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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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V. Teleologie und Causalität.
Ursachen beherrscht und von ihnen unabhängig ist, Alles das ist in
der That weiter nichts, als die nothwendige Folge der Wechselwir-
kung zwischen den existirenden mechanischen Ursachen (den "existing
causes
" oder den physikalisch-chemischen Ursachen), ist nichts, als
die nothwendige Wirkung mehrerer Causae efficientes. 1)

Dass in der That freie zweckthätige Ursachen oder Causae finales
in der gesammten Natur nicht existiren, dass vielmehr überall nur
nothwendige mechanische Ursachen thätig sind, wird durch die Ge-
sammtheit aller Erscheinungen in der organischen und anorganischen
Natur auf das Unwiderleglichste bewiesen. Unter allen biologischen
Erscheinungsreihen ist aber in dieser Beziehung keine von so ausser-
ordentlicher Wichtigkeit, und dabei bisher so gänzlich fast von allen
Philosophen und Naturforschern vernachlässigt, als die Wissen-
schaft von den rudimentären Organen,
welche wir geradezu die

1) Die hochwichtige Erkenntniss von der allgemeinen Gültigkeit des einfachen
Causalgesetzes in der gesammten Natur, von der nothwendigen Consequenz der
causae efficientes in den Organismen, wie in den Anorganen, ist durch Nichts
so sehr hintertrieben und umgangen worden, als durch die aprioristischen Spe-
culationen der nicht empirisch gebildeten Philosophen, welche von vollkommen
willkührlich aufgestellten Praemissen und von ganz unzureichenden Erfahrungen
ausgehend, in der gesammten organischen Natur überall "Zwecke" entdecken
wollten, und dabei in der Regel von der Vergleichung des Organismus mit einer
vom Menschen künstlich construirten Maschine ausgingen. Die Harmonie der
Theile, das Wechselverhältniss derselben zum Ganzen, welches bei der künstlich
construirten Maschine durch die bewusste Zweckthätigkeit menschlichen Verstan-
des und Willens erzielt wird, das sollte in den durch "natürliche Zweckmässig-
keit" entstehenden Organismen von einem der letzteren anolog wirkenden zweck-
thätigen Principe bewirkt werden. Sobald man dieses Princip, die Lebenskraft etc.,
in seiner Wirksamkeit näher zu bestimmen suchte, musste man natürlich immer
tiefer in den groben Anthropomorphismus hineinsinken, auf dem dieser
ganze Vergleich beruht. Ausserdem wurde aber eine grundfalsche Folgerung in
denselben noch dadurch hineingebracht, dass man von der gänzlich unberechtig-
ten und durch keine Erfahrung bewiesenen Annahme eines freien Willens beim Men-
schen ausging. Und doch musste jede einigermaassen aufrichtige und tiefer
gehende Selbstprüfung zeigen, dass ein freier Wille nicht existirt, und
dass jede scheinbar freie Willenshandlung, auch die einfachste, das absolut noth-
wendige Resultat aus der höchst complicirten Zusammenwirkung zahlreicher
verschiedener Factoren ist. Jeder dieser Factoren ist abermals ein absolut
nothwendiges Resultat aus dem complicirten Zusammenwirken vieler anderer Fac-
toren (wirkender Ursachen) u. s. w. Wenn wir die unabsehbare Kette dieser
mechanischen, mit Nothwendigkeit wirkenden Ursachen bis auf ihren ersten Ur-
sprung zu verfolgen suchen, so gelangen wir endlich zu zweierlei verschiedenen
Grundursachen, nämlich einmal den erblichen, d. h. den eigenen, der Materie
des Organismus ursprünglich inhärenten, und sodann zu den fremden, welche der
Organismus durch Anpassung, durch Wechselwirkung mit seiner Umgebung, er-
worben hat. Vergl. V. Buch.)
7*

V. Teleologie und Causalität.
Ursachen beherrscht und von ihnen unabhängig ist, Alles das ist in
der That weiter nichts, als die nothwendige Folge der Wechselwir-
kung zwischen den existirenden mechanischen Ursachen (den „existing
causes
“ oder den physikalisch-chemischen Ursachen), ist nichts, als
die nothwendige Wirkung mehrerer Causae efficientes. 1)

Dass in der That freie zweckthätige Ursachen oder Causae finales
in der gesammten Natur nicht existiren, dass vielmehr überall nur
nothwendige mechanische Ursachen thätig sind, wird durch die Ge-
sammtheit aller Erscheinungen in der organischen und anorganischen
Natur auf das Unwiderleglichste bewiesen. Unter allen biologischen
Erscheinungsreihen ist aber in dieser Beziehung keine von so ausser-
ordentlicher Wichtigkeit, und dabei bisher so gänzlich fast von allen
Philosophen und Naturforschern vernachlässigt, als die Wissen-
schaft von den rudimentären Organen,
welche wir geradezu die

1) Die hochwichtige Erkenntniss von der allgemeinen Gültigkeit des einfachen
Causalgesetzes in der gesammten Natur, von der nothwendigen Consequenz der
causae efficientes in den Organismen, wie in den Anorganen, ist durch Nichts
so sehr hintertrieben und umgangen worden, als durch die aprioristischen Spe-
culationen der nicht empirisch gebildeten Philosophen, welche von vollkommen
willkührlich aufgestellten Praemissen und von ganz unzureichenden Erfahrungen
ausgehend, in der gesammten organischen Natur überall „Zwecke“ entdecken
wollten, und dabei in der Regel von der Vergleichung des Organismus mit einer
vom Menschen künstlich construirten Maschine ausgingen. Die Harmonie der
Theile, das Wechselverhältniss derselben zum Ganzen, welches bei der künstlich
construirten Maschine durch die bewusste Zweckthätigkeit menschlichen Verstan-
des und Willens erzielt wird, das sollte in den durch „natürliche Zweckmässig-
keit“ entstehenden Organismen von einem der letzteren anolog wirkenden zweck-
thätigen Principe bewirkt werden. Sobald man dieses Princip, die Lebenskraft etc.,
in seiner Wirksamkeit näher zu bestimmen suchte, musste man natürlich immer
tiefer in den groben Anthropomorphismus hineinsinken, auf dem dieser
ganze Vergleich beruht. Ausserdem wurde aber eine grundfalsche Folgerung in
denselben noch dadurch hineingebracht, dass man von der gänzlich unberechtig-
ten und durch keine Erfahrung bewiesenen Annahme eines freien Willens beim Men-
schen ausging. Und doch musste jede einigermaassen aufrichtige und tiefer
gehende Selbstprüfung zeigen, dass ein freier Wille nicht existirt, und
dass jede scheinbar freie Willenshandlung, auch die einfachste, das absolut noth-
wendige Resultat aus der höchst complicirten Zusammenwirkung zahlreicher
verschiedener Factoren ist. Jeder dieser Factoren ist abermals ein absolut
nothwendiges Resultat aus dem complicirten Zusammenwirken vieler anderer Fac-
toren (wirkender Ursachen) u. s. w. Wenn wir die unabsehbare Kette dieser
mechanischen, mit Nothwendigkeit wirkenden Ursachen bis auf ihren ersten Ur-
sprung zu verfolgen suchen, so gelangen wir endlich zu zweierlei verschiedenen
Grundursachen, nämlich einmal den erblichen, d. h. den eigenen, der Materie
des Organismus ursprünglich inhärenten, und sodann zu den fremden, welche der
Organismus durch Anpassung, durch Wechselwirkung mit seiner Umgebung, er-
worben hat. Vergl. V. Buch.)
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[99/0138] V. Teleologie und Causalität. Ursachen beherrscht und von ihnen unabhängig ist, Alles das ist in der That weiter nichts, als die nothwendige Folge der Wechselwir- kung zwischen den existirenden mechanischen Ursachen (den „existing causes“ oder den physikalisch-chemischen Ursachen), ist nichts, als die nothwendige Wirkung mehrerer Causae efficientes. 1) Dass in der That freie zweckthätige Ursachen oder Causae finales in der gesammten Natur nicht existiren, dass vielmehr überall nur nothwendige mechanische Ursachen thätig sind, wird durch die Ge- sammtheit aller Erscheinungen in der organischen und anorganischen Natur auf das Unwiderleglichste bewiesen. Unter allen biologischen Erscheinungsreihen ist aber in dieser Beziehung keine von so ausser- ordentlicher Wichtigkeit, und dabei bisher so gänzlich fast von allen Philosophen und Naturforschern vernachlässigt, als die Wissen- schaft von den rudimentären Organen, welche wir geradezu die 1) Die hochwichtige Erkenntniss von der allgemeinen Gültigkeit des einfachen Causalgesetzes in der gesammten Natur, von der nothwendigen Consequenz der causae efficientes in den Organismen, wie in den Anorganen, ist durch Nichts so sehr hintertrieben und umgangen worden, als durch die aprioristischen Spe- culationen der nicht empirisch gebildeten Philosophen, welche von vollkommen willkührlich aufgestellten Praemissen und von ganz unzureichenden Erfahrungen ausgehend, in der gesammten organischen Natur überall „Zwecke“ entdecken wollten, und dabei in der Regel von der Vergleichung des Organismus mit einer vom Menschen künstlich construirten Maschine ausgingen. Die Harmonie der Theile, das Wechselverhältniss derselben zum Ganzen, welches bei der künstlich construirten Maschine durch die bewusste Zweckthätigkeit menschlichen Verstan- des und Willens erzielt wird, das sollte in den durch „natürliche Zweckmässig- keit“ entstehenden Organismen von einem der letzteren anolog wirkenden zweck- thätigen Principe bewirkt werden. Sobald man dieses Princip, die Lebenskraft etc., in seiner Wirksamkeit näher zu bestimmen suchte, musste man natürlich immer tiefer in den groben Anthropomorphismus hineinsinken, auf dem dieser ganze Vergleich beruht. Ausserdem wurde aber eine grundfalsche Folgerung in denselben noch dadurch hineingebracht, dass man von der gänzlich unberechtig- ten und durch keine Erfahrung bewiesenen Annahme eines freien Willens beim Men- schen ausging. Und doch musste jede einigermaassen aufrichtige und tiefer gehende Selbstprüfung zeigen, dass ein freier Wille nicht existirt, und dass jede scheinbar freie Willenshandlung, auch die einfachste, das absolut noth- wendige Resultat aus der höchst complicirten Zusammenwirkung zahlreicher verschiedener Factoren ist. Jeder dieser Factoren ist abermals ein absolut nothwendiges Resultat aus dem complicirten Zusammenwirken vieler anderer Fac- toren (wirkender Ursachen) u. s. w. Wenn wir die unabsehbare Kette dieser mechanischen, mit Nothwendigkeit wirkenden Ursachen bis auf ihren ersten Ur- sprung zu verfolgen suchen, so gelangen wir endlich zu zweierlei verschiedenen Grundursachen, nämlich einmal den erblichen, d. h. den eigenen, der Materie des Organismus ursprünglich inhärenten, und sodann zu den fremden, welche der Organismus durch Anpassung, durch Wechselwirkung mit seiner Umgebung, er- worben hat. Vergl. V. Buch.) 7*

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/138>, abgerufen am 23.11.2024.