Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Potenzen der Geschichte - da stelle man nur Windfahnen hin; der Wind wird sich auch gleich darnach richten und so wehen, wie es die Fahne haben will. Wahrlich, es ist nichts leichter, als das vergebliche Mühen äußerer und unorganischer Hilfsmittel, um auf diesen oder jenen moralischen Zustand einzuwirken, lächerlich machen; allein das ganze Weltmeer anbieten, wo nur ein Kanal nöthig ist, um verfaultem Gewässer Luft zu machen; die Sterne und die Sonne vom Firmament nehmen, um den von der guten Philanthropie mit einer Laterne gemachten Versuch irgend einer Aufklärung lächerlich zu finden; das nimmt sich zwar im Munde guter Stylisten vortrefflich aus; hat aber gar keinen Werth und führt die Menschen nur dahin, daß sie nichts thun und alles auf die breiten Schultern der Zeit werfen. So ist auch leicht gesagt: Wollt ihr die Verbrecher bessern, so nehmt die Ursachen, die sie dazu machten, weg! Die Hauptsache ist nur die: Wie kommen wir dem ungeheuern gesellschaftlichen Körper bei? Dürfen wir in die Masse hineingreifen und sagen: hier wird etwas umschlagen, da wird etwas zum Verbrechen werden! Jch frage: Wie sollen wir die Reformation aus dem Ganzen und Großen beginnen und ganzen Richtungen des Zeitgeistes einen neuen Charakter geben? Dies ist unmöglich. Dies ist ewig eine Aufgabe, für welche Menschen keine Lösung haben. Was können wir thun? Wir können diejenigen Erscheinungen nur hervorgreifen, Potenzen der Geschichte – da stelle man nur Windfahnen hin; der Wind wird sich auch gleich darnach richten und so wehen, wie es die Fahne haben will. Wahrlich, es ist nichts leichter, als das vergebliche Mühen äußerer und unorganischer Hilfsmittel, um auf diesen oder jenen moralischen Zustand einzuwirken, lächerlich machen; allein das ganze Weltmeer anbieten, wo nur ein Kanal nöthig ist, um verfaultem Gewässer Luft zu machen; die Sterne und die Sonne vom Firmament nehmen, um den von der guten Philanthropie mit einer Laterne gemachten Versuch irgend einer Aufklärung lächerlich zu finden; das nimmt sich zwar im Munde guter Stylisten vortrefflich aus; hat aber gar keinen Werth und führt die Menschen nur dahin, daß sie nichts thun und alles auf die breiten Schultern der Zeit werfen. So ist auch leicht gesagt: Wollt ihr die Verbrecher bessern, so nehmt die Ursachen, die sie dazu machten, weg! Die Hauptsache ist nur die: Wie kommen wir dem ungeheuern gesellschaftlichen Körper bei? Dürfen wir in die Masse hineingreifen und sagen: hier wird etwas umschlagen, da wird etwas zum Verbrechen werden! Jch frage: Wie sollen wir die Reformation aus dem Ganzen und Großen beginnen und ganzen Richtungen des Zeitgeistes einen neuen Charakter geben? Dies ist unmöglich. Dies ist ewig eine Aufgabe, für welche Menschen keine Lösung haben. Was können wir thun? Wir können diejenigen Erscheinungen nur hervorgreifen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0081" n="79"/> Potenzen der <hi rendition="#g">Geschichte</hi> – da stelle man nur Windfahnen hin; der Wind wird sich auch gleich darnach richten und so wehen, wie es die Fahne haben will. Wahrlich, es ist nichts leichter, als das vergebliche Mühen äußerer und unorganischer Hilfsmittel, um auf diesen oder jenen moralischen Zustand einzuwirken, lächerlich machen; allein das ganze Weltmeer anbieten, wo nur ein Kanal nöthig ist, um verfaultem Gewässer Luft zu machen; die Sterne und die Sonne vom Firmament nehmen, um den von der guten Philanthropie mit einer Laterne gemachten Versuch irgend einer Aufklärung lächerlich zu finden; das nimmt sich zwar im Munde guter Stylisten vortrefflich aus; hat aber gar keinen Werth und führt die Menschen nur dahin, daß sie <hi rendition="#g">nichts</hi> thun und alles auf die breiten Schultern der Zeit werfen. So ist auch leicht gesagt: Wollt ihr die Verbrecher bessern, so nehmt die Ursachen, die sie dazu machten, weg! Die Hauptsache ist nur die: Wie kommen wir dem ungeheuern gesellschaftlichen Körper <hi rendition="#g">bei</hi>? Dürfen wir in die Masse hineingreifen und sagen: hier wird etwas umschlagen, da wird etwas zum Verbrechen werden! Jch frage: Wie sollen wir die Reformation aus dem Ganzen und Großen beginnen und ganzen Richtungen des Zeitgeistes einen neuen Charakter geben? Dies ist unmöglich. Dies ist ewig eine Aufgabe, für welche Menschen keine Lösung haben. Was können wir thun? Wir können diejenigen Erscheinungen nur hervorgreifen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [79/0081]
Potenzen der Geschichte – da stelle man nur Windfahnen hin; der Wind wird sich auch gleich darnach richten und so wehen, wie es die Fahne haben will. Wahrlich, es ist nichts leichter, als das vergebliche Mühen äußerer und unorganischer Hilfsmittel, um auf diesen oder jenen moralischen Zustand einzuwirken, lächerlich machen; allein das ganze Weltmeer anbieten, wo nur ein Kanal nöthig ist, um verfaultem Gewässer Luft zu machen; die Sterne und die Sonne vom Firmament nehmen, um den von der guten Philanthropie mit einer Laterne gemachten Versuch irgend einer Aufklärung lächerlich zu finden; das nimmt sich zwar im Munde guter Stylisten vortrefflich aus; hat aber gar keinen Werth und führt die Menschen nur dahin, daß sie nichts thun und alles auf die breiten Schultern der Zeit werfen. So ist auch leicht gesagt: Wollt ihr die Verbrecher bessern, so nehmt die Ursachen, die sie dazu machten, weg! Die Hauptsache ist nur die: Wie kommen wir dem ungeheuern gesellschaftlichen Körper bei? Dürfen wir in die Masse hineingreifen und sagen: hier wird etwas umschlagen, da wird etwas zum Verbrechen werden! Jch frage: Wie sollen wir die Reformation aus dem Ganzen und Großen beginnen und ganzen Richtungen des Zeitgeistes einen neuen Charakter geben? Dies ist unmöglich. Dies ist ewig eine Aufgabe, für welche Menschen keine Lösung haben. Was können wir thun? Wir können diejenigen Erscheinungen nur hervorgreifen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/81 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/81>, abgerufen am 16.02.2025. |