Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.geschehen und gewirkt werden kann, ist subjektiv. Ob die Moral bessern kann, die Religion? Ob Magdalenenstifte für Büßende ihren Zweck erreichen? Dies leztere Heilmittel ist ein Tropfen im Meere; für jenes erstere, das gewiß herrlich ist, fehlt es wie manchem neuentdeckten Naturgesetze nur an der äußern mechanischen Handhebe. Der Geistliche im Talar, ein Gebetbuch, ein Zwangsbesuch der Kirche; das sind keine passenden Handheben. Man muß tiefer wirken; namentlich aber auf die Unmöglichkeit, daß sich die materiellen Uebel der Gesellschaft in Unsittlichkeit verwandeln. Sieht man nicht, daß bei Stockungen der Maschinen in Lyon, in Manchester, das erste Hilfsmittel, welches die brodlosen Arbeiterinnen ergreifen, in der Preisgebung besteht? Geschieht in dieser Rücksicht nicht eine durchgreifende Reform unsrer gesellschaftlichen Verhältnisse, so wird sich auch jenes andre Schreckbild nicht sobald in beruhigende Uebel auflösen, nämlich die vergiftenden Einflüsse des Lasters auf das physische Wohl der Generation. Jch wollte ein treues Bild der Jeztwelt liefern; aber nun noch weiter über die Gränze einer nur flüchtigen Andeutung hinauszugehen, das wolle man dem Autor erlassen, der seine Arbeit aus keiner andern Quelle schöpfen möchte, als der einer gemüthlichen Behaglichkeit. Wir sind in das Gebiet der gesellschaftlichen Abnormitäten gerathen. Wir haben die Sittenlosigkeit ohne Verbrechen geschildert. Sprechen wir jezt von geschehen und gewirkt werden kann, ist subjektiv. Ob die Moral bessern kann, die Religion? Ob Magdalenenstifte für Büßende ihren Zweck erreichen? Dies leztere Heilmittel ist ein Tropfen im Meere; für jenes erstere, das gewiß herrlich ist, fehlt es wie manchem neuentdeckten Naturgesetze nur an der äußern mechanischen Handhebe. Der Geistliche im Talar, ein Gebetbuch, ein Zwangsbesuch der Kirche; das sind keine passenden Handheben. Man muß tiefer wirken; namentlich aber auf die Unmöglichkeit, daß sich die materiellen Uebel der Gesellschaft in Unsittlichkeit verwandeln. Sieht man nicht, daß bei Stockungen der Maschinen in Lyon, in Manchester, das erste Hilfsmittel, welches die brodlosen Arbeiterinnen ergreifen, in der Preisgebung besteht? Geschieht in dieser Rücksicht nicht eine durchgreifende Reform unsrer gesellschaftlichen Verhältnisse, so wird sich auch jenes andre Schreckbild nicht sobald in beruhigende Uebel auflösen, nämlich die vergiftenden Einflüsse des Lasters auf das physische Wohl der Generation. Jch wollte ein treues Bild der Jeztwelt liefern; aber nun noch weiter über die Gränze einer nur flüchtigen Andeutung hinauszugehen, das wolle man dem Autor erlassen, der seine Arbeit aus keiner andern Quelle schöpfen möchte, als der einer gemüthlichen Behaglichkeit. Wir sind in das Gebiet der gesellschaftlichen Abnormitäten gerathen. Wir haben die Sittenlosigkeit ohne Verbrechen geschildert. Sprechen wir jezt von <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0059" n="57"/> geschehen und gewirkt werden kann, ist subjektiv. Ob die Moral bessern kann, die Religion? Ob Magdalenenstifte für Büßende ihren Zweck erreichen? Dies leztere Heilmittel ist ein Tropfen im Meere; für jenes erstere, das gewiß herrlich ist, fehlt es wie manchem neuentdeckten Naturgesetze nur an der äußern mechanischen Handhebe. Der Geistliche im Talar, ein Gebetbuch, ein Zwangsbesuch der Kirche; das sind keine passenden Handheben. Man muß tiefer wirken; namentlich aber auf die Unmöglichkeit, daß sich die materiellen Uebel der Gesellschaft in Unsittlichkeit verwandeln. Sieht man nicht, daß bei Stockungen der Maschinen in Lyon, in Manchester, das erste Hilfsmittel, welches die brodlosen Arbeiterinnen ergreifen, in der Preisgebung besteht? Geschieht in dieser Rücksicht nicht eine durchgreifende Reform unsrer gesellschaftlichen Verhältnisse, so wird sich auch jenes andre Schreckbild nicht sobald in beruhigende Uebel auflösen, nämlich die vergiftenden Einflüsse des Lasters auf das physische Wohl der Generation. Jch wollte ein treues Bild der Jeztwelt liefern; aber nun noch weiter über die Gränze einer nur flüchtigen Andeutung hinauszugehen, das wolle man dem Autor erlassen, der seine Arbeit aus keiner andern Quelle schöpfen möchte, als der einer gemüthlichen Behaglichkeit.</p> <p>Wir sind in das Gebiet der gesellschaftlichen Abnormitäten gerathen. Wir haben die Sittenlosigkeit <hi rendition="#g">ohne</hi> Verbrechen geschildert. Sprechen wir jezt von </p> </div> </body> </text> </TEI> [57/0059]
geschehen und gewirkt werden kann, ist subjektiv. Ob die Moral bessern kann, die Religion? Ob Magdalenenstifte für Büßende ihren Zweck erreichen? Dies leztere Heilmittel ist ein Tropfen im Meere; für jenes erstere, das gewiß herrlich ist, fehlt es wie manchem neuentdeckten Naturgesetze nur an der äußern mechanischen Handhebe. Der Geistliche im Talar, ein Gebetbuch, ein Zwangsbesuch der Kirche; das sind keine passenden Handheben. Man muß tiefer wirken; namentlich aber auf die Unmöglichkeit, daß sich die materiellen Uebel der Gesellschaft in Unsittlichkeit verwandeln. Sieht man nicht, daß bei Stockungen der Maschinen in Lyon, in Manchester, das erste Hilfsmittel, welches die brodlosen Arbeiterinnen ergreifen, in der Preisgebung besteht? Geschieht in dieser Rücksicht nicht eine durchgreifende Reform unsrer gesellschaftlichen Verhältnisse, so wird sich auch jenes andre Schreckbild nicht sobald in beruhigende Uebel auflösen, nämlich die vergiftenden Einflüsse des Lasters auf das physische Wohl der Generation. Jch wollte ein treues Bild der Jeztwelt liefern; aber nun noch weiter über die Gränze einer nur flüchtigen Andeutung hinauszugehen, das wolle man dem Autor erlassen, der seine Arbeit aus keiner andern Quelle schöpfen möchte, als der einer gemüthlichen Behaglichkeit.
Wir sind in das Gebiet der gesellschaftlichen Abnormitäten gerathen. Wir haben die Sittenlosigkeit ohne Verbrechen geschildert. Sprechen wir jezt von
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/59>, abgerufen am 16.07.2024. |