Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.Gerade in dem, wonach wir unsere Arme jezt so jählings ausgestreckt haben, gerade in der Feststellung unserer Begriffe über Staat und politische Freiheit liegen schon lange unsre Reichthümer; denn die politischen Theorien, die Einheit und Trennung der Gewalten, das Verfassungs-, Verwaltungs- und Polizeiwesen, ja in diesen Kenntnissen haben wir Fortschritte gemacht, daß man glauben möchte, zwischen dem Jahre 1788 und 1837 lägen Jahrhunderte zwischen. Die politische Frage ist längst gelöst und wird ohne Zweifel mit noch einigen wenigen leichten Catastrophen, die in der Geschichte der Völker und ganzer Erdtheile nicht ausbleiben, vielleicht für das Stadium, welches unsre Zeit zu erklimmen bestimmt ist, auf immer beigelegt seyn. Allein unendlich ärmer und hilfsbedürftiger sind wir in moralischer und geistiger Rücksicht geworden. Da gibt es Lücken, die schon wie Abgründe aussehen, zu erfüllen, da sind ganze Wege verschüttet, ganze Hügel vom Winde der Zeit abgetragen worden, da hat sich Moos über den Marmor der Schönheit gezogen, wucherndes, giftiges Unkraut zwischen die Anpflanzungen der großen, erhabenen Literaturgeschichte der Vergangenheit; da spiegelt sich der stille sinnige Mond nicht mehr in dem Antlitz eines Sees, der über und über mit einer grünen Sumpfdecke bezogen ist. Jn der Religion und Moral sind die Völker ärmer geworden; das achtzehnte Jahrhundert las weniger als unsre Zeit, doch Gerade in dem, wonach wir unsere Arme jezt so jählings ausgestreckt haben, gerade in der Feststellung unserer Begriffe über Staat und politische Freiheit liegen schon lange unsre Reichthümer; denn die politischen Theorien, die Einheit und Trennung der Gewalten, das Verfassungs-, Verwaltungs- und Polizeiwesen, ja in diesen Kenntnissen haben wir Fortschritte gemacht, daß man glauben möchte, zwischen dem Jahre 1788 und 1837 lägen Jahrhunderte zwischen. Die politische Frage ist längst gelöst und wird ohne Zweifel mit noch einigen wenigen leichten Catastrophen, die in der Geschichte der Völker und ganzer Erdtheile nicht ausbleiben, vielleicht für das Stadium, welches unsre Zeit zu erklimmen bestimmt ist, auf immer beigelegt seyn. Allein unendlich ärmer und hilfsbedürftiger sind wir in moralischer und geistiger Rücksicht geworden. Da gibt es Lücken, die schon wie Abgründe aussehen, zu erfüllen, da sind ganze Wege verschüttet, ganze Hügel vom Winde der Zeit abgetragen worden, da hat sich Moos über den Marmor der Schönheit gezogen, wucherndes, giftiges Unkraut zwischen die Anpflanzungen der großen, erhabenen Literaturgeschichte der Vergangenheit; da spiegelt sich der stille sinnige Mond nicht mehr in dem Antlitz eines Sees, der über und über mit einer grünen Sumpfdecke bezogen ist. Jn der Religion und Moral sind die Völker ärmer geworden; das achtzehnte Jahrhundert las weniger als unsre Zeit, doch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0433" n="431"/> <p> Gerade in dem, wonach wir unsere Arme jezt so jählings ausgestreckt haben, gerade in der Feststellung unserer Begriffe über Staat und politische Freiheit liegen schon lange unsre Reichthümer; denn die politischen Theorien, die Einheit und Trennung der Gewalten, das Verfassungs-, Verwaltungs- und Polizeiwesen, ja in diesen Kenntnissen haben wir Fortschritte gemacht, daß man glauben möchte, zwischen dem Jahre 1788 und 1837 lägen Jahrhunderte zwischen. Die politische Frage ist längst gelöst und wird ohne Zweifel mit noch einigen wenigen leichten Catastrophen, die in der Geschichte der Völker und ganzer Erdtheile nicht ausbleiben, vielleicht für das Stadium, welches unsre Zeit zu erklimmen bestimmt ist, auf immer beigelegt seyn. Allein unendlich ärmer und hilfsbedürftiger sind wir in moralischer und geistiger Rücksicht geworden. Da gibt es Lücken, die schon wie Abgründe aussehen, zu erfüllen, da sind ganze Wege verschüttet, ganze Hügel vom Winde der Zeit abgetragen worden, da hat sich Moos über den Marmor der Schönheit gezogen, wucherndes, giftiges Unkraut zwischen die Anpflanzungen der großen, erhabenen Literaturgeschichte der Vergangenheit; da spiegelt sich der stille sinnige Mond nicht mehr in dem Antlitz eines Sees, der über und über mit einer grünen Sumpfdecke bezogen ist. Jn der Religion und Moral sind die Völker ärmer geworden; das achtzehnte Jahrhundert las weniger als unsre Zeit, doch </p> </div> </body> </text> </TEI> [431/0433]
Gerade in dem, wonach wir unsere Arme jezt so jählings ausgestreckt haben, gerade in der Feststellung unserer Begriffe über Staat und politische Freiheit liegen schon lange unsre Reichthümer; denn die politischen Theorien, die Einheit und Trennung der Gewalten, das Verfassungs-, Verwaltungs- und Polizeiwesen, ja in diesen Kenntnissen haben wir Fortschritte gemacht, daß man glauben möchte, zwischen dem Jahre 1788 und 1837 lägen Jahrhunderte zwischen. Die politische Frage ist längst gelöst und wird ohne Zweifel mit noch einigen wenigen leichten Catastrophen, die in der Geschichte der Völker und ganzer Erdtheile nicht ausbleiben, vielleicht für das Stadium, welches unsre Zeit zu erklimmen bestimmt ist, auf immer beigelegt seyn. Allein unendlich ärmer und hilfsbedürftiger sind wir in moralischer und geistiger Rücksicht geworden. Da gibt es Lücken, die schon wie Abgründe aussehen, zu erfüllen, da sind ganze Wege verschüttet, ganze Hügel vom Winde der Zeit abgetragen worden, da hat sich Moos über den Marmor der Schönheit gezogen, wucherndes, giftiges Unkraut zwischen die Anpflanzungen der großen, erhabenen Literaturgeschichte der Vergangenheit; da spiegelt sich der stille sinnige Mond nicht mehr in dem Antlitz eines Sees, der über und über mit einer grünen Sumpfdecke bezogen ist. Jn der Religion und Moral sind die Völker ärmer geworden; das achtzehnte Jahrhundert las weniger als unsre Zeit, doch
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/433>, abgerufen am 19.07.2024. |