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Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842.

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Ansichten, die sich bekämpfen, diese kann die Philosophie berichtigen, aber niemals wird das Andere, woraus unsere Zeit zusammengesezt ist, Vernunft annehmen, nämlich die Leidenschaft und das Jnteresse. Nicht die Vernunft ist im Gedränge, sondern das Privilegium; und man blicke nur nach Ländern, wie Spanien, ob da wohl eine Aussicht vorhanden ist, daß dort die gewaltigen Leidenschaften der Rachsucht und des Hasses jemals anders, als durch Befriedigung derselben könnten ausgesöhnt werden! Wollen wir auf die nächste Zukunft unseres Welttheiles schließen, so werden wir die traulichen Schatten der Wissenschaft verlassen und mit schwerem Herzen wieder mitten in das wirre Durcheinander der Ereignisse treten müssen, von welchem wir beim Beginne dieses Werkes ausgegangen sind.

Wenn wir von der Zukunft einiges am Schlusse dieses Werkes zu errathen suchen wollen, so können wir nicht von der Ewigkeit sprechen, welche der Prophezeihung angehört. Was die Zukunft Großes und Seltsames in ihrem Schooße birgt, errathen wir nicht; denn selten, daß ein gleichartiger Zug von Jnteresse und Bestrebungen sich in der Geschichte lange aus sich selbst ohne anderweitige Zuthat fortspinnt; meist immer durchschneidet die gebahnte Straße der Thatsachen das spezifisch Neue, wie wohl die Griechen zur Zeit des Perikles sich denken konnten, daß vielleicht einst die Macht der Perser doch einmal der steigenden Uneinigkeit und

Ansichten, die sich bekämpfen, diese kann die Philosophie berichtigen, aber niemals wird das Andere, woraus unsere Zeit zusammengesezt ist, Vernunft annehmen, nämlich die Leidenschaft und das Jnteresse. Nicht die Vernunft ist im Gedränge, sondern das Privilegium; und man blicke nur nach Ländern, wie Spanien, ob da wohl eine Aussicht vorhanden ist, daß dort die gewaltigen Leidenschaften der Rachsucht und des Hasses jemals anders, als durch Befriedigung derselben könnten ausgesöhnt werden! Wollen wir auf die nächste Zukunft unseres Welttheiles schließen, so werden wir die traulichen Schatten der Wissenschaft verlassen und mit schwerem Herzen wieder mitten in das wirre Durcheinander der Ereignisse treten müssen, von welchem wir beim Beginne dieses Werkes ausgegangen sind.

Wenn wir von der Zukunft einiges am Schlusse dieses Werkes zu errathen suchen wollen, so können wir nicht von der Ewigkeit sprechen, welche der Prophezeihung angehört. Was die Zukunft Großes und Seltsames in ihrem Schooße birgt, errathen wir nicht; denn selten, daß ein gleichartiger Zug von Jnteresse und Bestrebungen sich in der Geschichte lange aus sich selbst ohne anderweitige Zuthat fortspinnt; meist immer durchschneidet die gebahnte Straße der Thatsachen das spezifisch Neue, wie wohl die Griechen zur Zeit des Perikles sich denken konnten, daß vielleicht einst die Macht der Perser doch einmal der steigenden Uneinigkeit und

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[367/0369] Ansichten, die sich bekämpfen, diese kann die Philosophie berichtigen, aber niemals wird das Andere, woraus unsere Zeit zusammengesezt ist, Vernunft annehmen, nämlich die Leidenschaft und das Jnteresse. Nicht die Vernunft ist im Gedränge, sondern das Privilegium; und man blicke nur nach Ländern, wie Spanien, ob da wohl eine Aussicht vorhanden ist, daß dort die gewaltigen Leidenschaften der Rachsucht und des Hasses jemals anders, als durch Befriedigung derselben könnten ausgesöhnt werden! Wollen wir auf die nächste Zukunft unseres Welttheiles schließen, so werden wir die traulichen Schatten der Wissenschaft verlassen und mit schwerem Herzen wieder mitten in das wirre Durcheinander der Ereignisse treten müssen, von welchem wir beim Beginne dieses Werkes ausgegangen sind. Wenn wir von der Zukunft einiges am Schlusse dieses Werkes zu errathen suchen wollen, so können wir nicht von der Ewigkeit sprechen, welche der Prophezeihung angehört. Was die Zukunft Großes und Seltsames in ihrem Schooße birgt, errathen wir nicht; denn selten, daß ein gleichartiger Zug von Jnteresse und Bestrebungen sich in der Geschichte lange aus sich selbst ohne anderweitige Zuthat fortspinnt; meist immer durchschneidet die gebahnte Straße der Thatsachen das spezifisch Neue, wie wohl die Griechen zur Zeit des Perikles sich denken konnten, daß vielleicht einst die Macht der Perser doch einmal der steigenden Uneinigkeit und

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Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Die Zeitgenossen. 2. Bd. 2. Aufl. Pforzheim, 1842, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_zeitgenossen02_1842/369>, abgerufen am 25.11.2024.