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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Organismen und Anorgane.
zustände in Theilen des Körpers vieler Organismen eben so rein, wie
in den Anorganen vorkommen, und dass einer davon, nämlich der
flüssige, in allen lebenden Organismen ohne Ausnahme allgemein ver-
breitet ist. Die eigenthümlichen Bewegungs-Erscheinungen, welche wir
unter dem Collectivnamen des Lebens zusammenfassen, können nur
durch Mitwirkung dieses Aggregatzustandes zu Stande kommen und
wir können daher den tropfbar flüssigen Zustand mindestens eines
Theils der Materie als ein für alle Organismen nothwendiges Er-
forderniss bezeichnen. Die Hohlräume, welche diese für den Trans-
port der Theilchen beim Stoffwechsel unentbehrlichen Flüssigkeiten
einschliessen, sind theils (bei den höheren Thieren) besondere Gefässe
(Blutgefässe, Wassergefässe, Leibeshöhle etc., theils wandungslose
Hohlräume zwischen den Elementartheilen und im Inneren derselben
(Vacuolen in den Plastiden etc.). Ausser dem rein tropfbaren kommt
nun ferner auch der feste und der gasförmige Aggregatzustand voll-
kommen rein im Körper vieler (nicht aller!) Organismen vor. Zu den
absolut festen Theilen der Organismen können wir z. B. die Otolithen
im Gehörorgan, ferner die reinen Kieselskelete und die Skelete aus
kohlensaurem Kalke rechnen, welche bei vielen wirbellosen Thieren,
sowie die Krystalle, welche sich in vielen Pflanzen vorfinden. Ebenso
kommen Gase in elastisch-flüssiger Form (nicht aufgelöst) im Körper
vieler Organismen vor, entweder mit der Aussenwelt unmittelbar com-
municirend (z. B. in den Lungen, Luftröhren, in den pneumatischen
Knochenhöhlen der Vögel etc.) oder in besonderen Räumen abge-
schlossen (z. B. in der Luftblase der Siphonophoren, der Schwimm-
blase vieler Fische, den Gefässen der Pflanzen etc.)

Ausser diesen drei Aggregatzuständen, welche also in belebten,
wie in leblosen Naturkörpern gleicherweise vorkommen, zeichnen sich
nun aber die Organismen noch durch einen vierten Aggregatzustand
aus, welcher einem Theile der Kohlenstoff-Verbindungen ausschliess-
lich eigenthümlich ist und in den Anorganen nicht vorkommt, und
welchen wir als festflüssigen oder gequollenen Aggregatzu-
stand
bezeichnen können. Es bildet dieser Zustand, wie schon der
Name sagt, eine eigenthümliche Mittelbildung zwischen dem festen
und flüssigen Zustand und ist in der That aus einer Verbindung beider
hervorgegangen. Er kömmt dadurch zu Stande, dass Flüssigkeit in
bestimmter (innerhalb gewisser Grenzen eingeschlossener) Quantität
zwischen die Moleküle eines festen Körpers (einer Kohlenstoff-Verbin-
dung) eindringt und dessen Intermolekularräume erfüllt. Diese Zwi-
schenräume sind in denjenigen organischen Materien, welche einer sol-
chen Flüssigkeitsaufnahme (Quellung oder Imbibition) fähig sind, offen-
bar von anderer Beschaffenheit, als bei denjenigen einfacheren organi-
schen Verbindungen, welche, gleich allen anorganischen Verbindungen,

Organismen und Anorgane.
zustände in Theilen des Körpers vieler Organismen eben so rein, wie
in den Anorganen vorkommen, und dass einer davon, nämlich der
flüssige, in allen lebenden Organismen ohne Ausnahme allgemein ver-
breitet ist. Die eigenthümlichen Bewegungs-Erscheinungen, welche wir
unter dem Collectivnamen des Lebens zusammenfassen, können nur
durch Mitwirkung dieses Aggregatzustandes zu Stande kommen und
wir können daher den tropfbar flüssigen Zustand mindestens eines
Theils der Materie als ein für alle Organismen nothwendiges Er-
forderniss bezeichnen. Die Hohlräume, welche diese für den Trans-
port der Theilchen beim Stoffwechsel unentbehrlichen Flüssigkeiten
einschliessen, sind theils (bei den höheren Thieren) besondere Gefässe
(Blutgefässe, Wassergefässe, Leibeshöhle etc., theils wandungslose
Hohlräume zwischen den Elementartheilen und im Inneren derselben
(Vacuolen in den Plastiden etc.). Ausser dem rein tropfbaren kommt
nun ferner auch der feste und der gasförmige Aggregatzustand voll-
kommen rein im Körper vieler (nicht aller!) Organismen vor. Zu den
absolut festen Theilen der Organismen können wir z. B. die Otolithen
im Gehörorgan, ferner die reinen Kieselskelete und die Skelete aus
kohlensaurem Kalke rechnen, welche bei vielen wirbellosen Thieren,
sowie die Krystalle, welche sich in vielen Pflanzen vorfinden. Ebenso
kommen Gase in elastisch-flüssiger Form (nicht aufgelöst) im Körper
vieler Organismen vor, entweder mit der Aussenwelt unmittelbar com-
municirend (z. B. in den Lungen, Luftröhren, in den pneumatischen
Knochenhöhlen der Vögel etc.) oder in besonderen Räumen abge-
schlossen (z. B. in der Luftblase der Siphonophoren, der Schwimm-
blase vieler Fische, den Gefässen der Pflanzen etc.)

Ausser diesen drei Aggregatzuständen, welche also in belebten,
wie in leblosen Naturkörpern gleicherweise vorkommen, zeichnen sich
nun aber die Organismen noch durch einen vierten Aggregatzustand
aus, welcher einem Theile der Kohlenstoff-Verbindungen ausschliess-
lich eigenthümlich ist und in den Anorganen nicht vorkommt, und
welchen wir als festflüssigen oder gequollenen Aggregatzu-
stand
bezeichnen können. Es bildet dieser Zustand, wie schon der
Name sagt, eine eigenthümliche Mittelbildung zwischen dem festen
und flüssigen Zustand und ist in der That aus einer Verbindung beider
hervorgegangen. Er kömmt dadurch zu Stande, dass Flüssigkeit in
bestimmter (innerhalb gewisser Grenzen eingeschlossener) Quantität
zwischen die Moleküle eines festen Körpers (einer Kohlenstoff-Verbin-
dung) eindringt und dessen Intermolekularräume erfüllt. Diese Zwi-
schenräume sind in denjenigen organischen Materien, welche einer sol-
chen Flüssigkeitsaufnahme (Quellung oder Imbibition) fähig sind, offen-
bar von anderer Beschaffenheit, als bei denjenigen einfacheren organi-
schen Verbindungen, welche, gleich allen anorganischen Verbindungen,

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[124/0163] Organismen und Anorgane. zustände in Theilen des Körpers vieler Organismen eben so rein, wie in den Anorganen vorkommen, und dass einer davon, nämlich der flüssige, in allen lebenden Organismen ohne Ausnahme allgemein ver- breitet ist. Die eigenthümlichen Bewegungs-Erscheinungen, welche wir unter dem Collectivnamen des Lebens zusammenfassen, können nur durch Mitwirkung dieses Aggregatzustandes zu Stande kommen und wir können daher den tropfbar flüssigen Zustand mindestens eines Theils der Materie als ein für alle Organismen nothwendiges Er- forderniss bezeichnen. Die Hohlräume, welche diese für den Trans- port der Theilchen beim Stoffwechsel unentbehrlichen Flüssigkeiten einschliessen, sind theils (bei den höheren Thieren) besondere Gefässe (Blutgefässe, Wassergefässe, Leibeshöhle etc., theils wandungslose Hohlräume zwischen den Elementartheilen und im Inneren derselben (Vacuolen in den Plastiden etc.). Ausser dem rein tropfbaren kommt nun ferner auch der feste und der gasförmige Aggregatzustand voll- kommen rein im Körper vieler (nicht aller!) Organismen vor. Zu den absolut festen Theilen der Organismen können wir z. B. die Otolithen im Gehörorgan, ferner die reinen Kieselskelete und die Skelete aus kohlensaurem Kalke rechnen, welche bei vielen wirbellosen Thieren, sowie die Krystalle, welche sich in vielen Pflanzen vorfinden. Ebenso kommen Gase in elastisch-flüssiger Form (nicht aufgelöst) im Körper vieler Organismen vor, entweder mit der Aussenwelt unmittelbar com- municirend (z. B. in den Lungen, Luftröhren, in den pneumatischen Knochenhöhlen der Vögel etc.) oder in besonderen Räumen abge- schlossen (z. B. in der Luftblase der Siphonophoren, der Schwimm- blase vieler Fische, den Gefässen der Pflanzen etc.) Ausser diesen drei Aggregatzuständen, welche also in belebten, wie in leblosen Naturkörpern gleicherweise vorkommen, zeichnen sich nun aber die Organismen noch durch einen vierten Aggregatzustand aus, welcher einem Theile der Kohlenstoff-Verbindungen ausschliess- lich eigenthümlich ist und in den Anorganen nicht vorkommt, und welchen wir als festflüssigen oder gequollenen Aggregatzu- stand bezeichnen können. Es bildet dieser Zustand, wie schon der Name sagt, eine eigenthümliche Mittelbildung zwischen dem festen und flüssigen Zustand und ist in der That aus einer Verbindung beider hervorgegangen. Er kömmt dadurch zu Stande, dass Flüssigkeit in bestimmter (innerhalb gewisser Grenzen eingeschlossener) Quantität zwischen die Moleküle eines festen Körpers (einer Kohlenstoff-Verbin- dung) eindringt und dessen Intermolekularräume erfüllt. Diese Zwi- schenräume sind in denjenigen organischen Materien, welche einer sol- chen Flüssigkeitsaufnahme (Quellung oder Imbibition) fähig sind, offen- bar von anderer Beschaffenheit, als bei denjenigen einfacheren organi- schen Verbindungen, welche, gleich allen anorganischen Verbindungen,

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/163>, abgerufen am 25.11.2024.