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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Organische und anorganische Kräfte.
gar nicht gewürdigt worden. Es liegt aber zu Tage, dass sie wirklich
von der grössten Bedeutung für die monistische Biologie sind, indem
sie die von den Meisten für unüberwindlich gehaltene Kluft zwischen
den Zellen und den Krystallen, mindestens in vielen Beziehungen,
ausfüllen.

Ein allgemeiner Vergleich der Zellen mit den Krystallen und
der Versuch, die Zellbildung in ähnlicher Weise wie die Krystall-
bildung auf einfache Molekular-Bewegungen der Materie zurückzufüh-
ren, stösst bereits auf sehr viel grössere Schwierigkeiten, weil wir in
der Zelle schon mindestens zwei verschiedene Form-Elemente zu einem
individuellen Ganzen verbunden haben, was bei den homogenen Cyto-
den noch nicht der Fall ist und bei den Krystallen niemals vorkommt.
Um so wichtiger und interessanter ist es, dass wir bereits seit langer
Zeit einen solchen Vergleich besitzen, der noch jetzt von hohem Werthe
ist. Theodor Schwann nämlich hat in den epochemachenden
"mikroskopischen Untersuchungen", durch welche er 1839 die Gewe-
belehre als besondere Wissenschaft neu begründete, den sehr aner-
kennenswerthen Versuch gemacht, in monistischem Sinne die Zellen
als die eigentlichen Elementar-Organismen nachzuweisen, welche den
Körper der höheren Organismen durch Aggregation zusammensetzen,
und hat dabei die Zellen als die eigentlichen organischen Individuen
mit den Krystallen als den anorganischen Individuen in Parallele ge-
stellt. In der berühmten "Theorie der Zellen", welche den letzten
Theil im dritten Abschnitte jenes Werkes bildet (p. 220--257) hat
Schwann diesen Vergleich der Zellen mit den Krystallen durchzufüh-
ren versucht, und hat unseres Erachtens mit bewundernswürdiger Schärfe
den schlagenden, wenn auch nicht vollständigen Beweis für die Theorie
geführt, "dass die Bildung der Elementartheile der Organismen nichts
als eine Krystallisation imbibitionsfähiger Substanz, der Organismus
nichts als ein Aggregat solcher imbibitionsfähiger Krystalle ist."1)

1) Für den vollständigen Beweis der Richtigkeit dieses Satzes hält Schwann
noch den Nachweis zweier Punkte für nothwendig, nämlich: "I) dass die meta-
bolischen Erscheinungen der Zellen ebenfalls wie die plastischen Erscheinungen
nothwendige Folge der Imbibitionsfähigkeit, oder irgend einer anderen Eigen-
thümlichkeit der Zellensubstanz sind; II) dass, wenn sich eine Menge imbibitions-
fähiger Krystalle bilden, diese sich nach gewissen Gesetzen zusammenfügen
müssen, so dass sie ein, einem Organismus ähnliches, systematisches Ganze bil-
den." Was nun den ersten Punkt betrifft, so glaubt Schwann den Grund für
die metabolischen Erscheinungen der Zellen "wahrscheinlicher in einer bestimm-
ten Lage der Moleküle, die wahrscheinlich bei allen Zellen wesentlich dieselbe
ist, als in der chemischen Zusammensetzung der Moleküle, die bei den verschie-
denen Zellen sehr verschieden ist," finden zu müssen. Doch dürften wohl diese
beiden Momente hier wirksam sein, und würde in letzterer Beziehung wohl vor
Allem die complicirte chemische Zusammensetzung und die äusserst leichte Zer-
Haeckel, Generelle Morphologie. 11

Organische und anorganische Kräfte.
gar nicht gewürdigt worden. Es liegt aber zu Tage, dass sie wirklich
von der grössten Bedeutung für die monistische Biologie sind, indem
sie die von den Meisten für unüberwindlich gehaltene Kluft zwischen
den Zellen und den Krystallen, mindestens in vielen Beziehungen,
ausfüllen.

Ein allgemeiner Vergleich der Zellen mit den Krystallen und
der Versuch, die Zellbildung in ähnlicher Weise wie die Krystall-
bildung auf einfache Molekular-Bewegungen der Materie zurückzufüh-
ren, stösst bereits auf sehr viel grössere Schwierigkeiten, weil wir in
der Zelle schon mindestens zwei verschiedene Form-Elemente zu einem
individuellen Ganzen verbunden haben, was bei den homogenen Cyto-
den noch nicht der Fall ist und bei den Krystallen niemals vorkommt.
Um so wichtiger und interessanter ist es, dass wir bereits seit langer
Zeit einen solchen Vergleich besitzen, der noch jetzt von hohem Werthe
ist. Theodor Schwann nämlich hat in den epochemachenden
„mikroskopischen Untersuchungen“, durch welche er 1839 die Gewe-
belehre als besondere Wissenschaft neu begründete, den sehr aner-
kennenswerthen Versuch gemacht, in monistischem Sinne die Zellen
als die eigentlichen Elementar-Organismen nachzuweisen, welche den
Körper der höheren Organismen durch Aggregation zusammensetzen,
und hat dabei die Zellen als die eigentlichen organischen Individuen
mit den Krystallen als den anorganischen Individuen in Parallele ge-
stellt. In der berühmten „Theorie der Zellen“, welche den letzten
Theil im dritten Abschnitte jenes Werkes bildet (p. 220—257) hat
Schwann diesen Vergleich der Zellen mit den Krystallen durchzufüh-
ren versucht, und hat unseres Erachtens mit bewundernswürdiger Schärfe
den schlagenden, wenn auch nicht vollständigen Beweis für die Theorie
geführt, „dass die Bildung der Elementartheile der Organismen nichts
als eine Krystallisation imbibitionsfähiger Substanz, der Organismus
nichts als ein Aggregat solcher imbibitionsfähiger Krystalle ist.“1)

1) Für den vollständigen Beweis der Richtigkeit dieses Satzes hält Schwann
noch den Nachweis zweier Punkte für nothwendig, nämlich: „I) dass die meta-
bolischen Erscheinungen der Zellen ebenfalls wie die plastischen Erscheinungen
nothwendige Folge der Imbibitionsfähigkeit, oder irgend einer anderen Eigen-
thümlichkeit der Zellensubstanz sind; II) dass, wenn sich eine Menge imbibitions-
fähiger Krystalle bilden, diese sich nach gewissen Gesetzen zusammenfügen
müssen, so dass sie ein, einem Organismus ähnliches, systematisches Ganze bil-
den.“ Was nun den ersten Punkt betrifft, so glaubt Schwann den Grund für
die metabolischen Erscheinungen der Zellen „wahrscheinlicher in einer bestimm-
ten Lage der Moleküle, die wahrscheinlich bei allen Zellen wesentlich dieselbe
ist, als in der chemischen Zusammensetzung der Moleküle, die bei den verschie-
denen Zellen sehr verschieden ist,“ finden zu müssen. Doch dürften wohl diese
beiden Momente hier wirksam sein, und würde in letzterer Beziehung wohl vor
Allem die complicirte chemische Zusammensetzung und die äusserst leichte Zer-
Haeckel, Generelle Morphologie. 11
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[161/0200] Organische und anorganische Kräfte. gar nicht gewürdigt worden. Es liegt aber zu Tage, dass sie wirklich von der grössten Bedeutung für die monistische Biologie sind, indem sie die von den Meisten für unüberwindlich gehaltene Kluft zwischen den Zellen und den Krystallen, mindestens in vielen Beziehungen, ausfüllen. Ein allgemeiner Vergleich der Zellen mit den Krystallen und der Versuch, die Zellbildung in ähnlicher Weise wie die Krystall- bildung auf einfache Molekular-Bewegungen der Materie zurückzufüh- ren, stösst bereits auf sehr viel grössere Schwierigkeiten, weil wir in der Zelle schon mindestens zwei verschiedene Form-Elemente zu einem individuellen Ganzen verbunden haben, was bei den homogenen Cyto- den noch nicht der Fall ist und bei den Krystallen niemals vorkommt. Um so wichtiger und interessanter ist es, dass wir bereits seit langer Zeit einen solchen Vergleich besitzen, der noch jetzt von hohem Werthe ist. Theodor Schwann nämlich hat in den epochemachenden „mikroskopischen Untersuchungen“, durch welche er 1839 die Gewe- belehre als besondere Wissenschaft neu begründete, den sehr aner- kennenswerthen Versuch gemacht, in monistischem Sinne die Zellen als die eigentlichen Elementar-Organismen nachzuweisen, welche den Körper der höheren Organismen durch Aggregation zusammensetzen, und hat dabei die Zellen als die eigentlichen organischen Individuen mit den Krystallen als den anorganischen Individuen in Parallele ge- stellt. In der berühmten „Theorie der Zellen“, welche den letzten Theil im dritten Abschnitte jenes Werkes bildet (p. 220—257) hat Schwann diesen Vergleich der Zellen mit den Krystallen durchzufüh- ren versucht, und hat unseres Erachtens mit bewundernswürdiger Schärfe den schlagenden, wenn auch nicht vollständigen Beweis für die Theorie geführt, „dass die Bildung der Elementartheile der Organismen nichts als eine Krystallisation imbibitionsfähiger Substanz, der Organismus nichts als ein Aggregat solcher imbibitionsfähiger Krystalle ist.“ 1) 1) Für den vollständigen Beweis der Richtigkeit dieses Satzes hält Schwann noch den Nachweis zweier Punkte für nothwendig, nämlich: „I) dass die meta- bolischen Erscheinungen der Zellen ebenfalls wie die plastischen Erscheinungen nothwendige Folge der Imbibitionsfähigkeit, oder irgend einer anderen Eigen- thümlichkeit der Zellensubstanz sind; II) dass, wenn sich eine Menge imbibitions- fähiger Krystalle bilden, diese sich nach gewissen Gesetzen zusammenfügen müssen, so dass sie ein, einem Organismus ähnliches, systematisches Ganze bil- den.“ Was nun den ersten Punkt betrifft, so glaubt Schwann den Grund für die metabolischen Erscheinungen der Zellen „wahrscheinlicher in einer bestimm- ten Lage der Moleküle, die wahrscheinlich bei allen Zellen wesentlich dieselbe ist, als in der chemischen Zusammensetzung der Moleküle, die bei den verschie- denen Zellen sehr verschieden ist,“ finden zu müssen. Doch dürften wohl diese beiden Momente hier wirksam sein, und würde in letzterer Beziehung wohl vor Allem die complicirte chemische Zusammensetzung und die äusserst leichte Zer- Haeckel, Generelle Morphologie. 11

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/200>, abgerufen am 29.11.2024.