VIII. B. Morphologischer Character des Pflanzenreichs.
Ba. Character der pflanzlichen Individualitäten.
Der wesentliche tectologische Character der Pflanzen liegt in der vorwiegenden Ausbildung und Differenzirung der Individuen erster Ordnung, der Plastiden. Dieselben sind meistens von viel beträchtlicherer Grösse, als bei den Protisten und Thieren. Gewöhn- lich sind sie kernhaltig, also Zellen; sehr häufig jedoch auch kernlos, also Cytoden, und bei den Nematophyten und vielen Phycophyten ist der Körper entweder allein oder doch vorwiegend aus Cytoden zu- sammengesetzt. Die Plastiden der Pflanzen, sowohl die Cytoden als die Zellen, scheiden allermeist schon in sehr früher Zeit eine Membran aus und kapseln sich dadurch ab; selten bleiben sie längere Zeit hin- durch nackt (Schwärmsporen); gewöhnlich ist die schichtweise Ab- setzung der umhüllenden Membranen sehr mächtig; es bleiben aber, da dieselben meist innerhalb der primär abgeschiedenen Membran als innere Verdickungsschichten sich ablagern, die einzelnen Plastiden dabei isolirt und es verschmelzen weder die Individuen selbst zu Plastiden- stöcken (ausgenommen die "Gefässe" der Gefässpflanzen: Milchsaft- gefässe, Spiralgefässe), noch die Membranen zu gemeinsamen Inter- cellularmassen (wie bei den Bindegeweben der Thiere so häufig ge- schieht). Die Bildung von Zellstöcken (Milchsaftgefässen, Spiral- gefässen) ist weit beschränkter, als bei den Thieren. Diese "Gefässe" sind neben dem einfachen "Parenchym" die einzige besondere "Ge- websform" der Pflanzen. Die Individuen zweiter Ordnung, die Or- gane, sind bei den Pflanzen allgemein weit weniger differenzirt, als bei den Thieren; bei den Phycophyten und Nematophyten sind die- selben sehr wenig entwickelt; bei den Cormophyten sind sie zwar besser entwickelt, lassen sich aber vom morphologischen Gesichtspunkte aus sämmtlich als Modificationen von blos zwei Grundorganen nachweisen, Axorgan und Blattorgan. Vom physiologischen Ge- sichtspunkte aus betrachtet sind die Organe der Pflanzen ebenfalls weit weniger differenzirt als die der Thiere, meistens entweder Ernäh- rungs- oder Fortpflanzungs-Organe. Sehr allgemein und in höchster Ausbildung treffen wir bei den Pflanzen die Individuen sechster und letzter Ordnung an, die Stöcke (Cormen), was mit der festsitzenden Lebensweise und dem Mangel willkührlicher Bewegung zusammenhängt. Daher fehlt den Pflanzen auch die für viele Thiere characteristische und hier die Stockbildung ersetzende Staatenbildung. Gewöhnlich ist mit der Stockbildung der Pflanzen ein sehr ausgedehnter Polymorphis- mus der Personen, eine weit gehende Arbeitstheilung der Individuen fünfter Ordnung (Sprosse) verbunden.
Thiere und Pflanzen.
VIII. B. Morphologischer Character des Pflanzenreichs.
Ba. Character der pflanzlichen Individualitäten.
Der wesentliche tectologische Character der Pflanzen liegt in der vorwiegenden Ausbildung und Differenzirung der Individuen erster Ordnung, der Plastiden. Dieselben sind meistens von viel beträchtlicherer Grösse, als bei den Protisten und Thieren. Gewöhn- lich sind sie kernhaltig, also Zellen; sehr häufig jedoch auch kernlos, also Cytoden, und bei den Nematophyten und vielen Phycophyten ist der Körper entweder allein oder doch vorwiegend aus Cytoden zu- sammengesetzt. Die Plastiden der Pflanzen, sowohl die Cytoden als die Zellen, scheiden allermeist schon in sehr früher Zeit eine Membran aus und kapseln sich dadurch ab; selten bleiben sie längere Zeit hin- durch nackt (Schwärmsporen); gewöhnlich ist die schichtweise Ab- setzung der umhüllenden Membranen sehr mächtig; es bleiben aber, da dieselben meist innerhalb der primär abgeschiedenen Membran als innere Verdickungsschichten sich ablagern, die einzelnen Plastiden dabei isolirt und es verschmelzen weder die Individuen selbst zu Plastiden- stöcken (ausgenommen die „Gefässe“ der Gefässpflanzen: Milchsaft- gefässe, Spiralgefässe), noch die Membranen zu gemeinsamen Inter- cellularmassen (wie bei den Bindegeweben der Thiere so häufig ge- schieht). Die Bildung von Zellstöcken (Milchsaftgefässen, Spiral- gefässen) ist weit beschränkter, als bei den Thieren. Diese „Gefässe“ sind neben dem einfachen „Parenchym“ die einzige besondere „Ge- websform“ der Pflanzen. Die Individuen zweiter Ordnung, die Or- gane, sind bei den Pflanzen allgemein weit weniger differenzirt, als bei den Thieren; bei den Phycophyten und Nematophyten sind die- selben sehr wenig entwickelt; bei den Cormophyten sind sie zwar besser entwickelt, lassen sich aber vom morphologischen Gesichtspunkte aus sämmtlich als Modificationen von blos zwei Grundorganen nachweisen, Axorgan und Blattorgan. Vom physiologischen Ge- sichtspunkte aus betrachtet sind die Organe der Pflanzen ebenfalls weit weniger differenzirt als die der Thiere, meistens entweder Ernäh- rungs- oder Fortpflanzungs-Organe. Sehr allgemein und in höchster Ausbildung treffen wir bei den Pflanzen die Individuen sechster und letzter Ordnung an, die Stöcke (Cormen), was mit der festsitzenden Lebensweise und dem Mangel willkührlicher Bewegung zusammenhängt. Daher fehlt den Pflanzen auch die für viele Thiere characteristische und hier die Stockbildung ersetzende Staatenbildung. Gewöhnlich ist mit der Stockbildung der Pflanzen ein sehr ausgedehnter Polymorphis- mus der Personen, eine weit gehende Arbeitstheilung der Individuen fünfter Ordnung (Sprosse) verbunden.
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Thiere und Pflanzen.
VIII. B. Morphologischer Character des Pflanzenreichs.
Ba. Character der pflanzlichen Individualitäten.
Der wesentliche tectologische Character der Pflanzen liegt
in der vorwiegenden Ausbildung und Differenzirung der Individuen
erster Ordnung, der Plastiden. Dieselben sind meistens von viel
beträchtlicherer Grösse, als bei den Protisten und Thieren. Gewöhn-
lich sind sie kernhaltig, also Zellen; sehr häufig jedoch auch kernlos,
also Cytoden, und bei den Nematophyten und vielen Phycophyten ist
der Körper entweder allein oder doch vorwiegend aus Cytoden zu-
sammengesetzt. Die Plastiden der Pflanzen, sowohl die Cytoden als
die Zellen, scheiden allermeist schon in sehr früher Zeit eine Membran
aus und kapseln sich dadurch ab; selten bleiben sie längere Zeit hin-
durch nackt (Schwärmsporen); gewöhnlich ist die schichtweise Ab-
setzung der umhüllenden Membranen sehr mächtig; es bleiben aber,
da dieselben meist innerhalb der primär abgeschiedenen Membran als
innere Verdickungsschichten sich ablagern, die einzelnen Plastiden dabei
isolirt und es verschmelzen weder die Individuen selbst zu Plastiden-
stöcken (ausgenommen die „Gefässe“ der Gefässpflanzen: Milchsaft-
gefässe, Spiralgefässe), noch die Membranen zu gemeinsamen Inter-
cellularmassen (wie bei den Bindegeweben der Thiere so häufig ge-
schieht). Die Bildung von Zellstöcken (Milchsaftgefässen, Spiral-
gefässen) ist weit beschränkter, als bei den Thieren. Diese „Gefässe“
sind neben dem einfachen „Parenchym“ die einzige besondere „Ge-
websform“ der Pflanzen. Die Individuen zweiter Ordnung, die Or-
gane, sind bei den Pflanzen allgemein weit weniger differenzirt, als
bei den Thieren; bei den Phycophyten und Nematophyten sind die-
selben sehr wenig entwickelt; bei den Cormophyten sind sie zwar
besser entwickelt, lassen sich aber vom morphologischen Gesichtspunkte
aus sämmtlich als Modificationen von blos zwei Grundorganen
nachweisen, Axorgan und Blattorgan. Vom physiologischen Ge-
sichtspunkte aus betrachtet sind die Organe der Pflanzen ebenfalls
weit weniger differenzirt als die der Thiere, meistens entweder Ernäh-
rungs- oder Fortpflanzungs-Organe. Sehr allgemein und in höchster
Ausbildung treffen wir bei den Pflanzen die Individuen sechster und
letzter Ordnung an, die Stöcke (Cormen), was mit der festsitzenden
Lebensweise und dem Mangel willkührlicher Bewegung zusammenhängt.
Daher fehlt den Pflanzen auch die für viele Thiere characteristische
und hier die Stockbildung ersetzende Staatenbildung. Gewöhnlich ist
mit der Stockbildung der Pflanzen ein sehr ausgedehnter Polymorphis-
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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/261>, abgerufen am 28.11.2024.
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