Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.gefährlich. Die Erzieher und Eltern haben sie von sich gewiesen und für die feine Geistesbildung nach einem Surrogat gesucht. Sie fanden es in der Musik. Die Musik verbreitet namentlich über die Bildung der Frauen einen gewissen spirituellen Schimmer. Sie ist das Bindeglied der vereinzelten Wissensstoffe, die ihr Gedächtniß in sich aufgenommen hat; sie ist auch der elektrische Leiter, durch welchen man den einzelnen zerstreuten Geistesfunken derselben beikommen kann. Vielleicht ist aber auch diese Erscheinung schon wieder in einem neuen Stadium begriffen. Je schwieriger bei der außerordentlichen Konkurrenz es wird, in der Musik Etwas zu leisten, desto mehr verliert sich vielleicht die große Selbstgenügsamkeit, welche bei einer sonst ganz mangelhaften Bildung durch ein wenig Gesang und Klavierspiel bei den Frauenzimmern erzeugt wurde. Es scheint, als müßten die Erzieher sich schon nach einem andern Surrogat umsehen, um dem weiblichen Geschlecht in einer Zeit der Debatte doch die Tonangabe in der Gesellschaft zu lassen. Schrecklich wär' es, wenn die Weiber, von den großen Klavierspielern und Sängern unserer Epoche übertroffen, sich auf den zweiten Hebel der Gesellschaft, von welchem wir sprachen, werfen sollten, nämlich auf das Spiel. Das bereits allgemein verbreitete Schauspiel, junge Mädchen mit Karten in den Händen zu erblicken, wäre das Anzeichen einer einreißenden Gedankenlosigkeit, die uns, wie in der Mitte des gefährlich. Die Erzieher und Eltern haben sie von sich gewiesen und für die feine Geistesbildung nach einem Surrogat gesucht. Sie fanden es in der Musik. Die Musik verbreitet namentlich über die Bildung der Frauen einen gewissen spirituellen Schimmer. Sie ist das Bindeglied der vereinzelten Wissensstoffe, die ihr Gedächtniß in sich aufgenommen hat; sie ist auch der elektrische Leiter, durch welchen man den einzelnen zerstreuten Geistesfunken derselben beikommen kann. Vielleicht ist aber auch diese Erscheinung schon wieder in einem neuen Stadium begriffen. Je schwieriger bei der außerordentlichen Konkurrenz es wird, in der Musik Etwas zu leisten, desto mehr verliert sich vielleicht die große Selbstgenügsamkeit, welche bei einer sonst ganz mangelhaften Bildung durch ein wenig Gesang und Klavierspiel bei den Frauenzimmern erzeugt wurde. Es scheint, als müßten die Erzieher sich schon nach einem andern Surrogat umsehen, um dem weiblichen Geschlecht in einer Zeit der Debatte doch die Tonangabe in der Gesellschaft zu lassen. Schrecklich wär’ es, wenn die Weiber, von den großen Klavierspielern und Sängern unserer Epoche übertroffen, sich auf den zweiten Hebel der Gesellschaft, von welchem wir sprachen, werfen sollten, nämlich auf das Spiel. Das bereits allgemein verbreitete Schauspiel, junge Mädchen mit Karten in den Händen zu erblicken, wäre das Anzeichen einer einreißenden Gedankenlosigkeit, die uns, wie in der Mitte des <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0038" n="36"/> gefährlich. Die Erzieher und Eltern haben sie von sich gewiesen und für die feine Geistesbildung nach einem Surrogat gesucht. Sie fanden es in der Musik. Die Musik verbreitet namentlich über die Bildung der Frauen einen gewissen spirituellen Schimmer. Sie ist das Bindeglied der vereinzelten Wissensstoffe, die ihr Gedächtniß in sich aufgenommen hat; sie ist auch der elektrische Leiter, durch welchen man den einzelnen zerstreuten Geistesfunken derselben beikommen kann. Vielleicht ist aber auch diese Erscheinung schon wieder in einem neuen Stadium begriffen. Je schwieriger bei der außerordentlichen Konkurrenz es wird, in der Musik Etwas zu leisten, desto mehr verliert sich vielleicht die große Selbstgenügsamkeit, welche bei einer sonst ganz mangelhaften Bildung durch ein wenig Gesang und Klavierspiel bei den Frauenzimmern erzeugt wurde. Es scheint, als müßten die Erzieher sich schon nach einem andern Surrogat umsehen, um dem weiblichen Geschlecht in einer Zeit der Debatte doch die Tonangabe in der Gesellschaft zu lassen. Schrecklich wär’ es, wenn die Weiber, von den großen Klavierspielern und Sängern unserer Epoche übertroffen, sich auf den zweiten Hebel der Gesellschaft, von welchem wir sprachen, werfen sollten, nämlich auf das Spiel. Das bereits allgemein verbreitete Schauspiel, junge Mädchen mit Karten in den Händen zu erblicken, wäre das Anzeichen einer einreißenden Gedankenlosigkeit, die uns, wie in der Mitte des </p> </div> </body> </text> </TEI> [36/0038]
gefährlich. Die Erzieher und Eltern haben sie von sich gewiesen und für die feine Geistesbildung nach einem Surrogat gesucht. Sie fanden es in der Musik. Die Musik verbreitet namentlich über die Bildung der Frauen einen gewissen spirituellen Schimmer. Sie ist das Bindeglied der vereinzelten Wissensstoffe, die ihr Gedächtniß in sich aufgenommen hat; sie ist auch der elektrische Leiter, durch welchen man den einzelnen zerstreuten Geistesfunken derselben beikommen kann. Vielleicht ist aber auch diese Erscheinung schon wieder in einem neuen Stadium begriffen. Je schwieriger bei der außerordentlichen Konkurrenz es wird, in der Musik Etwas zu leisten, desto mehr verliert sich vielleicht die große Selbstgenügsamkeit, welche bei einer sonst ganz mangelhaften Bildung durch ein wenig Gesang und Klavierspiel bei den Frauenzimmern erzeugt wurde. Es scheint, als müßten die Erzieher sich schon nach einem andern Surrogat umsehen, um dem weiblichen Geschlecht in einer Zeit der Debatte doch die Tonangabe in der Gesellschaft zu lassen. Schrecklich wär’ es, wenn die Weiber, von den großen Klavierspielern und Sängern unserer Epoche übertroffen, sich auf den zweiten Hebel der Gesellschaft, von welchem wir sprachen, werfen sollten, nämlich auf das Spiel. Das bereits allgemein verbreitete Schauspiel, junge Mädchen mit Karten in den Händen zu erblicken, wäre das Anzeichen einer einreißenden Gedankenlosigkeit, die uns, wie in der Mitte des
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/38 |
Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/38>, abgerufen am 27.07.2024. |