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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Schöpfung und Selbstzeugung.
stehenden Erfahrungen, wie aus den einfachsten und unvollkommensten
Urwesen sich die höchsten und vollkommensten Organismen allmählig
durch Divergenz nach verschiedenen Richtungen haben hervorbilden
können. Diese Entwickelungstheorie lässt aber eine grosse und zu-
nächst sich daran anknüpfende Frage unbeantwortet, nämlich: "Wie
entstanden jene ersten und einfachsten Lebewesen, aus
denen sich alle übrigen, vollkommeneren Organismen all-
mählich entwickelten?
"

Die Beantwortung dieser äusserst wichtigen Frage von der ersten
Entstehung des Lebens auf der Erde wird von den meisten Menschen,
und selbst von sehr vielen Biologen, als eine ausserhalb aller exacten
Naturforschung liegende, oder selbst als eine der Competenz unserer
menschlichen Erkenntniss entzogene Frage bezeichnet. Wir können
keiner von diesen Ansichten beipflichten, und müssen den, freilich sehr
gewagten Versuch, die Frage hypothetisch zu beantworten, ebenso als
unser gutes Recht, wie als unsere nothwendige Pflicht bezeichnen,
wenn wir überhaupt die Erscheinungen der organischen Natur mo-
nistisch, d. h. causal erklären wollen.

Nichts zeigt wohl so sehr die äusserst niedrige Stufe der Entwickelung,
auf der sich die gesammte Biologie, sowohl Morphologie als Physiologie,
noch gegenwärtig befindet, als der Umstand, dass wir zunächst die Be-
rechtigung dieser Frage,
die doch jedem denkenden Menschen selbst-
verständlich erscheinen sollte, ausdrücklich hervorheben müssen. Denn so
weit ist noch die herrschende Betrachtungsweise der Organismen vermöge
ihres grundverkehrten Dualismus von der allein wissenschaftlichen Erkennt-
niss d. h. dem monistischen Verständniss der organischen Naturerscheinungen
entfernt, dass nicht nur die meisten Laien, sondern selbst die meisten Natur-
forscher die Berechtigung jener Frage bestreiten, und sie als eine solche
bezeichnen, zu deren wissenschaftlichen Erörterung wir weder befugt, noch
befähigt seien.

Die Frage nach dem ersten Ursprung des Lebens auf der Erde, nach
der Entstehung jener ersten, einfachsten Organismen, aus denen alle übrigen
durch allmählige Umbildung sich entwickelten, ist nach unserer Ansicht voll-
kommen ebenso berechtigt, und muss von der Naturwissenschaft ebenso
nothwendig gestellt werden, wie die Frage nach der Entstehung der Erde
selbst, die Frage nach der Entstehung der anorganischen Naturkörper. Wie
wir bei den letzteren sowohl die Thatsachen ihres allmähligen Werdens, als
auch die Ursachen desselben in den Kreis unserer Forschung zu ziehen
haben, so verhält es sich auch mit den Organismen. Wir werden also in
diesem Capitel ebensowohl uns eine Theorie über die erste Entstehung
der Organismen, wie über die Ursachen derselben zu bilden haben. Und
wir sind hier um so mehr dazu verpflichtet, als Darwin in seinem classi-
schen Werke gerade hier eine sehr empfindliche Lücke gelassen und erklärt
hat, dass er "Nichts mit dem Ursprung der geistigen Grundkräfte, noch

Schöpfung und Selbstzeugung.
stehenden Erfahrungen, wie aus den einfachsten und unvollkommensten
Urwesen sich die höchsten und vollkommensten Organismen allmählig
durch Divergenz nach verschiedenen Richtungen haben hervorbilden
können. Diese Entwickelungstheorie lässt aber eine grosse und zu-
nächst sich daran anknüpfende Frage unbeantwortet, nämlich: „Wie
entstanden jene ersten und einfachsten Lebewesen, aus
denen sich alle übrigen, vollkommeneren Organismen all-
mählich entwickelten?

Die Beantwortung dieser äusserst wichtigen Frage von der ersten
Entstehung des Lebens auf der Erde wird von den meisten Menschen,
und selbst von sehr vielen Biologen, als eine ausserhalb aller exacten
Naturforschung liegende, oder selbst als eine der Competenz unserer
menschlichen Erkenntniss entzogene Frage bezeichnet. Wir können
keiner von diesen Ansichten beipflichten, und müssen den, freilich sehr
gewagten Versuch, die Frage hypothetisch zu beantworten, ebenso als
unser gutes Recht, wie als unsere nothwendige Pflicht bezeichnen,
wenn wir überhaupt die Erscheinungen der organischen Natur mo-
nistisch, d. h. causal erklären wollen.

Nichts zeigt wohl so sehr die äusserst niedrige Stufe der Entwickelung,
auf der sich die gesammte Biologie, sowohl Morphologie als Physiologie,
noch gegenwärtig befindet, als der Umstand, dass wir zunächst die Be-
rechtigung dieser Frage,
die doch jedem denkenden Menschen selbst-
verständlich erscheinen sollte, ausdrücklich hervorheben müssen. Denn so
weit ist noch die herrschende Betrachtungsweise der Organismen vermöge
ihres grundverkehrten Dualismus von der allein wissenschaftlichen Erkennt-
niss d. h. dem monistischen Verständniss der organischen Naturerscheinungen
entfernt, dass nicht nur die meisten Laien, sondern selbst die meisten Natur-
forscher die Berechtigung jener Frage bestreiten, und sie als eine solche
bezeichnen, zu deren wissenschaftlichen Erörterung wir weder befugt, noch
befähigt seien.

Die Frage nach dem ersten Ursprung des Lebens auf der Erde, nach
der Entstehung jener ersten, einfachsten Organismen, aus denen alle übrigen
durch allmählige Umbildung sich entwickelten, ist nach unserer Ansicht voll-
kommen ebenso berechtigt, und muss von der Naturwissenschaft ebenso
nothwendig gestellt werden, wie die Frage nach der Entstehung der Erde
selbst, die Frage nach der Entstehung der anorganischen Naturkörper. Wie
wir bei den letzteren sowohl die Thatsachen ihres allmähligen Werdens, als
auch die Ursachen desselben in den Kreis unserer Forschung zu ziehen
haben, so verhält es sich auch mit den Organismen. Wir werden also in
diesem Capitel ebensowohl uns eine Theorie über die erste Entstehung
der Organismen, wie über die Ursachen derselben zu bilden haben. Und
wir sind hier um so mehr dazu verpflichtet, als Darwin in seinem classi-
schen Werke gerade hier eine sehr empfindliche Lücke gelassen und erklärt
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[168/0207] Schöpfung und Selbstzeugung. stehenden Erfahrungen, wie aus den einfachsten und unvollkommensten Urwesen sich die höchsten und vollkommensten Organismen allmählig durch Divergenz nach verschiedenen Richtungen haben hervorbilden können. Diese Entwickelungstheorie lässt aber eine grosse und zu- nächst sich daran anknüpfende Frage unbeantwortet, nämlich: „Wie entstanden jene ersten und einfachsten Lebewesen, aus denen sich alle übrigen, vollkommeneren Organismen all- mählich entwickelten?“ Die Beantwortung dieser äusserst wichtigen Frage von der ersten Entstehung des Lebens auf der Erde wird von den meisten Menschen, und selbst von sehr vielen Biologen, als eine ausserhalb aller exacten Naturforschung liegende, oder selbst als eine der Competenz unserer menschlichen Erkenntniss entzogene Frage bezeichnet. Wir können keiner von diesen Ansichten beipflichten, und müssen den, freilich sehr gewagten Versuch, die Frage hypothetisch zu beantworten, ebenso als unser gutes Recht, wie als unsere nothwendige Pflicht bezeichnen, wenn wir überhaupt die Erscheinungen der organischen Natur mo- nistisch, d. h. causal erklären wollen. Nichts zeigt wohl so sehr die äusserst niedrige Stufe der Entwickelung, auf der sich die gesammte Biologie, sowohl Morphologie als Physiologie, noch gegenwärtig befindet, als der Umstand, dass wir zunächst die Be- rechtigung dieser Frage, die doch jedem denkenden Menschen selbst- verständlich erscheinen sollte, ausdrücklich hervorheben müssen. Denn so weit ist noch die herrschende Betrachtungsweise der Organismen vermöge ihres grundverkehrten Dualismus von der allein wissenschaftlichen Erkennt- niss d. h. dem monistischen Verständniss der organischen Naturerscheinungen entfernt, dass nicht nur die meisten Laien, sondern selbst die meisten Natur- forscher die Berechtigung jener Frage bestreiten, und sie als eine solche bezeichnen, zu deren wissenschaftlichen Erörterung wir weder befugt, noch befähigt seien. Die Frage nach dem ersten Ursprung des Lebens auf der Erde, nach der Entstehung jener ersten, einfachsten Organismen, aus denen alle übrigen durch allmählige Umbildung sich entwickelten, ist nach unserer Ansicht voll- kommen ebenso berechtigt, und muss von der Naturwissenschaft ebenso nothwendig gestellt werden, wie die Frage nach der Entstehung der Erde selbst, die Frage nach der Entstehung der anorganischen Naturkörper. Wie wir bei den letzteren sowohl die Thatsachen ihres allmähligen Werdens, als auch die Ursachen desselben in den Kreis unserer Forschung zu ziehen haben, so verhält es sich auch mit den Organismen. Wir werden also in diesem Capitel ebensowohl uns eine Theorie über die erste Entstehung der Organismen, wie über die Ursachen derselben zu bilden haben. Und wir sind hier um so mehr dazu verpflichtet, als Darwin in seinem classi- schen Werke gerade hier eine sehr empfindliche Lücke gelassen und erklärt hat, dass er „Nichts mit dem Ursprung der geistigen Grundkräfte, noch

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/207>, abgerufen am 28.11.2024.