athmen sie vorwiegend Kohlensäure ein,
Sauerstoff aus. Doch giebt es auch viele Schmarotzer-Pflanzen
(Pilze etc.), deren Athmungsprocess umgekehrt (thierisch) ist, und
welche, gleich den Thieren, bereits vorgebildete "organische" Sub-
stanzen (verwickelte Kohlenstoff-Verbindungen) zu ihrer Ernährung
brauchen. Besondere den Ernährungssaft führende Röhrensysteme
(Blutgefässe, Chylusgefässe), sowie besondere contractile Behälter (Her-
zen), welche dessen Bewegung in denselben regelmässig beschleunigen,
fehlen den Pflanzen allgemein, während sie den meisten Thieren zu-
kommen. Die Fortpflanzung geschieht bei den Pflanzen allgemein
auf ungeschlechtlichem Wege (durch Theilung, Knospenbildung), ausser-
dem bei den allermeisten zugleich auf geschlechtlichem Wege. Bei
der grossen Mehrzahl aller Pflanzen wechseln diese beiden Formen der
Fortpflanzung in der Weise mit einander ab, dass ein regelmässiger
Generationswechsel besteht. Die beiderlei Geschlechter sind bei der
grossen Mehrzahl der Pflanzen in einem Individuum fünfter oder sech-
ster Ordnung vereinigt, nur bei einer geringen Zahl getrennt.

Wenn wir die feineren Vorgänge, welche den genannten allge-
meinen Lebensthätigkeiten der Pflanzen zu Grunde liegen, aufsuchen,
so finden wir dieselben bei allen Pflanzen, wie bei allen Protisten und
Thieren, mit einer Anzahl von molekularen Bewegungserscheinungen
und einer Anzahl von Massebewegungen (mechanischen Leistungen)
unmittelbar verbunden. Wir können diese Bewegungen zum Theil di-
rekt wahrnehmen in den pflanzlichen Individuen erster Ordnung (den
Plastiden) als gegenseitige Lageveränderungen der Moleküle des Plasma
("Saftströmungen" oder "Plasmacontractionen"), als Wachsthum
(Grössenzunahme) und als Fortpflanzung der Plastiden (Theilung,
Knospenbildung der Cytoden und Zellen). Alle diese allgemeinen
"organischen" Molekularbewegungen, welche schliesslich zur Gestaltung
ungeformten Stoffes und zur Neubildung individueller Formen führen,
und welche häufig (vielleicht immer) mit einer Entwickelung von
Wärme verbunden sind, erfordern einen Verbrauch von Spannkräften.
Denn alle diese Bewegungen beruhen im Grunde darauf, dass Spann-
kräfte in lebendige Kräfte übergehen.

Cb. Character der besonderen pflanzlichen Lebenserscheinungen.

Während bei den Thieren der bei weitem grösste und wichtigste
Theil ihrer Lebensthätigkeit in einer Entwickelung lebendiger Kräfte
besteht, die sich dort vorzüglich als Wärmebildung, Muskelbewegung
und Nervenbewegung (Empfinden, Wollen, Denken) äussert, so bildet
bei den Pflanzen jene Verwandlung der potentiellen in actuelle Kräfte
nur einen sehr geringen Theil ihrer Lebenserscheinungen und der bei
weitem grösste Theil ihrer Functionen erzielt gerade das entgegen-

Thiere und Pflanzen.
Verbindungen bilden. Daher athmen sie vorwiegend Kohlensäure ein,
Sauerstoff aus. Doch giebt es auch viele Schmarotzer-Pflanzen
(Pilze etc.), deren Athmungsprocess umgekehrt (thierisch) ist, und
welche, gleich den Thieren, bereits vorgebildete „organische“ Sub-
stanzen (verwickelte Kohlenstoff-Verbindungen) zu ihrer Ernährung
brauchen. Besondere den Ernährungssaft führende Röhrensysteme
(Blutgefässe, Chylusgefässe), sowie besondere contractile Behälter (Her-
zen), welche dessen Bewegung in denselben regelmässig beschleunigen,
fehlen den Pflanzen allgemein, während sie den meisten Thieren zu-
kommen. Die Fortpflanzung geschieht bei den Pflanzen allgemein
auf ungeschlechtlichem Wege (durch Theilung, Knospenbildung), ausser-
dem bei den allermeisten zugleich auf geschlechtlichem Wege. Bei
der grossen Mehrzahl aller Pflanzen wechseln diese beiden Formen der
Fortpflanzung in der Weise mit einander ab, dass ein regelmässiger
Generationswechsel besteht. Die beiderlei Geschlechter sind bei der
grossen Mehrzahl der Pflanzen in einem Individuum fünfter oder sech-
ster Ordnung vereinigt, nur bei einer geringen Zahl getrennt.

Wenn wir die feineren Vorgänge, welche den genannten allge-
meinen Lebensthätigkeiten der Pflanzen zu Grunde liegen, aufsuchen,
so finden wir dieselben bei allen Pflanzen, wie bei allen Protisten und
Thieren, mit einer Anzahl von molekularen Bewegungserscheinungen
und einer Anzahl von Massebewegungen (mechanischen Leistungen)
unmittelbar verbunden. Wir können diese Bewegungen zum Theil di-
rekt wahrnehmen in den pflanzlichen Individuen erster Ordnung (den
Plastiden) als gegenseitige Lageveränderungen der Moleküle des Plasma
(„Saftströmungen“ oder „Plasmacontractionen“), als Wachsthum
(Grössenzunahme) und als Fortpflanzung der Plastiden (Theilung,
Knospenbildung der Cytoden und Zellen). Alle diese allgemeinen
„organischen“ Molekularbewegungen, welche schliesslich zur Gestaltung
ungeformten Stoffes und zur Neubildung individueller Formen führen,
und welche häufig (vielleicht immer) mit einer Entwickelung von
Wärme verbunden sind, erfordern einen Verbrauch von Spannkräften.
Denn alle diese Bewegungen beruhen im Grunde darauf, dass Spann-
kräfte in lebendige Kräfte übergehen.

Cb. Character der besonderen pflanzlichen Lebenserscheinungen.

Während bei den Thieren der bei weitem grösste und wichtigste
Theil ihrer Lebensthätigkeit in einer Entwickelung lebendiger Kräfte
besteht, die sich dort vorzüglich als Wärmebildung, Muskelbewegung
und Nervenbewegung (Empfinden, Wollen, Denken) äussert, so bildet
bei den Pflanzen jene Verwandlung der potentiellen in actuelle Kräfte
nur einen sehr geringen Theil ihrer Lebenserscheinungen und der bei
weitem grösste Theil ihrer Functionen erzielt gerade das entgegen-

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[224/0263] Thiere und Pflanzen. Verbindungen bilden. Daher athmen sie vorwiegend Kohlensäure ein, Sauerstoff aus. Doch giebt es auch viele Schmarotzer-Pflanzen (Pilze etc.), deren Athmungsprocess umgekehrt (thierisch) ist, und welche, gleich den Thieren, bereits vorgebildete „organische“ Sub- stanzen (verwickelte Kohlenstoff-Verbindungen) zu ihrer Ernährung brauchen. Besondere den Ernährungssaft führende Röhrensysteme (Blutgefässe, Chylusgefässe), sowie besondere contractile Behälter (Her- zen), welche dessen Bewegung in denselben regelmässig beschleunigen, fehlen den Pflanzen allgemein, während sie den meisten Thieren zu- kommen. Die Fortpflanzung geschieht bei den Pflanzen allgemein auf ungeschlechtlichem Wege (durch Theilung, Knospenbildung), ausser- dem bei den allermeisten zugleich auf geschlechtlichem Wege. Bei der grossen Mehrzahl aller Pflanzen wechseln diese beiden Formen der Fortpflanzung in der Weise mit einander ab, dass ein regelmässiger Generationswechsel besteht. Die beiderlei Geschlechter sind bei der grossen Mehrzahl der Pflanzen in einem Individuum fünfter oder sech- ster Ordnung vereinigt, nur bei einer geringen Zahl getrennt. Wenn wir die feineren Vorgänge, welche den genannten allge- meinen Lebensthätigkeiten der Pflanzen zu Grunde liegen, aufsuchen, so finden wir dieselben bei allen Pflanzen, wie bei allen Protisten und Thieren, mit einer Anzahl von molekularen Bewegungserscheinungen und einer Anzahl von Massebewegungen (mechanischen Leistungen) unmittelbar verbunden. Wir können diese Bewegungen zum Theil di- rekt wahrnehmen in den pflanzlichen Individuen erster Ordnung (den Plastiden) als gegenseitige Lageveränderungen der Moleküle des Plasma („Saftströmungen“ oder „Plasmacontractionen“), als Wachsthum (Grössenzunahme) und als Fortpflanzung der Plastiden (Theilung, Knospenbildung der Cytoden und Zellen). Alle diese allgemeinen „organischen“ Molekularbewegungen, welche schliesslich zur Gestaltung ungeformten Stoffes und zur Neubildung individueller Formen führen, und welche häufig (vielleicht immer) mit einer Entwickelung von Wärme verbunden sind, erfordern einen Verbrauch von Spannkräften. Denn alle diese Bewegungen beruhen im Grunde darauf, dass Spann- kräfte in lebendige Kräfte übergehen. Cb. Character der besonderen pflanzlichen Lebenserscheinungen. Während bei den Thieren der bei weitem grösste und wichtigste Theil ihrer Lebensthätigkeit in einer Entwickelung lebendiger Kräfte besteht, die sich dort vorzüglich als Wärmebildung, Muskelbewegung und Nervenbewegung (Empfinden, Wollen, Denken) äussert, so bildet bei den Pflanzen jene Verwandlung der potentiellen in actuelle Kräfte nur einen sehr geringen Theil ihrer Lebenserscheinungen und der bei weitem grösste Theil ihrer Functionen erzielt gerade das entgegen-

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/263>, abgerufen am 24.11.2024.