Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.betrachten, von wo aus der ungebildete Haufe sie ansieht, gewährt es in diesem Augenblick unter gewissen Verhältnissen mehr Vortheile, ein Dieb, als ein ehrlicher Mann zu seyn. Mehr als zehn Millionen Landleute und Kranke in Frankreich wünschten so logirt, gekleidet und gepflegt wie Mörder und Falschmünzer zu seyn. Schon sehen wir arme ehrliche Leute Verbrechen begehen, um in den Kerker gebracht zu werden. Das Verbrechen entehrt, aber nährt sie. Unter der Restauration hatten wir schon eigene philosophische und philanthropische Gesellschaften, welche von Kerker zu Kerker die Beschwerden sammelten; jezt haben wir schon weit mehr, wir haben Jnspektoren, die das Land bereisen, um die Suppen der Gefangenen zu kosten und zu sehen, ob ihre Kleider in gutem Stande und ob ihre Wohnung bequem sey." "Wahrlich, unsere Philanthropen erfassen unsere gesellschaftlichen Fragen an der verkehrten Seite. Die Unordnung hat für sie mehr Jnteresse, als die Ordnung und das Gefängniß steht ihnen höher, als das Atelier. Es sind Männer, die mit philosophischer Miene es ansehen, wenn eure Glieder zerschmettert werden, um des Vergnügens willen, sie wieder in Ordnung zu bringen. Sie werden anstehen, wenn sie sechs Franks zu einem industriellen Unternehmen, das euch beschäftigen und ernähren kann, beitragen sollen; aber sich auf der Stelle bereit finden, 593 Fr. für betrachten, von wo aus der ungebildete Haufe sie ansieht, gewährt es in diesem Augenblick unter gewissen Verhältnissen mehr Vortheile, ein Dieb, als ein ehrlicher Mann zu seyn. Mehr als zehn Millionen Landleute und Kranke in Frankreich wünschten so logirt, gekleidet und gepflegt wie Mörder und Falschmünzer zu seyn. Schon sehen wir arme ehrliche Leute Verbrechen begehen, um in den Kerker gebracht zu werden. Das Verbrechen entehrt, aber nährt sie. Unter der Restauration hatten wir schon eigene philosophische und philanthropische Gesellschaften, welche von Kerker zu Kerker die Beschwerden sammelten; jezt haben wir schon weit mehr, wir haben Jnspektoren, die das Land bereisen, um die Suppen der Gefangenen zu kosten und zu sehen, ob ihre Kleider in gutem Stande und ob ihre Wohnung bequem sey.“ "Wahrlich, unsere Philanthropen erfassen unsere gesellschaftlichen Fragen an der verkehrten Seite. Die Unordnung hat für sie mehr Jnteresse, als die Ordnung und das Gefängniß steht ihnen höher, als das Atelier. Es sind Männer, die mit philosophischer Miene es ansehen, wenn eure Glieder zerschmettert werden, um des Vergnügens willen, sie wieder in Ordnung zu bringen. Sie werden anstehen, wenn sie sechs Franks zu einem industriellen Unternehmen, das euch beschäftigen und ernähren kann, beitragen sollen; aber sich auf der Stelle bereit finden, 593 Fr. für <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0077" n="75"/> betrachten, von wo aus der ungebildete Haufe sie ansieht, gewährt es in diesem Augenblick unter gewissen Verhältnissen mehr Vortheile, ein Dieb, als ein ehrlicher Mann zu seyn. Mehr als zehn Millionen Landleute und Kranke in Frankreich wünschten so logirt, gekleidet und gepflegt wie Mörder und Falschmünzer zu seyn. Schon sehen wir arme ehrliche Leute Verbrechen begehen, um in den Kerker gebracht zu werden. Das Verbrechen entehrt, aber nährt sie. Unter der Restauration hatten wir schon eigene philosophische und philanthropische Gesellschaften, welche von Kerker zu Kerker die Beschwerden sammelten; jezt haben wir schon weit mehr, wir haben Jnspektoren, die das Land bereisen, um die Suppen der Gefangenen zu kosten und zu sehen, ob ihre Kleider in gutem Stande und ob ihre Wohnung bequem sey.“</p> <p>"Wahrlich, unsere Philanthropen erfassen unsere gesellschaftlichen Fragen an der verkehrten Seite. Die Unordnung hat für sie mehr Jnteresse, als die Ordnung und das Gefängniß steht ihnen höher, als das Atelier. Es sind Männer, die mit philosophischer Miene es ansehen, wenn eure Glieder zerschmettert werden, um des Vergnügens willen, sie wieder in Ordnung zu bringen. Sie werden anstehen, wenn sie sechs Franks zu einem industriellen Unternehmen, das euch beschäftigen und ernähren kann, beitragen sollen; aber sich auf der Stelle bereit finden, 593 Fr. für </p> </div> </body> </text> </TEI> [75/0077]
betrachten, von wo aus der ungebildete Haufe sie ansieht, gewährt es in diesem Augenblick unter gewissen Verhältnissen mehr Vortheile, ein Dieb, als ein ehrlicher Mann zu seyn. Mehr als zehn Millionen Landleute und Kranke in Frankreich wünschten so logirt, gekleidet und gepflegt wie Mörder und Falschmünzer zu seyn. Schon sehen wir arme ehrliche Leute Verbrechen begehen, um in den Kerker gebracht zu werden. Das Verbrechen entehrt, aber nährt sie. Unter der Restauration hatten wir schon eigene philosophische und philanthropische Gesellschaften, welche von Kerker zu Kerker die Beschwerden sammelten; jezt haben wir schon weit mehr, wir haben Jnspektoren, die das Land bereisen, um die Suppen der Gefangenen zu kosten und zu sehen, ob ihre Kleider in gutem Stande und ob ihre Wohnung bequem sey.“
"Wahrlich, unsere Philanthropen erfassen unsere gesellschaftlichen Fragen an der verkehrten Seite. Die Unordnung hat für sie mehr Jnteresse, als die Ordnung und das Gefängniß steht ihnen höher, als das Atelier. Es sind Männer, die mit philosophischer Miene es ansehen, wenn eure Glieder zerschmettert werden, um des Vergnügens willen, sie wieder in Ordnung zu bringen. Sie werden anstehen, wenn sie sechs Franks zu einem industriellen Unternehmen, das euch beschäftigen und ernähren kann, beitragen sollen; aber sich auf der Stelle bereit finden, 593 Fr. für
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/77>, abgerufen am 16.07.2024. |