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Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866.

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Methodik der Morphologie der Organismen.
einerseits durchaus nicht um scharfe Fassung der leitenden Principien
bekümmert, andererseits selbst die allgemeinsten und bekanntesten
Anforderungen der Philosophie hintangesetzt hat, weil bei dem wei-
ten Abstande ihrer allgemeinen Aussprüche von den Einzelheiten, mit
denen sich die empirischen Naturwissenschaften beschäftigen, die Noth-
wendigkeit ihrer Anwendung sich der unmittelbaren Auffassung entzog.
So sind gar viele Arbeiter in dieser Beziehung durchaus nicht mit ihrer
Aufgabe verständigt, und die Fortschritte in der Wissenschaft hängen
oft rein vom Zufall ab." Schleiden (Grundzüge der wissenschaftlichen
Botanik. "§. 3. Methodik oder über die Mittel zur Lösung der Aufgaben
in der Botanik.")

Wir erlauben uns, dieses methodologische Capitel, welches die
Mittel und Wege zur Lösung unserer morphologischen Aufgaben zeigen
soll, mit zwei vortrefflichen Aussprüchen von den beiden grössten Mor-
phologen einzuleiten, welche im fünften Decennium unseres Jahrhun-
derts die organische Naturwissenschaft in Deutschland beherrschten.
Wie Johannes Müller für die Zoologie, so hat Schleiden damals
für die Botanik mit der klarsten Bestimmtheit den Weg gewiesen, wel-
cher uns allein auf dem Gebiete der Biologie, und insbesondere auf
dem der Morphologie, zu dem Ziele unserer Wissenschaft hinzuführen
vermag. Dieser einzig mögliche Weg kann natürlich kein anderer
sein, als derjenige, welcher für alle Naturwissenschaften -- oder, was
dasselbe ist, für alle wahren Wissenschaften -- ausschliessliche
Gültigkeit hat. Es ist dies der Weg der denkenden Erfahrung,
der Weg der philosophischen Empirie. Wir könnten ihn ebenso
gut als den Weg des erfahrungsmässigen Denkens, den Weg der
empirischen Philosophie bezeichnen.

Absichtlich stellen wir die bedeutenden Aussprüche dieser beiden
grossen "empirischen und exacten" Naturforscher an die Spitze dieses
methodologischen Capitels, weil wir dadurch hoffen, die Aufmerksam-
keit der heutigen Morphologen und der Biologen überhaupt intensiver
auf einen Punkt zu lenken, der nach unserer innigsten Ueberzeugung
für den Fortschritt der gesammten Biologie, und der Morphologie ins-
besondere, von der allergrössten Bedeutung ist, der aber gerade im
gegenwärtigen Zeitpunkte in demselben Maasse von den allermeisten
Naturforschern völlig vernachlässigt wird, als er vor allen anderen hervor-
gehoben zu werden verdiente. Es ist dies die gegenseitige Ergänzung
von Beobachtung und Gedanken, der innige Zusammenhang
von Naturbeschreibung und Naturphilosophie, die nothwen-
dige Wechselwirkung zwischen Empirie und Theorie
.

Einer der grössten Morphologen, den unser deutsches Vaterland
erzeugt hat, der jetzt noch lebende Nestor der deutschen Naturforscher,
Carl Ernst v. Bär, hat dem classischen Werke, durch welches er

Methodik der Morphologie der Organismen.
einerseits durchaus nicht um scharfe Fassung der leitenden Principien
bekümmert, andererseits selbst die allgemeinsten und bekanntesten
Anforderungen der Philosophie hintangesetzt hat, weil bei dem wei-
ten Abstande ihrer allgemeinen Aussprüche von den Einzelheiten, mit
denen sich die empirischen Naturwissenschaften beschäftigen, die Noth-
wendigkeit ihrer Anwendung sich der unmittelbaren Auffassung entzog.
So sind gar viele Arbeiter in dieser Beziehung durchaus nicht mit ihrer
Aufgabe verständigt, und die Fortschritte in der Wissenschaft hängen
oft rein vom Zufall ab.“ Schleiden (Grundzüge der wissenschaftlichen
Botanik. „§. 3. Methodik oder über die Mittel zur Lösung der Aufgaben
in der Botanik.“)

Wir erlauben uns, dieses methodologische Capitel, welches die
Mittel und Wege zur Lösung unserer morphologischen Aufgaben zeigen
soll, mit zwei vortrefflichen Aussprüchen von den beiden grössten Mor-
phologen einzuleiten, welche im fünften Decennium unseres Jahrhun-
derts die organische Naturwissenschaft in Deutschland beherrschten.
Wie Johannes Müller für die Zoologie, so hat Schleiden damals
für die Botanik mit der klarsten Bestimmtheit den Weg gewiesen, wel-
cher uns allein auf dem Gebiete der Biologie, und insbesondere auf
dem der Morphologie, zu dem Ziele unserer Wissenschaft hinzuführen
vermag. Dieser einzig mögliche Weg kann natürlich kein anderer
sein, als derjenige, welcher für alle Naturwissenschaften — oder, was
dasselbe ist, für alle wahren Wissenschaften — ausschliessliche
Gültigkeit hat. Es ist dies der Weg der denkenden Erfahrung,
der Weg der philosophischen Empirie. Wir könnten ihn ebenso
gut als den Weg des erfahrungsmässigen Denkens, den Weg der
empirischen Philosophie bezeichnen.

Absichtlich stellen wir die bedeutenden Aussprüche dieser beiden
grossen „empirischen und exacten“ Naturforscher an die Spitze dieses
methodologischen Capitels, weil wir dadurch hoffen, die Aufmerksam-
keit der heutigen Morphologen und der Biologen überhaupt intensiver
auf einen Punkt zu lenken, der nach unserer innigsten Ueberzeugung
für den Fortschritt der gesammten Biologie, und der Morphologie ins-
besondere, von der allergrössten Bedeutung ist, der aber gerade im
gegenwärtigen Zeitpunkte in demselben Maasse von den allermeisten
Naturforschern völlig vernachlässigt wird, als er vor allen anderen hervor-
gehoben zu werden verdiente. Es ist dies die gegenseitige Ergänzung
von Beobachtung und Gedanken, der innige Zusammenhang
von Naturbeschreibung und Naturphilosophie, die nothwen-
dige Wechselwirkung zwischen Empirie und Theorie
.

Einer der grössten Morphologen, den unser deutsches Vaterland
erzeugt hat, der jetzt noch lebende Nestor der deutschen Naturforscher,
Carl Ernst v. Bär, hat dem classischen Werke, durch welches er

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[64/0103] Methodik der Morphologie der Organismen. einerseits durchaus nicht um scharfe Fassung der leitenden Principien bekümmert, andererseits selbst die allgemeinsten und bekanntesten Anforderungen der Philosophie hintangesetzt hat, weil bei dem wei- ten Abstande ihrer allgemeinen Aussprüche von den Einzelheiten, mit denen sich die empirischen Naturwissenschaften beschäftigen, die Noth- wendigkeit ihrer Anwendung sich der unmittelbaren Auffassung entzog. So sind gar viele Arbeiter in dieser Beziehung durchaus nicht mit ihrer Aufgabe verständigt, und die Fortschritte in der Wissenschaft hängen oft rein vom Zufall ab.“ Schleiden (Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik. „§. 3. Methodik oder über die Mittel zur Lösung der Aufgaben in der Botanik.“) Wir erlauben uns, dieses methodologische Capitel, welches die Mittel und Wege zur Lösung unserer morphologischen Aufgaben zeigen soll, mit zwei vortrefflichen Aussprüchen von den beiden grössten Mor- phologen einzuleiten, welche im fünften Decennium unseres Jahrhun- derts die organische Naturwissenschaft in Deutschland beherrschten. Wie Johannes Müller für die Zoologie, so hat Schleiden damals für die Botanik mit der klarsten Bestimmtheit den Weg gewiesen, wel- cher uns allein auf dem Gebiete der Biologie, und insbesondere auf dem der Morphologie, zu dem Ziele unserer Wissenschaft hinzuführen vermag. Dieser einzig mögliche Weg kann natürlich kein anderer sein, als derjenige, welcher für alle Naturwissenschaften — oder, was dasselbe ist, für alle wahren Wissenschaften — ausschliessliche Gültigkeit hat. Es ist dies der Weg der denkenden Erfahrung, der Weg der philosophischen Empirie. Wir könnten ihn ebenso gut als den Weg des erfahrungsmässigen Denkens, den Weg der empirischen Philosophie bezeichnen. Absichtlich stellen wir die bedeutenden Aussprüche dieser beiden grossen „empirischen und exacten“ Naturforscher an die Spitze dieses methodologischen Capitels, weil wir dadurch hoffen, die Aufmerksam- keit der heutigen Morphologen und der Biologen überhaupt intensiver auf einen Punkt zu lenken, der nach unserer innigsten Ueberzeugung für den Fortschritt der gesammten Biologie, und der Morphologie ins- besondere, von der allergrössten Bedeutung ist, der aber gerade im gegenwärtigen Zeitpunkte in demselben Maasse von den allermeisten Naturforschern völlig vernachlässigt wird, als er vor allen anderen hervor- gehoben zu werden verdiente. Es ist dies die gegenseitige Ergänzung von Beobachtung und Gedanken, der innige Zusammenhang von Naturbeschreibung und Naturphilosophie, die nothwen- dige Wechselwirkung zwischen Empirie und Theorie. Einer der grössten Morphologen, den unser deutsches Vaterland erzeugt hat, der jetzt noch lebende Nestor der deutschen Naturforscher, Carl Ernst v. Bär, hat dem classischen Werke, durch welches er

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Zitationshilfe: Haeckel, Erich: Generelle Morphologie der Organismen. Bd. 1. Berlin, 1866, S. 64. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/haeckel_morphologie01_1866/103>, abgerufen am 28.11.2024.