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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Organismen und Anorgane.
wöhnlich nicht den sich unmittelbar ergebenden Schluss zieht, dass
bei der qualitativen Identität der Elementarstoffe, welche die Anorgane
und die Organismen zusammensetzen, auch die fundamentalen Kräfte
oder Functionen in beiden Klassen von Naturkörpern nicht qualitativ
verschieden sein werden. Aus der Nichtexistenz eines beson-
deren Lebensstoffes wird daher der Monismus schon die Nicht-
existenz einer besonderen Lebenskraft folgern müssen
. Wie
man nun in Folge unserer vorgeschrittenen chemischen Kenntnisse die
frühere Annahme, dass besondere den Organismen eigenthümliche und
ausserhalb derselben nicht vorkommende chemische Elemente, beson-
dere "Lebensstoffe", die organischen Körper zusammensetzen und deren
Lebenserscheinungen zu Grunde liegen, jetzt allgemein verlassen hat,
so wird man ebenso nothwendig die auf gleich unvollständige Erkennt-
niss gegründete Hypothese fallen lassen müssen, dass es besondere
"Lebenskräfte" sind, welche die Formen, wie die Functionen der Or-
ganismen bedingen.

Von den unzerlegbaren chemischen Elementen, welche bis jetzt
auf unserer Erde gefunden worden sind, und deren Zahl sich bereits
auf mehr als sechzig beläuft, ist nur ungefähr der dritte Theil im
Körper der Organismen aufgefunden. Und von diesen ungefähr zwan-
zig chemischen Elementarstoffen ist es wiederum nur etwa die Hälfte,
welche allgemein verbreitet und in grösserer Menge in den organischen
Körpern vorkommt. Bekanntlich sind es vor Allen die vier Elemente:
Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff, die vorzugsweise die
sogenannten organischen Verbindungen im engeren Sinne zusammen-
setzen, und die man desshalb auch als "Organogene" besonders her-
vorgehoben hat. An der Spitze derselben steht der Kohlenstoff,
dessen merkwürdige physikalische und chemische Eigenthümlichkeiten
wir als die letzte Ursache aller der eigenthümlichen Functionen und
Formen zu betrachten haben, welche die Organismen vor den An-
organen auszeichnen. An diese vier organogenen Elemente schliesst
sich dann zunächst Schwefel und Phosphor an. Von den übrigen
Elementen sind Chlor, Kalium, Natrium, Calcium und demnächst Eisen
und Kiesel am weitesten verbreitet. Viel seltener und meist nur in
sehr kleinen Quantitäten kommen Jod, Brom, Fluor, Magnium, Alu-
minium, Manganium, Strontium, Lithium und einige andere seltene Ur-
stoffe in den Organismen vor.

I) 3. Verbindungen der Elemente zu organischen und
anorganischen Materien
.

Nachdem die Chemie nachgewiesen hatte, dass alle chemischen
Grundstoffe oder Elemente, welche den Körper der Organismen zu-
sammensetzen, sich auch ausserhalb desselben, in der anorganischen
Natur vorfinden, dass mithin kein besonderes "organisches Element"

Organismen und Anorgane.
wöhnlich nicht den sich unmittelbar ergebenden Schluss zieht, dass
bei der qualitativen Identität der Elementarstoffe, welche die Anorgane
und die Organismen zusammensetzen, auch die fundamentalen Kräfte
oder Functionen in beiden Klassen von Naturkörpern nicht qualitativ
verschieden sein werden. Aus der Nichtexistenz eines beson-
deren Lebensstoffes wird daher der Monismus schon die Nicht-
existenz einer besonderen Lebenskraft folgern müssen
. Wie
man nun in Folge unserer vorgeschrittenen chemischen Kenntnisse die
frühere Annahme, dass besondere den Organismen eigenthümliche und
ausserhalb derselben nicht vorkommende chemische Elemente, beson-
dere „Lebensstoffe“, die organischen Körper zusammensetzen und deren
Lebenserscheinungen zu Grunde liegen, jetzt allgemein verlassen hat,
so wird man ebenso nothwendig die auf gleich unvollständige Erkennt-
niss gegründete Hypothese fallen lassen müssen, dass es besondere
„Lebenskräfte“ sind, welche die Formen, wie die Functionen der Or-
ganismen bedingen.

Von den unzerlegbaren chemischen Elementen, welche bis jetzt
auf unserer Erde gefunden worden sind, und deren Zahl sich bereits
auf mehr als sechzig beläuft, ist nur ungefähr der dritte Theil im
Körper der Organismen aufgefunden. Und von diesen ungefähr zwan-
zig chemischen Elementarstoffen ist es wiederum nur etwa die Hälfte,
welche allgemein verbreitet und in grösserer Menge in den organischen
Körpern vorkommt. Bekanntlich sind es vor Allen die vier Elemente:
Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff, die vorzugsweise die
sogenannten organischen Verbindungen im engeren Sinne zusammen-
setzen, und die man desshalb auch als „Organogene“ besonders her-
vorgehoben hat. An der Spitze derselben steht der Kohlenstoff,
dessen merkwürdige physikalische und chemische Eigenthümlichkeiten
wir als die letzte Ursache aller der eigenthümlichen Functionen und
Formen zu betrachten haben, welche die Organismen vor den An-
organen auszeichnen. An diese vier organogenen Elemente schliesst
sich dann zunächst Schwefel und Phosphor an. Von den übrigen
Elementen sind Chlor, Kalium, Natrium, Calcium und demnächst Eisen
und Kiesel am weitesten verbreitet. Viel seltener und meist nur in
sehr kleinen Quantitäten kommen Jod, Brom, Fluor, Magnium, Alu-
minium, Manganium, Strontium, Lithium und einige andere seltene Ur-
stoffe in den Organismen vor.

I) 3. Verbindungen der Elemente zu organischen und
anorganischen Materien
.

Nachdem die Chemie nachgewiesen hatte, dass alle chemischen
Grundstoffe oder Elemente, welche den Körper der Organismen zu-
sammensetzen, sich auch ausserhalb desselben, in der anorganischen
Natur vorfinden, dass mithin kein besonderes „organisches Element“

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[118/0157] Organismen und Anorgane. wöhnlich nicht den sich unmittelbar ergebenden Schluss zieht, dass bei der qualitativen Identität der Elementarstoffe, welche die Anorgane und die Organismen zusammensetzen, auch die fundamentalen Kräfte oder Functionen in beiden Klassen von Naturkörpern nicht qualitativ verschieden sein werden. Aus der Nichtexistenz eines beson- deren Lebensstoffes wird daher der Monismus schon die Nicht- existenz einer besonderen Lebenskraft folgern müssen. Wie man nun in Folge unserer vorgeschrittenen chemischen Kenntnisse die frühere Annahme, dass besondere den Organismen eigenthümliche und ausserhalb derselben nicht vorkommende chemische Elemente, beson- dere „Lebensstoffe“, die organischen Körper zusammensetzen und deren Lebenserscheinungen zu Grunde liegen, jetzt allgemein verlassen hat, so wird man ebenso nothwendig die auf gleich unvollständige Erkennt- niss gegründete Hypothese fallen lassen müssen, dass es besondere „Lebenskräfte“ sind, welche die Formen, wie die Functionen der Or- ganismen bedingen. Von den unzerlegbaren chemischen Elementen, welche bis jetzt auf unserer Erde gefunden worden sind, und deren Zahl sich bereits auf mehr als sechzig beläuft, ist nur ungefähr der dritte Theil im Körper der Organismen aufgefunden. Und von diesen ungefähr zwan- zig chemischen Elementarstoffen ist es wiederum nur etwa die Hälfte, welche allgemein verbreitet und in grösserer Menge in den organischen Körpern vorkommt. Bekanntlich sind es vor Allen die vier Elemente: Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff, die vorzugsweise die sogenannten organischen Verbindungen im engeren Sinne zusammen- setzen, und die man desshalb auch als „Organogene“ besonders her- vorgehoben hat. An der Spitze derselben steht der Kohlenstoff, dessen merkwürdige physikalische und chemische Eigenthümlichkeiten wir als die letzte Ursache aller der eigenthümlichen Functionen und Formen zu betrachten haben, welche die Organismen vor den An- organen auszeichnen. An diese vier organogenen Elemente schliesst sich dann zunächst Schwefel und Phosphor an. Von den übrigen Elementen sind Chlor, Kalium, Natrium, Calcium und demnächst Eisen und Kiesel am weitesten verbreitet. Viel seltener und meist nur in sehr kleinen Quantitäten kommen Jod, Brom, Fluor, Magnium, Alu- minium, Manganium, Strontium, Lithium und einige andere seltene Ur- stoffe in den Organismen vor. I) 3. Verbindungen der Elemente zu organischen und anorganischen Materien. Nachdem die Chemie nachgewiesen hatte, dass alle chemischen Grundstoffe oder Elemente, welche den Körper der Organismen zu- sammensetzen, sich auch ausserhalb desselben, in der anorganischen Natur vorfinden, dass mithin kein besonderes „organisches Element“

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/157>, abgerufen am 25.11.2024.