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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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IV. Selbstzeugung oder Autogonie.
ändern kann. Zugleich folgt aus der complicirteren atomistischen Zusam-
mensetzung und der Imbibitionsfähigkeit auch der einfachsten organischen
Individuen, dass ihre Theilchen beständig ihre gegenseitige Lage ändern
können, was bei dem festen Krystall nicht möglich ist, und dass, wenn das
organische Individuum über ein bestimmtes individuelles Maass hinaus ge-
wachsen ist, es sich in zwei Individuen theilen, sich fortpflanzen kann, was
bei dem festen Krystall ebenfalls nicht möglich ist.

Zweifelsohne haben wir uns also den Akt der Autogonie, der ersten
spontanen Entstehung einfachster Organismen ganz ähnlich zu denken, wie
den Akt der Krystallisation. In einer Flüssigkeit, welche die den Organis-
mus zusammensetzenden chemischen Elemente gelöst enthält, bilden sich in
Folge bestimmter Bewegungen der verschiedenen Moleküle gegen einander
bestimmte Anziehungsmittelpunkte, in denen Atome der organogenen Ele-
mente (Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff) in so innige Berüh-
rung mit einander treten, dass sie sich zur Bildung complexer, "ternärer
und quaternärer" Moleküle vereinigen. Diese erste organische Atomgruppe,
vielleicht ein Eiweiss-Molekül, wirkt nun, gleich dem analogen Kernkrystall,
anziehend auf die gleichartigen Atome, welche in der umgebenden Mutter-
lauge gelöst sind, und welche nun gleichfalls zur Bildung gleicher Moleküle
zusammentreten. Hierdurch wächst das Eiweisskörnchen, und gestaltet sich
zu einem homogenen organischen Individuum, einem structurlosen Moner
oder Plasmaklumpen (einem isolirten Gymnocytoden), gleich einer Prota-
moeba
etc. Dieses Moner neigt, vermöge der leichten Zersetzbarkeit sei-
ner Substanz, beständig zur Auflösung seiner eben erst consolidirten Indi-
vidualität hin, vermag aber, indem die beständig überwiegende Aufnahme
neuer Substanz vermöge der Imbibition (Ernährung) das Uebergewicht über
die Zersetzungsneigung gewinnt, durch Stoffwechsel sich am Leben zu er-
halten. Das homogene organische Individuum oder Moner wächst nur so
lange durch Intussusception, bis die Attractionskraft des Centrums nicht
mehr ausreicht, die ganze Masse zusammen zu halten. Es bilden sich, in
Folge der überwiegenden Divergenzbewegungen der Moleküle nach ver-
schiedenen Richtungen hin, nun in dem homogenen Plasma zwei oder meh-
rere neue Anziehungsmittelpuncte, die nun ihrerseits anziehend auf die in-
dividuelle Substanz des einfachen Moneres wirken, und dadurch seine Thei-
lung, seinen Zerfall in zwei oder mehrere Stücke herbeiführen (Fortpflanzung).
Jedes Theilstück rundet sich alsbald wieder zu einem selbstständigen
Eiweissindividuum oder Plasmaklumpen ab und es beginnt nun das ewige
Spiel der Anziehung und Abstossung der Moleküle von Neuem, welches
die Erscheinungen des Stoffwechsels oder der Ernährung und der Fort-
pflanzung vermittelt.

Wir haben hier absichtlich den denkbar einfachsten Fall der Autogonie
eines Moneres hingestellt, welcher der Krystallisation eines Anorganes offen-
bar am nächsten steht; denn in beiden Fällen führen znr Bildung des in
sich homogenen individuellen Naturkörpers molekulare Bewegungen inner-
halb einer Flüssigkeit (organisches "Cytoblastem", anorganische "Mutter-
lauge"), welche die zur Bildung des Individuums unentbehrlichen Stoffe gelöst
enthält. In beiden Fällen entsteht, in Folge des Ueberwiegens bestimmter

IV. Selbstzeugung oder Autogonie.
ändern kann. Zugleich folgt aus der complicirteren atomistischen Zusam-
mensetzung und der Imbibitionsfähigkeit auch der einfachsten organischen
Individuen, dass ihre Theilchen beständig ihre gegenseitige Lage ändern
können, was bei dem festen Krystall nicht möglich ist, und dass, wenn das
organische Individuum über ein bestimmtes individuelles Maass hinaus ge-
wachsen ist, es sich in zwei Individuen theilen, sich fortpflanzen kann, was
bei dem festen Krystall ebenfalls nicht möglich ist.

Zweifelsohne haben wir uns also den Akt der Autogonie, der ersten
spontanen Entstehung einfachster Organismen ganz ähnlich zu denken, wie
den Akt der Krystallisation. In einer Flüssigkeit, welche die den Organis-
mus zusammensetzenden chemischen Elemente gelöst enthält, bilden sich in
Folge bestimmter Bewegungen der verschiedenen Moleküle gegen einander
bestimmte Anziehungsmittelpunkte, in denen Atome der organogenen Ele-
mente (Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff) in so innige Berüh-
rung mit einander treten, dass sie sich zur Bildung complexer, „ternärer
und quaternärer“ Moleküle vereinigen. Diese erste organische Atomgruppe,
vielleicht ein Eiweiss-Molekül, wirkt nun, gleich dem analogen Kernkrystall,
anziehend auf die gleichartigen Atome, welche in der umgebenden Mutter-
lauge gelöst sind, und welche nun gleichfalls zur Bildung gleicher Moleküle
zusammentreten. Hierdurch wächst das Eiweisskörnchen, und gestaltet sich
zu einem homogenen organischen Individuum, einem structurlosen Moner
oder Plasmaklumpen (einem isolirten Gymnocytoden), gleich einer Prota-
moeba
etc. Dieses Moner neigt, vermöge der leichten Zersetzbarkeit sei-
ner Substanz, beständig zur Auflösung seiner eben erst consolidirten Indi-
vidualität hin, vermag aber, indem die beständig überwiegende Aufnahme
neuer Substanz vermöge der Imbibition (Ernährung) das Uebergewicht über
die Zersetzungsneigung gewinnt, durch Stoffwechsel sich am Leben zu er-
halten. Das homogene organische Individuum oder Moner wächst nur so
lange durch Intussusception, bis die Attractionskraft des Centrums nicht
mehr ausreicht, die ganze Masse zusammen zu halten. Es bilden sich, in
Folge der überwiegenden Divergenzbewegungen der Moleküle nach ver-
schiedenen Richtungen hin, nun in dem homogenen Plasma zwei oder meh-
rere neue Anziehungsmittelpuncte, die nun ihrerseits anziehend auf die in-
dividuelle Substanz des einfachen Moneres wirken, und dadurch seine Thei-
lung, seinen Zerfall in zwei oder mehrere Stücke herbeiführen (Fortpflanzung).
Jedes Theilstück rundet sich alsbald wieder zu einem selbstständigen
Eiweissindividuum oder Plasmaklumpen ab und es beginnt nun das ewige
Spiel der Anziehung und Abstossung der Moleküle von Neuem, welches
die Erscheinungen des Stoffwechsels oder der Ernährung und der Fort-
pflanzung vermittelt.

Wir haben hier absichtlich den denkbar einfachsten Fall der Autogonie
eines Moneres hingestellt, welcher der Krystallisation eines Anorganes offen-
bar am nächsten steht; denn in beiden Fällen führen znr Bildung des in
sich homogenen individuellen Naturkörpers molekulare Bewegungen inner-
halb einer Flüssigkeit (organisches „Cytoblastem“, anorganische „Mutter-
lauge“), welche die zur Bildung des Individuums unentbehrlichen Stoffe gelöst
enthält. In beiden Fällen entsteht, in Folge des Ueberwiegens bestimmter

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[181/0220] IV. Selbstzeugung oder Autogonie. ändern kann. Zugleich folgt aus der complicirteren atomistischen Zusam- mensetzung und der Imbibitionsfähigkeit auch der einfachsten organischen Individuen, dass ihre Theilchen beständig ihre gegenseitige Lage ändern können, was bei dem festen Krystall nicht möglich ist, und dass, wenn das organische Individuum über ein bestimmtes individuelles Maass hinaus ge- wachsen ist, es sich in zwei Individuen theilen, sich fortpflanzen kann, was bei dem festen Krystall ebenfalls nicht möglich ist. Zweifelsohne haben wir uns also den Akt der Autogonie, der ersten spontanen Entstehung einfachster Organismen ganz ähnlich zu denken, wie den Akt der Krystallisation. In einer Flüssigkeit, welche die den Organis- mus zusammensetzenden chemischen Elemente gelöst enthält, bilden sich in Folge bestimmter Bewegungen der verschiedenen Moleküle gegen einander bestimmte Anziehungsmittelpunkte, in denen Atome der organogenen Ele- mente (Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff) in so innige Berüh- rung mit einander treten, dass sie sich zur Bildung complexer, „ternärer und quaternärer“ Moleküle vereinigen. Diese erste organische Atomgruppe, vielleicht ein Eiweiss-Molekül, wirkt nun, gleich dem analogen Kernkrystall, anziehend auf die gleichartigen Atome, welche in der umgebenden Mutter- lauge gelöst sind, und welche nun gleichfalls zur Bildung gleicher Moleküle zusammentreten. Hierdurch wächst das Eiweisskörnchen, und gestaltet sich zu einem homogenen organischen Individuum, einem structurlosen Moner oder Plasmaklumpen (einem isolirten Gymnocytoden), gleich einer Prota- moeba etc. Dieses Moner neigt, vermöge der leichten Zersetzbarkeit sei- ner Substanz, beständig zur Auflösung seiner eben erst consolidirten Indi- vidualität hin, vermag aber, indem die beständig überwiegende Aufnahme neuer Substanz vermöge der Imbibition (Ernährung) das Uebergewicht über die Zersetzungsneigung gewinnt, durch Stoffwechsel sich am Leben zu er- halten. Das homogene organische Individuum oder Moner wächst nur so lange durch Intussusception, bis die Attractionskraft des Centrums nicht mehr ausreicht, die ganze Masse zusammen zu halten. Es bilden sich, in Folge der überwiegenden Divergenzbewegungen der Moleküle nach ver- schiedenen Richtungen hin, nun in dem homogenen Plasma zwei oder meh- rere neue Anziehungsmittelpuncte, die nun ihrerseits anziehend auf die in- dividuelle Substanz des einfachen Moneres wirken, und dadurch seine Thei- lung, seinen Zerfall in zwei oder mehrere Stücke herbeiführen (Fortpflanzung). Jedes Theilstück rundet sich alsbald wieder zu einem selbstständigen Eiweissindividuum oder Plasmaklumpen ab und es beginnt nun das ewige Spiel der Anziehung und Abstossung der Moleküle von Neuem, welches die Erscheinungen des Stoffwechsels oder der Ernährung und der Fort- pflanzung vermittelt. Wir haben hier absichtlich den denkbar einfachsten Fall der Autogonie eines Moneres hingestellt, welcher der Krystallisation eines Anorganes offen- bar am nächsten steht; denn in beiden Fällen führen znr Bildung des in sich homogenen individuellen Naturkörpers molekulare Bewegungen inner- halb einer Flüssigkeit (organisches „Cytoblastem“, anorganische „Mutter- lauge“), welche die zur Bildung des Individuums unentbehrlichen Stoffe gelöst enthält. In beiden Fällen entsteht, in Folge des Ueberwiegens bestimmter

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/220>, abgerufen am 27.11.2024.