Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Esprit sich mit keinen Waffen vertheidigen können. Diese Konsequenzen und Winkelzüge, wie wir hier eben ein Beispiel geliefert haben, sind die rechte Frivolität unsres Jahrhunderts, so verschieden von der des vergangenen. Jene altfränkische Frivolität riß ein und zerstörte nur durch ihren Witz. Die moderne aber gibt sich den Schein, aufzubauen, den Schein des Dogmas ohne den Glauben daran, den Schein der historischen Begründung, des Kampfes gegen die nüchterne Aufklärung ohne Rath, Willen, Meinung, ohne eine den positiven Verhältnissen, in welchen wir leben, irgend wie zugebrachte faktische Hilfe. Jn der Doktrine liegt die Frivolität; denn frivol ist Alles, was zu nichtigen Zwecken und zu Täuschungen einen Aufwand geistiger Kräfte verbraucht; frivol ist der Mysticismus, wenn er auf eine bloße gemüthliche Behaglichkeit und eine halsstarrige Opposition gegen die Fortschritte des Jahrhunderts begründet ist; frivol ist das Mittelalter, welches ohne Fug und Grund wieder eingesezt werden soll; frivol ist der politische Absolutismus, der sich auf die Theorie der Legitimität und göttlichen Einsetzung beruft; frivol ist alle unüberlegte Geistesentwickelung, wenn sie nicht durch die Gesinnung unserer Zeit und durch das Streben nach wahrhafter Humanität gemildert und näher bestimmt wird. Wer möchte in Abrede stellen, daß es besser wäre, die Verbrecher entstünden gar nicht, als daß wir uns nachher die Mühe gäben, sie zu verbessern, zur Reue Esprit sich mit keinen Waffen vertheidigen können. Diese Konsequenzen und Winkelzüge, wie wir hier eben ein Beispiel geliefert haben, sind die rechte Frivolität unsres Jahrhunderts, so verschieden von der des vergangenen. Jene altfränkische Frivolität riß ein und zerstörte nur durch ihren Witz. Die moderne aber gibt sich den Schein, aufzubauen, den Schein des Dogmas ohne den Glauben daran, den Schein der historischen Begründung, des Kampfes gegen die nüchterne Aufklärung ohne Rath, Willen, Meinung, ohne eine den positiven Verhältnissen, in welchen wir leben, irgend wie zugebrachte faktische Hilfe. Jn der Doktrine liegt die Frivolität; denn frivol ist Alles, was zu nichtigen Zwecken und zu Täuschungen einen Aufwand geistiger Kräfte verbraucht; frivol ist der Mysticismus, wenn er auf eine bloße gemüthliche Behaglichkeit und eine halsstarrige Opposition gegen die Fortschritte des Jahrhunderts begründet ist; frivol ist das Mittelalter, welches ohne Fug und Grund wieder eingesezt werden soll; frivol ist der politische Absolutismus, der sich auf die Theorie der Legitimität und göttlichen Einsetzung beruft; frivol ist alle unüberlegte Geistesentwickelung, wenn sie nicht durch die Gesinnung unserer Zeit und durch das Streben nach wahrhafter Humanität gemildert und näher bestimmt wird. Wer möchte in Abrede stellen, daß es besser wäre, die Verbrecher entstünden gar nicht, als daß wir uns nachher die Mühe gäben, sie zu verbessern, zur Reue <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0079" n="77"/> Esprit sich mit keinen Waffen vertheidigen können. Diese Konsequenzen und Winkelzüge, wie wir hier eben ein Beispiel geliefert haben, sind die rechte Frivolität unsres Jahrhunderts, so verschieden von der des vergangenen. Jene altfränkische Frivolität riß ein und zerstörte nur durch ihren Witz. Die moderne aber gibt sich den Schein, aufzubauen, den Schein des Dogmas ohne den Glauben daran, den Schein der historischen Begründung, des Kampfes gegen die nüchterne Aufklärung ohne Rath, Willen, Meinung, ohne eine den positiven Verhältnissen, in welchen wir leben, irgend wie zugebrachte faktische Hilfe. Jn der Doktrine liegt die Frivolität; denn frivol ist Alles, was zu nichtigen Zwecken und zu Täuschungen einen Aufwand geistiger Kräfte verbraucht; frivol ist der Mysticismus, wenn er auf eine bloße gemüthliche Behaglichkeit und eine halsstarrige Opposition gegen die Fortschritte des Jahrhunderts begründet ist; frivol ist das Mittelalter, welches ohne Fug und Grund wieder eingesezt werden soll; frivol ist der politische Absolutismus, der sich auf die Theorie der Legitimität und göttlichen Einsetzung beruft; frivol ist alle unüberlegte Geistesentwickelung, wenn sie nicht durch die Gesinnung unserer Zeit und durch das Streben nach wahrhafter Humanität gemildert und näher bestimmt wird.</p> <p>Wer möchte in Abrede stellen, daß es besser wäre, die Verbrecher entstünden gar nicht, als daß wir uns nachher die Mühe gäben, sie zu verbessern, zur Reue </p> </div> </body> </text> </TEI> [77/0079]
Esprit sich mit keinen Waffen vertheidigen können. Diese Konsequenzen und Winkelzüge, wie wir hier eben ein Beispiel geliefert haben, sind die rechte Frivolität unsres Jahrhunderts, so verschieden von der des vergangenen. Jene altfränkische Frivolität riß ein und zerstörte nur durch ihren Witz. Die moderne aber gibt sich den Schein, aufzubauen, den Schein des Dogmas ohne den Glauben daran, den Schein der historischen Begründung, des Kampfes gegen die nüchterne Aufklärung ohne Rath, Willen, Meinung, ohne eine den positiven Verhältnissen, in welchen wir leben, irgend wie zugebrachte faktische Hilfe. Jn der Doktrine liegt die Frivolität; denn frivol ist Alles, was zu nichtigen Zwecken und zu Täuschungen einen Aufwand geistiger Kräfte verbraucht; frivol ist der Mysticismus, wenn er auf eine bloße gemüthliche Behaglichkeit und eine halsstarrige Opposition gegen die Fortschritte des Jahrhunderts begründet ist; frivol ist das Mittelalter, welches ohne Fug und Grund wieder eingesezt werden soll; frivol ist der politische Absolutismus, der sich auf die Theorie der Legitimität und göttlichen Einsetzung beruft; frivol ist alle unüberlegte Geistesentwickelung, wenn sie nicht durch die Gesinnung unserer Zeit und durch das Streben nach wahrhafter Humanität gemildert und näher bestimmt wird.
Wer möchte in Abrede stellen, daß es besser wäre, die Verbrecher entstünden gar nicht, als daß wir uns nachher die Mühe gäben, sie zu verbessern, zur Reue
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/79>, abgerufen am 16.02.2025. |