Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.es den gegebenen Staat nicht, zieht ihm einen erst zu schaffenden vor und sucht aus ihm das Beste, was er vor der Hand enthält, zu entnehmen. Die Abneigung gegen die Fürsten mildert sich, wenn sie nur irgend einen Enthusiasmus für die ernste Aufgabe der Zeit verrathen. Aufrichtige Anerkennung bei den Fürsten, daß sie nur der Zufall auf eine Stelle erhob, wo sie zwar Menschen seyn dürfen, mit den unvermeidlichen Schwächen und Jrrthümern, aber eigentlich doch nur die Bevollmächtigte einer höheren Jdee sind, gewinnt wieder die Zuneigung der Gehorchenden. Wo Unruhe und Unbehaglichkeit zum Vorschein kommen, da entstehen sie wahrscheinlich nur aus Ueberdruß, daß die Regierungen das Falsche wählen, wo ihnen das Richtige so leicht an die Hand gegeben ist, daß sie Partei nehmen, wo sie neutralisiren sollen. Jn der Stimmung der Gemüther ist Schwäche mit Tugend gemischt; was man erreichen kann, wenn man sie zu benutzen weiß, zeigt das Beispiel Louis Philipps, seitdem er sich von der Schulmeisterei der Doktrinärs befreit hat. Die konstitutionelle Verfassung wird das Schiboleth unseres Jahrhunderts bleiben. Jeder Tag zeigt, welch' einer Ausbildung sie fähig ist, und welcher Ausbildung sie bedarf, um den Bedürfnissen, falls ihnen die Oeffentlichkeit abhelfen kann, entgegen zu kommen. Kein Staat wird sie umgehen können, ja derjenige Staat, welcher ihres äußern Gerüstes noch es den gegebenen Staat nicht, zieht ihm einen erst zu schaffenden vor und sucht aus ihm das Beste, was er vor der Hand enthält, zu entnehmen. Die Abneigung gegen die Fürsten mildert sich, wenn sie nur irgend einen Enthusiasmus für die ernste Aufgabe der Zeit verrathen. Aufrichtige Anerkennung bei den Fürsten, daß sie nur der Zufall auf eine Stelle erhob, wo sie zwar Menschen seyn dürfen, mit den unvermeidlichen Schwächen und Jrrthümern, aber eigentlich doch nur die Bevollmächtigte einer höheren Jdee sind, gewinnt wieder die Zuneigung der Gehorchenden. Wo Unruhe und Unbehaglichkeit zum Vorschein kommen, da entstehen sie wahrscheinlich nur aus Ueberdruß, daß die Regierungen das Falsche wählen, wo ihnen das Richtige so leicht an die Hand gegeben ist, daß sie Partei nehmen, wo sie neutralisiren sollen. Jn der Stimmung der Gemüther ist Schwäche mit Tugend gemischt; was man erreichen kann, wenn man sie zu benutzen weiß, zeigt das Beispiel Louis Philipps, seitdem er sich von der Schulmeisterei der Doktrinärs befreit hat. Die konstitutionelle Verfassung wird das Schiboleth unseres Jahrhunderts bleiben. Jeder Tag zeigt, welch’ einer Ausbildung sie fähig ist, und welcher Ausbildung sie bedarf, um den Bedürfnissen, falls ihnen die Oeffentlichkeit abhelfen kann, entgegen zu kommen. Kein Staat wird sie umgehen können, ja derjenige Staat, welcher ihres äußern Gerüstes noch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0376" n="374"/> es den gegebenen Staat nicht, zieht ihm einen erst zu schaffenden vor und sucht aus ihm das Beste, was er vor der Hand enthält, zu entnehmen. Die Abneigung gegen die Fürsten mildert sich, wenn sie nur irgend einen Enthusiasmus für die ernste Aufgabe der Zeit verrathen. Aufrichtige Anerkennung bei den Fürsten, daß sie nur der Zufall auf eine Stelle erhob, wo sie zwar Menschen seyn dürfen, mit den unvermeidlichen Schwächen und Jrrthümern, aber eigentlich doch nur die Bevollmächtigte einer höheren Jdee sind, gewinnt wieder die Zuneigung der Gehorchenden. Wo Unruhe und Unbehaglichkeit zum Vorschein kommen, da entstehen sie wahrscheinlich nur aus Ueberdruß, daß die Regierungen das Falsche wählen, wo ihnen das Richtige so leicht an die Hand gegeben ist, daß sie Partei nehmen, wo sie neutralisiren sollen. Jn der Stimmung der Gemüther ist Schwäche mit Tugend gemischt; was man erreichen kann, wenn man sie zu benutzen weiß, zeigt das Beispiel <hi rendition="#g">Louis Philipps</hi>, seitdem er sich von der Schulmeisterei der Doktrinärs befreit hat.</p> <p>Die konstitutionelle Verfassung wird das Schiboleth unseres Jahrhunderts bleiben. Jeder Tag zeigt, welch’ einer Ausbildung sie fähig ist, und welcher Ausbildung sie bedarf, um den Bedürfnissen, falls ihnen die Oeffentlichkeit abhelfen kann, entgegen zu kommen. Kein Staat wird sie umgehen können, ja derjenige Staat, welcher ihres äußern Gerüstes noch </p> </div> </body> </text> </TEI> [374/0376]
es den gegebenen Staat nicht, zieht ihm einen erst zu schaffenden vor und sucht aus ihm das Beste, was er vor der Hand enthält, zu entnehmen. Die Abneigung gegen die Fürsten mildert sich, wenn sie nur irgend einen Enthusiasmus für die ernste Aufgabe der Zeit verrathen. Aufrichtige Anerkennung bei den Fürsten, daß sie nur der Zufall auf eine Stelle erhob, wo sie zwar Menschen seyn dürfen, mit den unvermeidlichen Schwächen und Jrrthümern, aber eigentlich doch nur die Bevollmächtigte einer höheren Jdee sind, gewinnt wieder die Zuneigung der Gehorchenden. Wo Unruhe und Unbehaglichkeit zum Vorschein kommen, da entstehen sie wahrscheinlich nur aus Ueberdruß, daß die Regierungen das Falsche wählen, wo ihnen das Richtige so leicht an die Hand gegeben ist, daß sie Partei nehmen, wo sie neutralisiren sollen. Jn der Stimmung der Gemüther ist Schwäche mit Tugend gemischt; was man erreichen kann, wenn man sie zu benutzen weiß, zeigt das Beispiel Louis Philipps, seitdem er sich von der Schulmeisterei der Doktrinärs befreit hat.
Die konstitutionelle Verfassung wird das Schiboleth unseres Jahrhunderts bleiben. Jeder Tag zeigt, welch’ einer Ausbildung sie fähig ist, und welcher Ausbildung sie bedarf, um den Bedürfnissen, falls ihnen die Oeffentlichkeit abhelfen kann, entgegen zu kommen. Kein Staat wird sie umgehen können, ja derjenige Staat, welcher ihres äußern Gerüstes noch
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Zitationshilfe: | Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/376>, abgerufen am 16.02.2025. |