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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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II. Organische und anorganische Formen.
mensetzung aus über einander liegenden Schichten von verschiedenen
Cohäsions-Graden, die Blätterdurchgänge, welche nach verschiedenen
Richtungen hin sich kreuzen und durchschneiden. Hierdurch ist dann
wieder der verschiedene Widerstand bedingt, den der Krystall nach
verschiedenen Richtungen hin dem Durchgange des Lichts, der Wärme,
der Electricität etc. entgegensetzt. Kurz, wir sehen, dass der Kry-
stall durchaus kein homogener, in sich gleichartiger Körper ist, wie ein
amorphes Anorgan, sondern vielmehr eine innere Structur besitzt,
wie der Organismus; und den Theil der Krystallographie, welcher von
dieser inneren Structur handelt, könnte man die Anatomie der Kry-
stalle,
oder besser noch die Tectologie der Krystalle nennen.

Wie wir nun so einerseits sehen, dass die "innere Structur", die
Zusammensetzung aus bestimmt angeordneten Theilen, durchaus keine
ausschliessliche Eigenschaft des Organismus ist, so müssen wir zwei-
tens andererseits hervorheben, dass es auch vollkommen homogene
Organismen
giebt, solche nämlich, welche, für unsere Hilfsmittel
wenigstens, als durchaus homogene und structurlose Körper erschei-
nen. Dahin gehören mehrere, schon seit längerer Zeit bekannte, so-
genannte "Amoeben", nämlich diejenigen einfachsten Amoeben-Formen,
welche, ohne Kern und ohne contractile Blase, bloss einen structur-
losen contractilen Eiweissklumpen darstellen. Insofern diese durchaus
homogenen Amoeben, die sich durch Diosmose ernähren und durch
Theilung fortpflanzen, selbstständige "Species" darstellen, wollen wir
dieselben als "Protamoeba", von den eigentlichen, mit Kern und
contractiler Blase versehenen Amoeben unterscheiden.1) Ferner ge-

1) Nachdem ich bei dem Protogenes primordialis, einem vollkommen
homogenen Plasmaklumpen, den ich im Frühjahr 1864 im Mittelmeere bei Villa-
franca unweit Nizza beobachtet, die einfache Fortpflanzung durch Theilung nach-
gewiesen hatte, gelang es mir auch bei einem kleinen amoebenförmigen Wesen
ohne Kern und ohne contractile Blase, welches ich schon früher in einem kleinen
Tümpel bei Jena beobachtet hatte, denselben Vorgang festzustellen. Dieser
lebende, vollkommen structurlose Plasmaklumpen, welcher Protamoeba primi-
tiva
heissen mag, von ungefähr 0,03--0,05 Mm. Durchmesser, gleicht im Habitus
und äusserer Form ziemlich der von Auerbach (Zeitschr. für wissensch. Zool.
1856. Vol. VII. Tab. XXII., Fig. 11--16) beschriebenen und abgebildeten
Amoeba timax. Kern und contractile Blase, welche letztere besitzt, fehlen
aber vollständig. Auch bei der stärksten Vergrösserung war ich bei allen be-
obachteten Individuen nicht im Stande, in dem vollkommen homogenen Plasma
etwas Anderes zu entdecken als bei vielen Individuen (aber nicht bei allen!) eine
grössere oder kleinere Anzahl fettglänzender, in Essigsäure nicht löslicher
Körnchen, welche entweder zufällig oder als Nahrung aus dem umgebenden fei-
nen Schlamme, der viele zersetzte organische Stoffe enthielt, aufgenommen
waren. Die structurlose Substanz der contractilen formlosen Körperchen war
sehr blass, zart contourirt, schwach lichtbrechend. Die Bewegungen waren sehr

II. Organische und anorganische Formen.
mensetzung aus über einander liegenden Schichten von verschiedenen
Cohäsions-Graden, die Blätterdurchgänge, welche nach verschiedenen
Richtungen hin sich kreuzen und durchschneiden. Hierdurch ist dann
wieder der verschiedene Widerstand bedingt, den der Krystall nach
verschiedenen Richtungen hin dem Durchgange des Lichts, der Wärme,
der Electricität etc. entgegensetzt. Kurz, wir sehen, dass der Kry-
stall durchaus kein homogener, in sich gleichartiger Körper ist, wie ein
amorphes Anorgan, sondern vielmehr eine innere Structur besitzt,
wie der Organismus; und den Theil der Krystallographie, welcher von
dieser inneren Structur handelt, könnte man die Anatomie der Kry-
stalle,
oder besser noch die Tectologie der Krystalle nennen.

Wie wir nun so einerseits sehen, dass die „innere Structur“, die
Zusammensetzung aus bestimmt angeordneten Theilen, durchaus keine
ausschliessliche Eigenschaft des Organismus ist, so müssen wir zwei-
tens andererseits hervorheben, dass es auch vollkommen homogene
Organismen
giebt, solche nämlich, welche, für unsere Hilfsmittel
wenigstens, als durchaus homogene und structurlose Körper erschei-
nen. Dahin gehören mehrere, schon seit längerer Zeit bekannte, so-
genannte „Amoeben“, nämlich diejenigen einfachsten Amoeben-Formen,
welche, ohne Kern und ohne contractile Blase, bloss einen structur-
losen contractilen Eiweissklumpen darstellen. Insofern diese durchaus
homogenen Amoeben, die sich durch Diosmose ernähren und durch
Theilung fortpflanzen, selbstständige „Species“ darstellen, wollen wir
dieselben als „Protamoeba“, von den eigentlichen, mit Kern und
contractiler Blase versehenen Amoeben unterscheiden.1) Ferner ge-

1) Nachdem ich bei dem Protogenes primordialis, einem vollkommen
homogenen Plasmaklumpen, den ich im Frühjahr 1864 im Mittelmeere bei Villa-
franca unweit Nizza beobachtet, die einfache Fortpflanzung durch Theilung nach-
gewiesen hatte, gelang es mir auch bei einem kleinen amoebenförmigen Wesen
ohne Kern und ohne contractile Blase, welches ich schon früher in einem kleinen
Tümpel bei Jena beobachtet hatte, denselben Vorgang festzustellen. Dieser
lebende, vollkommen structurlose Plasmaklumpen, welcher Protamoeba primi-
tiva
heissen mag, von ungefähr 0,03—0,05 Mm. Durchmesser, gleicht im Habitus
und äusserer Form ziemlich der von Auerbach (Zeitschr. für wissensch. Zool.
1856. Vol. VII. Tab. XXII., Fig. 11—16) beschriebenen und abgebildeten
Amoeba timax. Kern und contractile Blase, welche letztere besitzt, fehlen
aber vollständig. Auch bei der stärksten Vergrösserung war ich bei allen be-
obachteten Individuen nicht im Stande, in dem vollkommen homogenen Plasma
etwas Anderes zu entdecken als bei vielen Individuen (aber nicht bei allen!) eine
grössere oder kleinere Anzahl fettglänzender, in Essigsäure nicht löslicher
Körnchen, welche entweder zufällig oder als Nahrung aus dem umgebenden fei-
nen Schlamme, der viele zersetzte organische Stoffe enthielt, aufgenommen
waren. Die structurlose Substanz der contractilen formlosen Körperchen war
sehr blass, zart contourirt, schwach lichtbrechend. Die Bewegungen waren sehr
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[133/0172] II. Organische und anorganische Formen. mensetzung aus über einander liegenden Schichten von verschiedenen Cohäsions-Graden, die Blätterdurchgänge, welche nach verschiedenen Richtungen hin sich kreuzen und durchschneiden. Hierdurch ist dann wieder der verschiedene Widerstand bedingt, den der Krystall nach verschiedenen Richtungen hin dem Durchgange des Lichts, der Wärme, der Electricität etc. entgegensetzt. Kurz, wir sehen, dass der Kry- stall durchaus kein homogener, in sich gleichartiger Körper ist, wie ein amorphes Anorgan, sondern vielmehr eine innere Structur besitzt, wie der Organismus; und den Theil der Krystallographie, welcher von dieser inneren Structur handelt, könnte man die Anatomie der Kry- stalle, oder besser noch die Tectologie der Krystalle nennen. Wie wir nun so einerseits sehen, dass die „innere Structur“, die Zusammensetzung aus bestimmt angeordneten Theilen, durchaus keine ausschliessliche Eigenschaft des Organismus ist, so müssen wir zwei- tens andererseits hervorheben, dass es auch vollkommen homogene Organismen giebt, solche nämlich, welche, für unsere Hilfsmittel wenigstens, als durchaus homogene und structurlose Körper erschei- nen. Dahin gehören mehrere, schon seit längerer Zeit bekannte, so- genannte „Amoeben“, nämlich diejenigen einfachsten Amoeben-Formen, welche, ohne Kern und ohne contractile Blase, bloss einen structur- losen contractilen Eiweissklumpen darstellen. Insofern diese durchaus homogenen Amoeben, die sich durch Diosmose ernähren und durch Theilung fortpflanzen, selbstständige „Species“ darstellen, wollen wir dieselben als „Protamoeba“, von den eigentlichen, mit Kern und contractiler Blase versehenen Amoeben unterscheiden. 1) Ferner ge- 1) Nachdem ich bei dem Protogenes primordialis, einem vollkommen homogenen Plasmaklumpen, den ich im Frühjahr 1864 im Mittelmeere bei Villa- franca unweit Nizza beobachtet, die einfache Fortpflanzung durch Theilung nach- gewiesen hatte, gelang es mir auch bei einem kleinen amoebenförmigen Wesen ohne Kern und ohne contractile Blase, welches ich schon früher in einem kleinen Tümpel bei Jena beobachtet hatte, denselben Vorgang festzustellen. Dieser lebende, vollkommen structurlose Plasmaklumpen, welcher Protamoeba primi- tiva heissen mag, von ungefähr 0,03—0,05 Mm. Durchmesser, gleicht im Habitus und äusserer Form ziemlich der von Auerbach (Zeitschr. für wissensch. Zool. 1856. Vol. VII. Tab. XXII., Fig. 11—16) beschriebenen und abgebildeten Amoeba timax. Kern und contractile Blase, welche letztere besitzt, fehlen aber vollständig. Auch bei der stärksten Vergrösserung war ich bei allen be- obachteten Individuen nicht im Stande, in dem vollkommen homogenen Plasma etwas Anderes zu entdecken als bei vielen Individuen (aber nicht bei allen!) eine grössere oder kleinere Anzahl fettglänzender, in Essigsäure nicht löslicher Körnchen, welche entweder zufällig oder als Nahrung aus dem umgebenden fei- nen Schlamme, der viele zersetzte organische Stoffe enthielt, aufgenommen waren. Die structurlose Substanz der contractilen formlosen Körperchen war sehr blass, zart contourirt, schwach lichtbrechend. Die Bewegungen waren sehr

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/172>, abgerufen am 26.11.2024.