Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.terließen mehr, als sie empfangen hatten. Die Schulden wurden getilgt und neue Kapitale angelegt. Sie arbeiteten auf dem Felde im Schweiße ihres Angesichts, hörten aber mit Freuden zu, wenn die Lerche sang. Sie waren zu geplagt und zu eng gedrängt, als daß sie selber vor Gott oft niedergesunken und ihm eine langwierige Andacht gewidmet hätten, aber in das Lob der Natur, in den Preis und Ruhm Gottes, den alle Welt singt, stimmten sie mit ein und dankten gerührt, wenn ein Anderer statt ihrer und für sie betete. Jm öffentlichen Leben waren sie mißtrauisch, aber nicht feindselig. Abgewandt dem Staate, der sie nicht alle immer mit gleicher Liebe zu umfassen schien, wühlten sie doch nicht gegen seinen Bestand. Sie dienten ihm als Freigelassene, die sich gern aus langer Gewöhnung noch Knechte nennen, und brauchten ihr Recht nur, wenn es in Gefahr war, ihnen genommen zu werden. Das Vaterland war ihnen ein verworrner und doch heiliger Begriff. Sie hatten Sehnsucht zur Aussöhnung zwischen den Nationen und waren leichtgläubig genug, Andre nur nach sich selbst zu beurtheilen, vom Nachbar nur Gutes zu erwarten, wie sie selbst es ihm wünschten. Lieber als das Vaterland wurde ihnen die Muttersprache. Dieser hingen sie mit jener innigen, unzerstörbaren Liebe nach, welche sie für das Vaterland nur in sich hegten, wenn es bedroht wurde, nie aber, wenn die Liebe zu den Seinen die zu den Andern verlezt hätte. Ja, terließen mehr, als sie empfangen hatten. Die Schulden wurden getilgt und neue Kapitale angelegt. Sie arbeiteten auf dem Felde im Schweiße ihres Angesichts, hörten aber mit Freuden zu, wenn die Lerche sang. Sie waren zu geplagt und zu eng gedrängt, als daß sie selber vor Gott oft niedergesunken und ihm eine langwierige Andacht gewidmet hätten, aber in das Lob der Natur, in den Preis und Ruhm Gottes, den alle Welt singt, stimmten sie mit ein und dankten gerührt, wenn ein Anderer statt ihrer und für sie betete. Jm öffentlichen Leben waren sie mißtrauisch, aber nicht feindselig. Abgewandt dem Staate, der sie nicht alle immer mit gleicher Liebe zu umfassen schien, wühlten sie doch nicht gegen seinen Bestand. Sie dienten ihm als Freigelassene, die sich gern aus langer Gewöhnung noch Knechte nennen, und brauchten ihr Recht nur, wenn es in Gefahr war, ihnen genommen zu werden. Das Vaterland war ihnen ein verworrner und doch heiliger Begriff. Sie hatten Sehnsucht zur Aussöhnung zwischen den Nationen und waren leichtgläubig genug, Andre nur nach sich selbst zu beurtheilen, vom Nachbar nur Gutes zu erwarten, wie sie selbst es ihm wünschten. Lieber als das Vaterland wurde ihnen die Muttersprache. Dieser hingen sie mit jener innigen, unzerstörbaren Liebe nach, welche sie für das Vaterland nur in sich hegten, wenn es bedroht wurde, nie aber, wenn die Liebe zu den Seinen die zu den Andern verlezt hätte. Ja, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0383" n="381"/> terließen mehr, als sie empfangen hatten. Die Schulden wurden getilgt und neue Kapitale angelegt. Sie arbeiteten auf dem Felde im Schweiße ihres Angesichts, hörten aber mit Freuden zu, wenn die Lerche sang. Sie waren zu geplagt und zu eng gedrängt, als daß sie selber vor Gott oft niedergesunken und ihm eine langwierige Andacht gewidmet hätten, aber in das Lob der Natur, in den Preis und Ruhm Gottes, den alle Welt singt, stimmten sie mit ein und dankten gerührt, wenn ein Anderer statt ihrer und für sie betete. Jm öffentlichen Leben waren sie mißtrauisch, aber nicht feindselig. Abgewandt dem Staate, der sie nicht alle immer mit gleicher Liebe zu umfassen schien, wühlten sie doch nicht gegen seinen Bestand. Sie dienten ihm als Freigelassene, die sich gern aus langer Gewöhnung noch Knechte nennen, und brauchten ihr Recht nur, wenn es in Gefahr war, ihnen genommen zu werden. Das Vaterland war ihnen ein verworrner und doch heiliger Begriff. Sie hatten Sehnsucht zur Aussöhnung zwischen den Nationen und waren leichtgläubig genug, Andre nur nach sich selbst zu beurtheilen, vom Nachbar nur Gutes zu erwarten, wie sie selbst es ihm wünschten. Lieber als das Vaterland wurde ihnen die Muttersprache. Dieser hingen sie mit jener innigen, unzerstörbaren Liebe nach, welche sie für das Vaterland nur in sich hegten, wenn es bedroht wurde, nie aber, wenn die Liebe zu den Seinen die zu den Andern verlezt hätte. Ja, </p> </div> </body> </text> </TEI> [381/0383]
terließen mehr, als sie empfangen hatten. Die Schulden wurden getilgt und neue Kapitale angelegt. Sie arbeiteten auf dem Felde im Schweiße ihres Angesichts, hörten aber mit Freuden zu, wenn die Lerche sang. Sie waren zu geplagt und zu eng gedrängt, als daß sie selber vor Gott oft niedergesunken und ihm eine langwierige Andacht gewidmet hätten, aber in das Lob der Natur, in den Preis und Ruhm Gottes, den alle Welt singt, stimmten sie mit ein und dankten gerührt, wenn ein Anderer statt ihrer und für sie betete. Jm öffentlichen Leben waren sie mißtrauisch, aber nicht feindselig. Abgewandt dem Staate, der sie nicht alle immer mit gleicher Liebe zu umfassen schien, wühlten sie doch nicht gegen seinen Bestand. Sie dienten ihm als Freigelassene, die sich gern aus langer Gewöhnung noch Knechte nennen, und brauchten ihr Recht nur, wenn es in Gefahr war, ihnen genommen zu werden. Das Vaterland war ihnen ein verworrner und doch heiliger Begriff. Sie hatten Sehnsucht zur Aussöhnung zwischen den Nationen und waren leichtgläubig genug, Andre nur nach sich selbst zu beurtheilen, vom Nachbar nur Gutes zu erwarten, wie sie selbst es ihm wünschten. Lieber als das Vaterland wurde ihnen die Muttersprache. Dieser hingen sie mit jener innigen, unzerstörbaren Liebe nach, welche sie für das Vaterland nur in sich hegten, wenn es bedroht wurde, nie aber, wenn die Liebe zu den Seinen die zu den Andern verlezt hätte. Ja,
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/383>, abgerufen am 16.02.2025. |