Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.so zahlreich wie ehemals. Der Unterschied liegt nur gegen frühere Zeiten öfters in den Gegenständen, welche bestritten werden. Prozesse wegen Staatspapieren gab es früher nicht. Diese häufigen Vorkommnisse, daß das Börsenspiel mit Unterschleif getrieben und die faktische Ehrlichkeit, über welche die Spieler sich vorher vereinigt haben, später bei Medio oder Ultimo doch eben so faktisch vergessen wird, sind neue Controversen der Jurisprudenz und liegen noch sehr im Argen. Wo die Juristen kein justinianeisches Beispiel citiren können, da tappen sie immer in Ungewißheiten. Am juristischen Verstande, dieser gewaltigen Grundlage der römischen Gesetzgebung, mangelt es unsrer Zeit. Die reine Logik und Mathematik der gesellschaftlichen Berührungen waltet in unsern Köpfen nicht mehr mit jener bei den Römern so ungetrübten Klarheit. Uns stört die christliche Versöhnungstheorie und das Gebot der Bruderliebe, uns stört die Philanthropie, der Liberalismus mit seinen Consequenzen über historisches und Vernunftrecht, uns stören zahllose Rücksichten, die das Alterthum nicht zu nehmen brauchte und die es nicht einmal kannte. So haben wir zwar viele Rechtstheorien, die für unsern Scharfsinn ein vollgültiger Beleg sind, aber wenig praktische Gesetzgebungen, die, von Kennern entworfen, eine lange Dauer hätten ansprechen dürfen. Manche Gesetzbücher neuern Ursprungs, die öffentliche Geltung erhielten, z. B. in einigen so zahlreich wie ehemals. Der Unterschied liegt nur gegen frühere Zeiten öfters in den Gegenständen, welche bestritten werden. Prozesse wegen Staatspapieren gab es früher nicht. Diese häufigen Vorkommnisse, daß das Börsenspiel mit Unterschleif getrieben und die faktische Ehrlichkeit, über welche die Spieler sich vorher vereinigt haben, später bei Medio oder Ultimo doch eben so faktisch vergessen wird, sind neue Controversen der Jurisprudenz und liegen noch sehr im Argen. Wo die Juristen kein justinianëisches Beispiel citiren können, da tappen sie immer in Ungewißheiten. Am juristischen Verstande, dieser gewaltigen Grundlage der römischen Gesetzgebung, mangelt es unsrer Zeit. Die reine Logik und Mathematik der gesellschaftlichen Berührungen waltet in unsern Köpfen nicht mehr mit jener bei den Römern so ungetrübten Klarheit. Uns stört die christliche Versöhnungstheorie und das Gebot der Bruderliebe, uns stört die Philanthropie, der Liberalismus mit seinen Consequenzen über historisches und Vernunftrecht, uns stören zahllose Rücksichten, die das Alterthum nicht zu nehmen brauchte und die es nicht einmal kannte. So haben wir zwar viele Rechtstheorien, die für unsern Scharfsinn ein vollgültiger Beleg sind, aber wenig praktische Gesetzgebungen, die, von Kennern entworfen, eine lange Dauer hätten ansprechen dürfen. Manche Gesetzbücher neuern Ursprungs, die öffentliche Geltung erhielten, z. B. in einigen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0062" n="60"/> so zahlreich wie ehemals. Der Unterschied liegt nur gegen frühere Zeiten öfters in den Gegenständen, welche bestritten werden. Prozesse wegen Staatspapieren gab es früher nicht. Diese häufigen Vorkommnisse, daß das Börsenspiel mit Unterschleif getrieben und die faktische Ehrlichkeit, über welche die Spieler sich vorher vereinigt haben, später bei Medio oder Ultimo doch eben so faktisch vergessen wird, sind neue Controversen der Jurisprudenz und liegen noch sehr im Argen. Wo die Juristen kein justinianëisches Beispiel citiren können, da tappen sie immer in Ungewißheiten. Am <hi rendition="#g">juristischen Verstande</hi>, dieser gewaltigen Grundlage der römischen Gesetzgebung, mangelt es unsrer Zeit. Die reine <hi rendition="#g">Logik und Mathematik der gesellschaftlichen Berührungen</hi> waltet in unsern Köpfen nicht mehr mit jener bei den Römern so ungetrübten Klarheit. Uns stört die christliche Versöhnungstheorie und das Gebot der Bruderliebe, uns stört die Philanthropie, der Liberalismus mit seinen Consequenzen über historisches und Vernunftrecht, uns stören zahllose Rücksichten, die das Alterthum nicht zu nehmen brauchte und die es nicht einmal kannte. So haben wir zwar viele Rechtstheorien, die für unsern Scharfsinn ein vollgültiger Beleg sind, aber wenig praktische Gesetzgebungen, die, von Kennern entworfen, eine lange Dauer hätten ansprechen dürfen. Manche Gesetzbücher neuern Ursprungs, die öffentliche Geltung erhielten, z. B. in einigen </p> </div> </body> </text> </TEI> [60/0062]
so zahlreich wie ehemals. Der Unterschied liegt nur gegen frühere Zeiten öfters in den Gegenständen, welche bestritten werden. Prozesse wegen Staatspapieren gab es früher nicht. Diese häufigen Vorkommnisse, daß das Börsenspiel mit Unterschleif getrieben und die faktische Ehrlichkeit, über welche die Spieler sich vorher vereinigt haben, später bei Medio oder Ultimo doch eben so faktisch vergessen wird, sind neue Controversen der Jurisprudenz und liegen noch sehr im Argen. Wo die Juristen kein justinianëisches Beispiel citiren können, da tappen sie immer in Ungewißheiten. Am juristischen Verstande, dieser gewaltigen Grundlage der römischen Gesetzgebung, mangelt es unsrer Zeit. Die reine Logik und Mathematik der gesellschaftlichen Berührungen waltet in unsern Köpfen nicht mehr mit jener bei den Römern so ungetrübten Klarheit. Uns stört die christliche Versöhnungstheorie und das Gebot der Bruderliebe, uns stört die Philanthropie, der Liberalismus mit seinen Consequenzen über historisches und Vernunftrecht, uns stören zahllose Rücksichten, die das Alterthum nicht zu nehmen brauchte und die es nicht einmal kannte. So haben wir zwar viele Rechtstheorien, die für unsern Scharfsinn ein vollgültiger Beleg sind, aber wenig praktische Gesetzgebungen, die, von Kennern entworfen, eine lange Dauer hätten ansprechen dürfen. Manche Gesetzbücher neuern Ursprungs, die öffentliche Geltung erhielten, z. B. in einigen
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/62>, abgerufen am 16.02.2025. |